Abendländische Tradition en détail

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Christliche Nächstenliebe in der Praxis (aus der Luzerner Chronik von Diebold Schilling)


Am Wochenende habe ich viel in Wilhelm Zimmermanns monumentaler Geschichte des großen Bauernkrieges* gelesen, um mich daran zu erinnern, woraus sie bestehen, die Tradition, die Werte, der Geist, kurz: die Kultur des Abendlandes, welche so viele, und nicht nur Pegidazis, so gern beschwören. Ich weiß jetzt wieder genauer, warum sie sich völlig zu Recht als deren Erben fühlen:

Im Jahr 1476 predigte der „Pfeifer-Hänslein“ von Niklashausen, Hans Böheim, im Würzburgischen allgemeine Freiheit und Gleichheit. Wie er jahrelang auf den Kirchweihen und Hochzeiten an der Tauber hin und wieder aufgespielt hatte, so verkündete er jetzt „ein neues Gottesreich, worin alles abgetan sei, Kaiser, Fürst und Papst, alle Herrschaft und alle Lasten, jeder des anderen Bruder sein, mit eigener Hand das tägliche Brot gewinnen und keiner mehr als der andere haben müsse.“ Der Bischof von Würzburg ließ ihn nachts überfallen und verbrennen, und die Bewegung zerfloß.

Es ist ja nicht so, daß das sadistische Vergnügen am Enthaupten die Lektüre des Korans zur Voraussetzung hat. Das empfinden christliche Europäer gerade so gut, und in der Gründlichkeit machen ihnen diese Muselmanen gleich gar nichts vor:

Am 9. August [1514] hielt der Herzog einen dritten Bluttag zu Stuttgart auf offenem Markt. Hier wurden die, welche die Stadt hatten an die Bauern verraten wollen, die Soldknechte Hans Schmeck von Waldenbuch, Peter Wolf, dessen Sohn Bernhard, Schmied Kaspar, Peter Koch, alle aus der Glashütte und Tiegel, genannt Leglin-Jörg von Stuttgart, zum Tode verurteilt und sogleich auf dem Markt enthauptet, auch des ersteren Haupt als Rottmeisters und Peter Wolfs Haupt, weil er seine eigenen Kinder verführt, auf zwei Tortürmen der Hauptstadt aufgesteckt. Die Leiber begrub man auf dem Schindanger; Tiegels Mutter flehte um ihres Sohnes Kopf. Als man den ihr weigerte, erhängte sie sich am Heilandsbild am Ilgenzwinger. Sie_ward hinausgeschleift, neben ihrem Sohn verscharrt und ihr Haus niedergerissen.

Die Freiheit des Geistes führt in der großen abendländischen Tradition sehr schnell zur Befreiung des Kopfes von seinen physischen Fesseln:

Die Stadt Kenzingen fühlte [1524] zuerst das Schwert der österreichischen Regierung. Auch ihr Prediger Jakob Otter sah sich gewaltsam zur Flucht getrieben. 150 aus seiner Gemeinde gaben ihm bis zur Grenze das Geleit und blieben etliche Tage bei ihm. Als sie wieder heim wollten zu Weib und Kind, fanden sie die Straße gesperrt, daß sie nicht in die Stadt gelangen konnten, sie stiegen zu Schiff und fuhren hinüber nach Straßburg. Kenzingen selbst aber umringten Kriegsvölker, die von Freiburg und Ensisheim kamen, nahmen die Stadt ein und viele als des Evangeliums verdächtig darin gefangen. Es fiel, weil er das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfangen, das Haupt des Stadtschreibers, es fielen auch fünfzehn andere Köpfe unter dem Schwert des Nachrichters. So glaubte der Inquisitionsausschuß den Geist des neuen religiösen Lebens in diesen Gegenden bannen zu können.



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Mit Haßpredigern konnten die Bewohner des Abendlandes bereits vor einem halben Jahrtausend aufwarten, damals, als die Fundamente der europäischen Neuzeit gelegt wurden. Und weil wir sie bis heute als große Männer feiern, haben wir den Import irgendwelcher geifernder Islamisten überhaupt nicht nötig. Der Dr. Martin Luther, die Wittenbergisch Schlachtigall, hatte das Blutsaufen mindestens genauso gut drauf wie die muslimische Konkurrenz:

[Er] schrieb „wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“. Jetzt seien sie ganz rechtlos: „Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muß. (…)“
(…) Sooft die Päpstlichen von da an zur lutherischen Predigt läuten hörten, sagten sie: „Da läutet man wieder die Mordglocke.“ (…)
(…) Luther sagte: „Spricht nicht der Apostel Paulus? Ein jeglicher sei der Obrigkeit untertan mit Furcht und Zittern.“ Das, daß die Obrigkeit zu bös und unleidlich sei und das Evangelium nicht zulasse, entschuldige keine Rotterei noch Aufruhr. „Wie sie vor Gott bestehen wollen, daß sie wider ihre Obrigkeit, von Gott verordnet, sich setzen? Christlich Recht sei nicht, sich sträuben wider Unrecht, sondern dahinzugeben Leib und Gut, daß es raube, wer da raube. Leiden Leiden, Kreuz Kreuz sei des Christen Recht.“

Nicht weniger engagiert bei der religiösen Rechtfertigung von Grausamkeit, Mord und Brandschatzung zeigte sich Luthers Kombattant Philipp Melanchton. Er, der auch im modernen Abendland als großer Gelehrter, ja, Humanist gehandelt und gefeiert wird, als einer der bedeutendsten Intellektuellen seiner Zeit, schrieb 1525 an den Pfalzgraf Ludwig:

„Es wäre vonnöten, daß ein solch wild ungezogen Volk, als die Deutschen sind, noch weniger Freiheit hätte als es hat; was die Obrigkeit tut, daran tut sie Recht; wenn die Obrigkeit daher Gemeindegüter und Waldungen einzieht, so hat sich niemand dawider zu setzen; wenn sie den Zehnten der Kirche nimmt und anderen gibt, so müssen sich die Deutschen ebensogut dareinfügen, wie die Juden sich von den Römern die Tempelgüter nehmen lassen mußten. Eine Obrigkeit mag Strafe setzen nach der Länder Not (…); und es haben die Bauern nicht Recht, daß sie einer Herrschaft ein Gesetz machen wollen. Daß sie nicht mehr leibeigen sein und die bisherigen Zinsen nicht geben wollen, ist ein großer Frevel. (…) Auch nennet Gott das weltliche Regiment ein Schwert; ein Schwert aber das soll schneiden usw. usw.“

Was aber hatte Thomas Münzer, ein zutiefst menschlich empfindender, bis zu seinem Tod für die Befreiung der Geknechteten kämpfender Mann (den Luther folgerichtig haßte wie nicht mal den Papst), in und von diesem Abendland zu erwarten? Das: Schändung sogar des Leichnams, Ächtung seiner Verdienste und Lehren noch drei Jahrhunderte später, bevor Wilhelm Zimmermann Münzers Bild neu zeichnete:

[Er wurde 1525] aus dem tiefen Turm zu Heldrungen hervor und ins Lager vor Mühlhausen geholt, um hier, an den Wagen festgeschmiedet, enthauptet zu werden. (…) Da erhob sich der Angeschmiedete; weder die greulichen Martern der Folter und der Haft, noch der Anblick des Todes hatten die Kraft dieses Geistes zu lähmen oder zu brechen vermocht. (…) Er gestand, daß er „allzu Großes, daß er über seine Kräfte Gehendes gewagt habe, und redete den Fürsten ernst ins Gewissen, mit Vermahnung, Bitte und Verwarnung, daß sie den armen Leuten, ihren Untertanen, nicht mehr gar so hart sein sollten, so dürften sie solcher Gefahr nicht mehr gewärtig sein. (…)“
(…) Dann fiel der Streich, sein Rumpf wurde gespießt, der Kopf am Schadeberg auf einen Pfahl gesteckt (…).

Wie sagte F. W. Bernstein neulich? Ich wiederhole es gern: „Unser sogenanntes christliches Abendland war doch ein Sauhaufen erster Güte.“ _Über unsere europäischen Spitzentraditionen, aber auch über den Ausnahmedeutschen Wilhelm Zimmermann demnächst mehr; ist bloß (seufz) eine Frage der Zeit.

 * Wilhelm Zimmermann: Geschichte des großen Bauernkrieges. Nach Urkunden und Augenzeugen. (Neue, überarbeitete Auflage von 1856.)

Illustrationen: Diebold Schilling, upload Adrian Michael – Separatdruck zur Luzerner Chronik, Ciba-Geigy 1/1973 (Ausschnitte)

Quelle: Wikimedia commons

 


Sonntag, 1. Februar 2015 23:40
Abteilung: Man schreit deutsh

Ein Kommentar

  1. 1

    Tschieses sagt:
    „Ich bin nicht gekommen, um bloß Frieden zu bringen, sondern auch das Schwert.“ (Mt. 10,34-35)


    Ich hoffe, daß dies nicht Ihr Konfirmations-/Kommunionsvers ist. KS

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