Bored beyond belief (10): Hotel Kubrick

Wenn ich mir jetzt einen Baseball kaufe und ihn den lieben Tag lang gegen die Wand schmeiße … Wenn ich nie mehr etwas anderes schreibe als: „All work and no play makes Kay a dull boy“ … Wenn ich mit Barkeepern rede, die gar nicht da sind, und wenn ich eine mehr als bedenkliche Beziehung zu Feueräxten entwickle … Dann liegt es nur daran, daß ich in der Nacht zum 2. November im „Overlook“ übernachtet habe. Ja, genau, in dem Hotel aus Stanley Kubricks „The Shining“.

Zugegeben, die Herberge, in der ich mich aufhielt, heißt in Wirklichkeit nicht so, und sie steht auch nicht in den verschneiten Rocky Mountains, sondern im verregneten Hannover. Aber warum Jack Torrance jeden Bezug zu Welt und Wirklichkeit verliert, nachdem er das „Overlook“ betreten hat – das habe ich nun erst richtig begriffen.

Durch diese verwaisten Korridore, labyrinthisch um die Feuertreppe gewunden, von Totenlichtern erhellt, an einer Flucht stummer Türen vorbeischleichend –

– darf man schon mal erwarten, zwei kleinen Mädchen zu begegnen, die mit einem spielen wollen, während ihnen das Hirngelee aus den zertrümmerten Köpfchen quillt.

Horch! Was ist das? Da hat doch jemand geseufzt … gestöhnt! Oder ist das ein Lachen – ein Kichern – ein Wimmern? Nein. Nur der Wind in den Luftschächten. Und dieses Knarren? Das sind meine Knie.

Angesichts der sehkranken Dessins der Auslegeware würde auch ein stabiles Gemüt aus der Spur geraten. Wieviel wirrer muß ein Sensibelchen wie ich reagieren! Der Innenarchitekt, der hier am Werk war, hatte offensichtlich nicht vor, den Gast einzulullen, ihn in der falschen Sicherheit zu wiegen, hier sei er zu Hause, geborgen gar. In einem Hotel ist der Mensch niemals daheim – es sei denn, er bliebe „für immer … und immer … und immer“. Der Flurteppich als Menetekel: Reisender, gib acht! Mißachte die Zeichen, und wir werden‘s dir zeigen!

Das Meisterstück aber lieferte der Raumgestalter mit dem Fahrstuhl:

Grad mal groß genug für einen Passagier mit Gepäck sowie einen wahnsinnigen Hausmeister samt Axt, ist von der Sitzbank, auf der Leichenteile ordentlich abgelegt werden können, bis zum Spiegel, in dem das Grauen sich verdoppelt, diese Liftkabine der ideale Ort, um „Redrum“ an die Wand zu kritzeln. Oder mit dem Zeigefinger Zwiegespräche zu führen. Der Aufzug erzittert und ich mit ihm. Verflucht – warum hält der jetzt an? Ein schabendes Geräusch wie von Beilklinge auf Mauerstein. Doch das ist bloß der Klang der zurückweichenden Türplatten. Und dann spült mich keine Flutwelle aus Blut hinaus.

Im Zimmer erwartet mich das Entsetzen – nicht. Weder verwesende Frauen, die mich verführen wollen, noch sechs Fuß große Hamster, die Männer in Fräcken oral befriedigen. Statt dessen eine Möblierung, die wie aus „Uhrwerk Orange“ und „2001“ verrührt scheint:

Und da wird es mir klar, und die überreizten Nerven beruhigen sich, und als alter Bewunderer danke ich in Gedanken dem Literaturhaus Hannover für die Einquartierung in diesem außergewöhnlichen Etablissement. Denn hier hat ein anderer alter Bewunderer von Stanley Kubrick freie Hand gehabt und durchreisenden Aficionados wie mir eine Freude bereiten wollen. Weshalb ich das „Hotel am Thielenplatz“ ohne Rest empfehle.

Die Damen und Herren vom Personal sind nämlich keine grausamen Gespenster („Ihr Geld ist hier nichts wert“), sondern Menschen von ausgesuchter Freundlichkeit („Alles bezahlt, schönen Tag!“). Das Frühstücksbuffet hat gleichfalls keinen Tadel verdient. Sogar schmack-
hafte Rostbratwürstchen sind zu haben, und nur einem Narren würden beim Anblick dieser Delikatesse die abgehackten Finger eines Ritualopfers einfallen. Und, last but not least, gibt es im Hotel kein Zimmer 237. Das sagt dann ja wohl alles über meine perverse Phantasie und ihr Zerplatzen,
einer Geiferblase gleich, an der heiteren Realität.

Ganz frei von Horror verlief meine Nacht im Hotel Kubrick allerdings nicht. Im Spätprogramm zeigte nämlich Das Erste die Wiederholung des „Rommel“-Dreckstücks von Niki Stein. So gruselig wie deutsches Fernsehen, wenn es einen deutschen Kriegsverbrecher dem deutschen Zuschauer als deutschen Menschen vorführt, der doch nur das Beste wollte fürs deutsche Vaterland – so schauderhaft ist nicht einmal „The Shining“. Vom Ekel zu schweigen: „I know all about cannibalism. I saw it on TV“ (Danny Torrance).


Sonntag, 4. November 2012 1:08
Abteilung: Bored beyond belief, Moving Movies, Selbstbespiegelung

4 Kommentare

  1. Volker Schönenberger
    Sonntag, 4. November 2012 22:50
    1

    Gröl! Hoppla – ich hoffe, dieses Gegröle überschreitet nicht das Mindestmaß an Manieren. Wie auch immer – da hat jemand seinen Kubrick noch gut vor dem inneren Auge. Schön geschrieben, fein visualisiert. Interessant zu wissen wäre noch, ob die Hotelbetreiber diesen Text als Werbung für ihr Hotel empfinden, so sie ihn denn zu Gesicht bekommen. Ich würd’s tun. Besten Gruß,
    Volker

    Solches Gegröle genehmige ich doch sofort! KS

  2. 2

    Diese Bilder sind echt der Hit, vor allem das „Fahrstuhlfoto“, und die Geschichte phantastisch, das hat mit doch eben meinen öden Arbeitstag sehr versüßt.

    Der Autor dankt und nimmt sich vor, künftig nur noch in Gruselhotels abzusteigen. KS

  3. 3

    GROSSARTIG!
    Da möchte man ja spontan sofort ein paar Nächte verbringen. Am besten im Fahrstuhl.
    Zu Nervenberuhigung sollte man dort diesen sehr hübschen Recut-Trailer des Films ansehen:
    http://www.youtube.com/watch?v=6s40Q6ODSI8

  4. 4

    Vielleicht gab’s ja ein Zimmer 1408?

    Natürlich nicht – der Film ist doch nicht von Kubrick. KS

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