Die Spezies hat‘s verkackt (1)

Inhumanity, n. One of the signal and characteristic qualities of humanity.“
Ambrose Bierce,
The Unabridged Devil‘s Dictionary
(1911)


Der große Dichter Hermann Peter Piwitt spricht, wenn es um die Art Mensch geht, gelegentlich von „Killeraffen“. Das ist, finde ich, zu freundlich ausgedrückt. Die ebenso egozentrische wie blinde Zerstörungswut unserer Gattung ist über bloße Verbrechen an der Materie, lebendiger wie lebenswichtiger, noch weiter hinaus als über den letzten Termin zur Erhaltung des heutigen Weltklimas; humaner Vernichtungswahn läßt sich im fortschreitenden 21. Jahrhundert nur mehr mit Vokabeln aus der Psychopathologie benennen. Die allgewaltigen Primaten sind kollektiv irre geworden – irre an ihren Möglichkeiten und ihrer eingebildeten Wirklichkeit, irre zuletzt an sich selbst.

Es hat ein Jahr begonnen, in welchem das Niedrige, Sadistische, Blutrünstige des Homo s. s. zu einer Entfaltung kommen könnte wie seit 1945 nicht mehr, ein Jahr, in dem die Bosheit, die der Mensch seiner Intelligenz verdankt (und die leider nicht aufgewogen wird durch die raren giftfreien Früchte dieser Intelligenz, Mozarts Musik etwa oder Hilary Hahns Violinspiel), alles zu dominieren droht.

Optimismus, es könne von der einzigen planetenumspannenden Biosphäre, die wir kennen, von diesem kosmischen Wunder etwas bleiben, scheint mir naiv; Zorn aus Verzweiflung hingegen nicht. Deshalb starte ich eine neue Serie in diesem Weblog. „Die Spezies hat‘s verkackt“ soll Belege für die Unzurechnungsfähigkeit der Menschheit versammeln, Dokumente ihrer Mißachtung jedes anderen Lebens, Spuren der Maßlosigkeit, mit der unser selbstgerechter Herrschaftstrieb die Eine Welt nicht nur untertan, sondern tot macht. Als alter Freund von Happy-endings lasse ich auf das Indiz des Irrsinns jedoch ein bißchen Hoffnung folgen für Mutter Gaia und ihre unschuldige Brut, Hoffnung zumindest auf Rache. (Hinweise aus dem Blog-Publikum nehme ich übrigens gern entgegen.)

__________

Beweisstück 1: Herren der Lüfte
Die britische Zeitung The Guardian titelte am 14. Januar 2017:

Nearly 70,000 birds killed in New York in attempt to clear safer path for planes

2009 mußte der Pilot Chesley Sullenberger einen Passagierjet im Hudson notwassern, nachdem das Flugzeug einen Schwarm Wildgänse zerschreddert hatte. Seitdem nimmt man auf New Yorker Start- und Landebahnen alles unter Feuer, was zum Fliegen geboren ist:

Port Authority data of bird slaughter around the major New York City area airports between 2009 and last October show thousands of smaller birds were also swept up.
Of the 70,000 birds killed during that time, the most commonly killed were seagulls [Möwen], with 28,000 dead, followed by about 16,800 European starlings [Stare], nearly 6,000 brown-headed cowbirds [Braunkopf-Kuhstärlinge] and about 4,500 mourning doves [Trauertauben]. Canada geese [Kanadagänse] come in a little further down the list, with about 1,830 dead.

Und hat dieser fürsorgliche Massenmord die Sicherheit der Flugmaschinen erhöht? Im Gegenteil:

An Associated Press analysis of federal data shows that in the years after bird-killing programs at LaGuardia and Newark airports were ramped up in response to the so-called „miracle on the Hudson“, the number of recorded bird strikes involving those airports actually went up.

Je intensiver die Tiere bejagt werden, desto häufiger geschehen Kollisionen, zumeist mit kleinen, für den Flugbetrieb ungefährlichen Vögeln, die vom Dauergeballer der Flugplatzjäger aufgescheucht werden:

Combined, the two airports went from an average of 158 strikes per year in the five years before the accident to an average of 299 per year in the six years after it, though that could be due to more diligent reporting of such incidents.

Könnte sein; und ändert nichts an der Nutzlosigkeit der Schlächterei. Neben der sogar H. G. Wells‘ herzlose Marsianer wie bessere Menschen wirken.



***

Strafmaßnahme 1: Waterboarding
Ebenfalls im Guardian, am selben Tag, steht das:

In East Antarctica, 3,000 km south of the West Australian town of Albany, an ice shelf the size of California is melting from below.

Sollte der Totten-Gletscher kalben und anschließend das Schmelzwasser des gigantischen Eisschelfs abfließen, könnten die Spiegel der Ozeane um dreieinhalb bis sechs Meter steigen. Es sieht nicht so gut aus für Grundstücke in Meeresnähe:

The concerning trend was confirmed by Australian scientists in December, who reported that warming ocean temperatures were causing the rapid melt of the end of the Totten glacier […]

Die Geophysikerin Dr. Tara Martin detailliert:

[If] the whole ice tongue melts away, potentially the whole glacier could rush out to sea over a geological timescale, and we don’t know what that timescale is.

Könnte also auch eine weniger geologische Zeitspanne sein.

Photos:
Birds & Korean air cargo 747 (6332206142)” (Ausschnitt),
by Maarten Visser from Capelle aan den IJssel, Nederland (Birds & Korean air cargo 747) [CC BY-SA 2.0],
via Wikimedia Commons

Two men removing the bird from the front glass of plane after bird strikes a plane“,
by U.S. Fish and Wildlife Service [Public domain],

via Wikimedia Commons

10 Kommentare

  1. 1

    Sechs Meter? Da kann man sich ja in der „Elphi“ gar nicht mehr auf die brillante Akustik konzentrieren, weil man Angst haben muß, daß in der Tiefgarage der Cayenne absäuft. Merde alors!

    Danke für diese schöne Einordnung der abortschüsselhaften Weltverhältnisse! KS

  2. 2

    Ist es nicht so, daß die Wasserverdrängung einer Eisscholle identisch ist mit der Menge des Wassers des geschmolzenen Eises, daß also der Wasserspiegel nicht steigt? Etwas anderes wäre es, wenn es sich eben nicht um eine Scholle handeln würde, sondern um Eis auf festem Grund und Boden. Meines Wissens macht das eben den Unterschied zwischen Arktis (kein Festland) und Antarktis (Festland) aus.

    Lieber Andreas Laaß, Sie haben natürlich recht, auch der „Guardian“ hat’s richtig aufgeschrieben – den Bock habe ich ganz allein geschossen, indem ich „ice shelf“ mit „Eisscholle“ übersetzte; schön doof. Ihr kluger Hinweis hat sich bereits im Blogpost niedergeschlagen, und ich habe für Ihre Aufmerksamkeit zu danken. KS

  3. 3

    Massenmord an Flugplatzvögeln und kalbende Gletscher, die den Meeresspiegel steigen lassen – die Kombination macht dir so schnell keiner nach. Respekt! Schön auch das Zitat von Ambrose Bierce zum Einstieg. War mir neu. Ich harre ungeduldig der Fortsetzung dieser neuen Serie.

    Wird aber nicht erfreulicher werden, so viel ist mal sicher. Danke für die Ermunterung! KS

  4. 4

    Zu „Elphi“ bzw. Hafencity und Klima ein kleines Detail, das vielleicht nicht vielen bekannt ist: Die Tiefgaragen der Hafencity sind ungefähr so stark beheizt wie das Zimmer eines Altersheimbewohners. Ich habe mich mal sehr darüber gewundert, bis es mir ein Kollege erklärte: Es liegt an der unterirdischen Feuchtigkeit an der Waterkant. Man kann das mit dem Wort „Wahnsinn“ kaum noch angemessen beschreiben.

    Das Detail kannte auch ich noch nicht. Paßt aber wie gemalt zu der aufgeheizten Immobilienblase Hafencity. – Merci für die Aufklärung! KS

  5. 5

    Ich habe gerade das Buch „Bodenrausch“ von Wilfried Bommert gelesen. Es ist niederschmetternd. Es ist zum Aufgeben jeglicher Hoffnung. Auch wenn (wie in so vielen anderen ähnlichen Büchern) am Ende „Lösungsmöglichkeiten“ gezeigt werden.
    Die Spezies hat es wirklich verkackt.
    Was die Eisschmelze betrifft: Da freuen sich doch Leute drüber, daß die Fahrt nach China billiger wird, wenn man die kürzere Route durch das Nordmeer nehmen kann.
    Und wahrscheinlich machen sich schon irgendwelche Leute Gedanken darüber, wie man am besten die neu zugänglichen Gebiete in Kanada, Alaska und Grönland nutzen kann.

    Die werden wir auch brauchen: Neulich hat mir der Fernseher erzählt, daß die Wüstenflächen der Erde jährlich um 130.000 Quadratkilometer wachsen. Das ist zweimal Irland (inklusive brit. Mandat). Weit gebracht, Menschheit, Respekt! KS

  6. 6

    Die Spezies hat`s doch nicht verkackt, im Gegentum. Wesen auf der Scheibenwelt, die sich Unendlichkeit nicht vorstellen können, biologisch angepaßt an ein Leben als Jäger und Sammler („Nimm was Du kriegen kannst, wer weiß, wann Du`s brauchst“), sind wie ein Feuerwerk zu schnell aufgestiegen und haben wunderbare Gedanken, Musik und Dinge ersonnen. Bald ist das Feuerwerk vorerst beendet, was soll`s? War doch trotz aller schlimmen Dinge unterm Strich schön. Also für mich zumindest …
    Optimismus: Die Sonne brennt noch 5-6 Milliarden Jahre, da ist noch für alternative Wesen mit Ich-Bewußtsein und opponierbaren Daumen (Zehen, Tentakeln …?) Zeit.
    … Ich hab`s wieder nicht verstanden, oder?

    Sie haben es sogar sehr gut verstanden. Was mich besorgt, ist mittlerweile auch nicht mehr das Ende der Killeraffen, sondern der immer kleinere Genpool, aus dem evtl. was Klügeres als wir kommen könnte. DA haben wir’s nun wirklich verkackt. – Die Erde ist ein verdammt zäher Planet, aber unter Venus-Bedingungen reicht’s allenfalls für Bakterien und Algen. KS

  7. 7

    Vorschlag: Statt einer Apokalypse gibt es einen richtig würdelosen, schleichenden Abgang. Alle weg, aber nicht mal mit Knall, sondern so öde, wie sie halt waren.

    Gefällt mir, die Vorstellung. Wie bei T. S. Eliot: „… with a whimper“. – Und meinen Lesern empfehle ich einen Besuch des Weblogs von Fabian. Einfach auf den Namen des Kommentators klicken. KS

  8. 8

    Na holla, eine Empfehlung von einem der ganz Großen! Danke vielmals!
    Nebenbei: Zu den Venusbedingungen hat Dietmar Dath ja eine ganz andere Meinung. Immer diese Technikoptimisten! (Aber lesenswert, und wie!)

    Ich bin nicht so gut in Dath – wollen Sie vielleicht den Titel verraten? KS

  9. 9

    Venus siegt, sehr mutiger Science-Fiction-Entwurf.

    Wenn Sie es sagen! Vielleicht überwinde ich mal meine Abneigung gegen den Schnellschreiber Dath und schau mir das an. Bei solch einer Empfehlung! KS

  10. 10

    Dietmar Dath: Venus siegt.

    Danke für den Link! KS

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