Nach 54 Jahren und 262 Tagen

hat der HSV es endlich geschafft, die 1. Fußballbundesliga zu verlassen.

Um diesen großen Moment gebührend zu begehen, kramt der „Abfall“ im Altpapier und wiederholt einen Nekrolog auf den „Dino“, der bereits am 23. Mai 2015 in der „Taz“ erschien. (Freunden angewandter Fußball-Lyrik empfehle ich außerdem meine „HSV-Epitaphe“. Mehr habe ich zu der Angelegenheit wirklich nicht zu sagen, und ich mag auch nimmer.)

***

Nachruf auf den Haffau

2008 wurde unter großem Marketing-Radau auf dem Hauptfriedhof Hamburg-Altona eine Begräbnisstätte eigens für HSV-Fans hergerichtet. Der Totenacker ist der legendären „Westkurve“ nachgebildet und liegt nur wenige Meter vom Volksparkstadion entfernt, das heute „Imtech Arena“ heißt und leider keine Westkurve mehr hat. Wenn man dieser Tage ein Symbol für den Niedergang des Hamburger Sport-Vereins sucht, hier kann‘s gefunden werden: In sieben langen Jahren wurden keine sieben Gräber in das fußballfeldgroße Areal gebuddelt. Andernorts möchte man vielleicht über den Tod hinaus seinem Verein die Treue halten. Für Anhänger des HSV ist dies jedoch schon im Leben die Hölle.

Sie haben einfach zuviel Peinlichkeit erfahren müssen, zuviel Groteskes gesehen, zu viele Enttäuschungen und überhaupt keine Freude erlebt. Bescheiden geworden, erwarten sie von ihrem Team schon lange keinen Titel, sie erwarten überhaupt nichts mehr. Sie können sich nicht mal vorstellen, daß es je ein Ende haben wird mit dem Dilettantismus im Vorstand, dem Spreizsenkplattfußball der Truppe, mit den Durchhalteparolen und faulen Ausreden. Alle Ungläubigen sollten hierher, zum „HSV-Grabfeld“, kommen, um zu erkennen, daß es für alles auf Erden ein Ende gibt.

Durch das Maigrün der Linden ist eine Tribüne des Stadions zu sehen und zwischen deren Stahlträgern eine blauweißschwarze Raute. Die war einmal das Markenzeichen des Klubs, bevor blinder Aktionismus sein heutiges wurde. Kennt irgendwer die Namen aller Übungsleiter, die in den vergangenen fünf Spielzeiten verschlissen wurden? Als Bruno Labbadia im April Joe Zinnbauers Posten übernahm, tweetete ein Spaßvogel, der HSV habe in dieser Saison mehr Trainer als Punkte gesammelt. Spott und Hohn: Dafür ist dieser Verein noch gut. Aber sonst?

Es ist recht still auf dem HSV-Friedhof, kaum eine Amsel verirrt sich hierher. Am Samstag dürfte es allerdings noch einmal laut herüberwehen aus dem Stadion, das Fluchgebrüll und Wehgeschrei der Fans. Denn dann wird sich gegen Schalke 04 entscheiden, ob der Hamburger Sport-Verein absteigen muß oder – sofern Paderborn nachhilft – die Chance auf Relegationsspiele erhält. Das wäre purer Dusel, doch kein Glück. Jedenfalls nicht für mich.

Es ist bald vier Jahrzehnte her, daß ich dem HSV ewige Treue schwor. Damals kam Kevin Keegan, die mächtige Maus, an die Elbe und leitete eine Dekade des Glanzes, des Glücks und der Gloria ein. Der HSV, beziehungsweise, wie der maulfaule Hansestädter lispelt: „Haffau“, sammelte alle Titel ein, die zu haben waren, und spielte unter der genialen Regie Ernst Happels Fußball wie von einem anderen Stern. Mit „Anschyls“ Abschied 1987 begann der zähe Untergang des Haffau, eine Schmierseifenoper mit Dutzenden überbezahlten, unterbelichteten Darstellern. Hin und wieder, unter Frank Pagelsdorf und Thomas Doll, mit dem jungen Rafael van der Vaart oder dem reifen Rodolfo Cardoso schien es, als könnte der Klub zu alter Größe zurückfinden. Aber bereits in der nächsten Spielzeit dominierte wieder nur die Großkotzigkeit eines Jürgen Hunke, Bernd Hoffmann oder Pierre-Michel Lasogga.

Ich bin diese Figuren so leid, daß ich mit dem Haffau nicht mal mehr leiden kann. Und ich freue mich sehr darauf, die dämlichste aller Figuren bald nie mehr sehen zu müssen: „Hermann“, das Knuddelmaskottchen. Dieser fette Plüsch-Dino – eine ästhetische Zumutung für jeden Dreijährigen und eine Unverschämtheit gegen den verewigten Masseur der Profiabteilung Hermann Rieger – soll das einzige Plus des Vereins verkörpern, nämlich die Zugehörigkeit zur Bundesliga seit ihrer Gründung. Wer, um Himmelswillen, kommt bloß auf die Idee, sich ein ausgestorbenes Tier als Glücksbringer zu wählen? Nur der HSV.

Auf dem Heimweg vom Friedhof kehre ich im „Stadion-Eck“ ein, um ein Bier zu trinken. An den Wänden hängen Fan-Schals und Photos aus besseren Zeiten. Niemand hat Lust, über den Schicksalstag zu reden. Eine Frau, die genauso viele Jahre auf der Welt sein dürfte wie der HSV in der Bundesliga, erzählt mir statt dessen, sie habe soeben an einer Beisetzung teilgenommen. „Der Tod“, sagt sie mit tapferem Lächeln, „hat auch was Positives.“ Wenn das kein passendes Schlußwort ist.


Samstag, 12. Mai 2018 17:57
Abteilung: Selbstbespiegelung, Unerhört nichtig

5 Kommentare

  1. 1

    Keine Ahnung wieso man sich an so einem Thema abbarbeiten sollte?

    Kommt da noch was Gedankenähnliches oder kann das weg? KS

  2. Fluchtwagenfahrer
    Montag, 14. Mai 2018 7:03
    2

    Moin Hr. S,
    Sie haben mein Beileid.
    Obwohl, IMTECH, HSV paßt.
    Glück auf!

    Danke für Ihr Mitgefühl, aber ich bin tatsächlich froh, daß es mit dem Abstieg endlich geklappt hat. KS

  3. 3

    Aus Anstand hier ein toller Song im Original, obwohl die Coverversion (mit dem legendären „Schießt Kevin Keegan ein Tor …“) göttlich ist:
    https://www.youtube.com/watch?v=TFL16LpxtVU
    Und etwas Lyrik der groben Art – ich entsinne mich dunkel, das schon in meiner Kindheit vernommen zu haben, aber vor einiger Zeit haben meine zehnjährigen Töchter es zum Besten gegeben (Vorsicht obszön):
    HSV ist ne Sau, steckt den Piller in Kakao!
    Um die Frage des Publicviewers aufzugreifen: Warum sollte man sich an so einem Thema abarbeiten?
    Ist doch logisch: weil man’s kann!

    Was ich eine Frage nenne, die gar keine ist. – Ich warte also weiter auf einen Gedanken von Publicviewer. Aber da kann ich ganz, ganz lange warten, garantiert. – Deine Töchter sollten sich mal den Mund mit Seife auswaschen. Empfiehlt (mit Referenz an Ma Dalton): KS

  4. 4

    Fußball ist nicht mein Thema. Multimillionären bei der Arbeit zuzusehen und dafür auch noch Geld zu bezahlen – nein danke. Daher halte ich mich bedeckt.
    PS: Bin mehr so für die großen Städtemarathons. Vorne die Bleistifte und hinten die Radiergummis.

    Das ist alles okay. – Es geht in meinem Text aber auch gar nicht um Fußball, sondern um …
    Ach, warum merkt eigentlich niemand, was ich sehr deutlich aufgeschrieben habe? Bzw.: Halten die Kommentatoren dieses Blogposts den „Faust“ womöglich für ein Drama über die Gefahren der Satansbeschwörung? Oder „Moby Dick“ für ein Greenpeace-Flugblatt? – Nicht, daß ich meinen Kram mit diesen Geniestreichen vergleichen möchte. KS

  5. 5

    Von diesem Fußball-Verein weiß ich nicht so viel, aber ich kann verstehen, daß die Auflösung nach 40 Jahren Treue eine gewisse Traurigkeit hervorruft. Deswegen möchte ich hier nur mein tief empfundenes Mitgefühl ausdrücken.
    Fußball kann schön und traurig sein. Mein Favorit war lange Zinedine Zidane. Als er allmählich verschwand, erging es mir ähnlich. So ist das eben. Ach ja, und ich weiß auch, was ein Abseits ist.

    Merci für Ihr Mitgefühl! Aber (ich wiederhole mich): ich bin tatsächlich froh, daß das Gewürge des „Dinos“ in der Bundesliga vorbei ist. Ohne einen Hauch Ironie. Ich glaube, daß sogar Uwe Seeler keine Lust mehr auf all die Peinlichkeiten hatte, die in den vergangenen fünf, ach was, dreißig Jahren beim „Haffau“ passierten.
    „Zizou“ dürfen Sie auch weiterhin mögen; einer der feinsten Menschen im Profifußball bis heute. Wer die Ehre seiner Schwester höher schätzt als einen WM-Titel, der ist ein Vorbild für und für. (Ich meine die Kopfnuß, die Zidane dem Lumpen Materazzi 2006 im Finale verpaßte.) KS

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