Schwammintelligenz (3): À votre santé !


Ich muß erst mal mich selber zitieren, bevor ich zur Sache komme:

Es ist nichts Besonderes, eine Meinung zu haben. Jeder Mensch hat eine, manchmal sogar eine eigene. […]
Daß zum Schreiben mehr gehört als der Besitz einer Tastatur, daß Denken erst beginnt, wo es sich in Frage stellt, daß, drittens, die Angst, sich vor sich selbst zu blamieren, schon kennen sollte, wer den Talmimut der ano- bzw. pseudonymen Meinungsbekundung reklamiert –: ist den gemeinen Online-Schwaflern so egal wie alles, was ihren Kopf dazu anhalten könnte, ihn ernsthaft zu benutzen. Gewiß ist das Meinunghabendürfen ein Menschenrecht. Das Schweigen allerdings auch. Auf ein Wort, das man in die Welt setzt, sollten hundert Sätze kommen, die im Papierkorb landen.

Und nun ein Musterbeispiel schwammiger Intelligenz, wie es sogar in den Foren von Spiegel online nicht oft vorkommt. Ich hab‘s heute nachmittag unter dem Teaser für ein Interview in der neuesten Holzausgabe aufgelesen („Mediziner beklagt Geldgier: ‚Die Ärzte verdienen am Sterben‘“)

Rambazamba_SPON_27-08-16

SPON-Forum, 28.08.16


Müßte ich einen Online-Kommentar fingieren, der „alles so krank” enthält, was die meisten Online-Kommentatoren gemein haben – Viertelbildung, Größenwahn, Wichtigtuerei, Paranoia, schlechtes Deutsch, blanke Idiotie –, er könnte nie so idealtypisch ausfallen wie dies imbezile Geschwalle, verfaßt von einem Menschen, der sich „rambazamba1968“
nennt und dies wahrscheinlich für witzig hält statt für eine Selbstentlarvung.

Ich halte diesem Menschen zugute, es eigentlich nicht böse zu meinen. Doch wer sich so gar keine Mühe gibt, beim öffentlichen Meinen seine schöne Mutter Sprache pfleglich zu behandeln, wer nicht im Ansatz überprüft, ob die Gedanken, die durchs Hirnkastl flackern und flunkern, mehr sind als Wahnvorstellungen –: Der wird eigentlich nur Schlechtes schreiben und eventuell sogar bewirken.

„Wir haben ein überragendes Gesundheitssystem“ etwa ist so ein Satz, der allein dann stimmen würde, wenn das Adjektiv fehlte; aber aufs Beiwort kommt‘s an, damit dies hier kommen kann: „Viele Länder beneiden uns dafür und reisen um den ganzen Globus.“ Zwar beneidet niemand irgendwen „für“, sondern ausschließlich um etwas. Aber im Kontext ergibt der sprachliche Fauxpas exakt den Sinn, der keinen hat. Denn daß „viele Länder“ gleich Kreuzfahrtschiffen „um den ganzen Globus“ reisen, schreibt eins nur dann hin, wenn es weder eine Vorstellung vom Globus oder den Ländern noch eine tiefere Kenntnis von irgendwas hat.

Ich möchte nicht jeden Satz dieses peinlichen Dokuments kommentieren; das nähme ihm seine, wiewohl unfreiwillige, Komik. Aber ich möchte die Psychologen unter meinen Lesern fragen, wie und weshalb Rambazamba1968 sich dahin verstieg, dies hinzutippen:

Wenn Eltern Ihren Kindern (2–9 Jahre) z. B. Cola geben, gehören Sie für mich wegen Körperverletzung vors Gericht, um das mal ganz klar zu sagen.

Ich finde keine Erklärung für solche bodenlose Blödheit als: Blödheit. (Warum, bspw., dürfen Eltern ihren Einjährigen Cola geben, ohne vor Rambazambas imaginiertem Volksgerichtshof zu landen? Vertragen Neugeborene den Zuckerschock besser? Und was macht Neunjährige schutzbedürftiger als ein zehnjähriges Kind?)

Vielleicht fällt Ihnen mehr dazu ein als mir. Ich bin – um das mal, für mich, ganz klar zu sagen – überragend gespannt.

Abb.: „Brain of someone described as an ‚idiot‘“, by Fæ,
s
ee page for author [CC BY 4.0], via Wikimedia Commons


Sonntag, 28. August 2016 0:42
Abteilung: Aufgelesen, Schwammintelligenz

12 Kommentare

  1. 1

    Ich hätte da eine Erklärung: Sobald der von dir Zitierte sein zehntes Lebensjahr vollendet hatte – das war vermutlich 1978, im nämlichen Jahr übrigens, als die Paten der Ferrero-Mafia nach geheimer Absprache mit kinderhassenden Eltern und profitgierigen Ärzten ihre todbringende Milchschnitte ins sich bis dahin volkskerngesund (Eisbein! Toast Hawaii! Schwarzwälder Kirsch!) ernährt habende Deutschland (West) einschleusten –, begann er damit, besagte Mörderschnittchen tagtäglich in sich reinzustopfen und mit literweise Cola runterzuspülen. Das viele Fett, von den Bergen raffinierten Zuckers ganz zu schweigen, führte dann etliche Jahre später zu irreversibler Schrumpfung bestimmter Bereiche des mittleren Temporallappens des Zitierten. Daß ein Übermaß an Fett und Zucker solche Atrophie und in der Folge bodenlose Blödigkeit bewirken kann, das haben neulich irgendwelche Ärzte rausgefunden. Ich bin nun allerdings nicht mehr ganz sicher, ob man denen wirklich noch über den Weg trauen kann.
    Und deshalb geh ich jetzt schnell ins ζαχαροπλαστείο um die Ecke und kauf mir noch ein paar von den mörderisch leckeren Dingern, die sie dort aus haufenweise Sacchariden (und jeder Menge Fett) zusammenbasteln. Und falls ich davon wirklich bodenlos blöd werden sollte, dann kann ich ja immer noch meine restliche Lebenszeit damit verbringen, in diversen Spiegel online-Foren herumzukommentieren.

    Oder Schöffe werden, wenn Eltern angeklagt sind, ihre Kinder mit Cola körperverletzt zu haben. KS

  2. 2

    Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum Sie diesen Kommentar zur öffentlichen Präsentation ausgewählt haben.
    Vielleicht mag es an meiner unzureichenden Fähigkeit im Umgang mit der deutschen Sprache liegen, aber finde ich doch, daß die Aussage des Kommentars gut verständlich ist.
    Mit Sicherheit sind diverse Dummheiten darin verpackt. Aber wäre nicht eher das genaue Gegenteil etwas Besonderes im Netz?
    Viel eher sollte man dem Schreibenden zujubeln, daß in seinen Augen nicht die Ausländer an aller Misere schuld sind. Andere würden vielleicht verlangen, daß eine Stärkung der Polizei unser Gesundheitssystem retten würde oder bessere Überwachung die Arbeit der Ärzte erleichtert.

    Lieber Herr Becker, vielleicht können Sie stellvertretend für mich mal nachvollziehen, warum jemand „in seinen Augen“ Gerichtsverhandlungen gegen Eltern fordert, die ihren Kindern erlaubt haben, eine Cola zu trinken. Nachvollziehbar, das heißt: einleuchtend und rational. Ich werde Ihre Erkenntnisse gern zur öffentlichen Präsentation auswählen. – Freilich: Der Nachvollzug wird nicht gelingen, denn „Rambazamba1968“ ist schlicht ein Dummschwätzer. Und deshalb bleibt hier bis zum Ende meines Provider-Abonnements stehen, was Ihrer, durchaus geschätzten, Meinung nach hier nicht stehen sollte. KS
    PS. Und Sie kriegen wirklich keine Grübelfalten, wenn Sie von Ländern lesen, die um den Globus reisen?

  3. 3

    Bei „rambazamba 1968“ handelt es sich bestimmt um Daniel Lüdke, der sich freut, über einen Umweg einen weiteren Trollkommentar in dieses (ich gewöhne mich daran) Blog zu schmuggeln.

    Hört sich plausibel an. KS

  4. 4

    Aber noch mal im Ernst. Ihr Text oben, lieber Herr Sokolowsky, gehört zu jenen, bei deren Lektüre ich Ihre Schreibe immer gerne genieße.
    Allerdings: Kann man es jemandem, dem wahrscheinlich Zeit seines Lebens eingeredet wurde, daß Länder ein Fußballspiel gewinnen, oder gar Weltmeister werden können, verübeln, daß er auf die Idee kommt, Länder könnten reisen?
    Neu ist mir nämlich auch, daß Kreuzfahrtschiffe reisen können. Ich dachte immer, die werden gefahren, und reisen tun die Passagiere.
    Aber vielleicht irre mich auch schon wieder: „Kommt ein Kreuzfahrtschiff ins Reisebüro …“
    Heute in der ausnahmsweise überflogenen Druckausgabe der „Mopo“: Ein Kurzbericht über „Röntgenanlage“, die Geburtstag feiert (die vom Zoll).
    Wie soll da einer durchsteigen, der das alles glaubt, was er liest?

    Lieber Karsten Wollny, Ihre Menschenfreundlichkeit ist ohne Zweifel größer als meine, und Sie haben recht, wenn Sie einen Zusammenhang zwischen dem Kackdeutsch der Journalisten und dem meines Opfers herstellen. Allerdings werde ich auch weiterhin keine Gnade kennen mit Leuten, die glauben, sie müßten ihre Meinung veröffentlichen, ohne auch bloß einen Moment ihre Schriftstücke selbstkritisch zu überdenken.
    Wer sich also coram publico wie ein Weltweiser aufführt, aber wie ein Depp schreibt, der muß damit rechnen, von mir eine geschmiert zu kriegen. Denn: „Wenn man wie ich alt, arm, krank, erniedrigt und beleidigt ist, hat man nicht mehr den Hochmut und die Lust, sich seine Feinde auszusuchen. Der erste beste genügt. Er ist gut gegen Gallensteine. Das ist die Hauptsache.“ (Roland Topor, „Die Wahrheit über Max Lampin“)
    „Reisen“ kann übrigens alles, was sich durch den Raum zu bewegen vermag, also auch ein Schiff (sofern Lebewesen drauf sind). Wir snobistischen Klugscheißer nennen das Metonymie. KS

  5. 5

    Einen noch:
    Dürfen Leute, die der Sprache weniger mächtig sind, eigentlich nicht mitreden?
    „Lieber Herr Becker, vielleicht können Sie stellvertretend für mich mal nachvollziehen, warum jemand ‚in seinen Augen‘ Gerichtsverhandlungen gegen Eltern fordert, die ihren Kindern erlaubt haben, eine Cola zu trinken.“
    Vielleicht kann ich Herrn Becker helfen.
    Raucher werden zusehends geächtet, während Kiffer immer mehr Toleranz erfahren.
    Vielleicht hätte ein klügerer Kommentator als „Rambazamba“ eine philosophische Diskussion über die Gesetzeslage eröffnet und dann auf die Willkürlichkeit der Drogengesetze hingewiesen. Und vielleicht hätte er dann zu bemerken gegeben, daß es ja wenig einsehbar sei, daß Eltern, die ihren Kindern Zigaretten oder Joints geben bei uns verklagt werden können, Eltern, die ihren Kindern die in hohen Dosen extrem schädliche Droge raffinierten Zucker geben, aber nicht.
    Ein eloquenter Kommentator hätte damit vielleicht eine Diskussion angeregt, ein „Dummschwätzer“ hat natürlich keine Chance.

    Mitreden darf selbstverständlich jeder; doch ebenso selbstverständlich sollte sich ein Mensch beim Reden/Schreiben die Mühe geben, nicht mißverständlich zu sein. Dazu bedarf es einer gewissen Nachdenklichkeit, auch Übung und vor allem Ehrfurcht vor der Sprache, in der mensch sich ausdrückt. Aber das gilt („gildet“, D. Lüdke) ebenso für Leute, die Musik machen. Niemand möchte einem Musiker zuhören, der sein Instrument nicht mal ansatzweise beherrscht. Oder? Ich weiß nicht, warum es in Angelegenheiten der Wortsprache großzügiger zugehen sollte.
    Und ich frage mich weiterhin, warum jemand Eltern, die es vermutlich nicht besser wissen, gleich vor Gericht stellen will, statt ihnen, z. B. in einem VHS-Kurs, die Grundlagen einer gesunden Ernährung beizupulen. Aber so ist er, der autoritäre Charakter: Geil auf Bestrafung, ignorant gegen jede humane Lösung. Deshalb auch ist „Rambazambas“ Gegreine über die Cola-Eltern so bigott und ekelhaft. Und ich werde nun eine qualmen (Tabak). KS

  6. 6

    Ich bin nicht „rambazamba 68“. Herr Wollny sollte nicht einfach irgendwelche unbewiesenen Behauptungen ungefragt äußern. Sowohl Einfachzucker als auch „Capri Sonne“ finde ich im übrigen großartig!
    Mit freundlichen Grüßen,
    Daniel Lüdke

    Ich habe mir erlaubt, ein „sowohl“ einzufügen. Wenn’s wieder weg soll, bitte bescheid geben. (Und da kommt der Bescheid, und schon ist es gestrichen. Leider!) – Herr Wollny wird sich jetzt hoffentlich schämen! KS

  7. 7

    Ich bedanke mich für den Link zur Metonymie. Wißbegierig wie ich bin, lasse ich mich gerne auch von „snobistischen Klugscheißern“ belehren.

    Aber bitte Abstand halten zu den lümmelhaften Schlauschnackern! – Bei der Gelegenheit: Der lustige Beitrag übers „Binge Listening“ der Beethoven-Symphonien im „Fachmann für Kenner“ („Titanic“) – der ist doch von Ihnen, oder? Danke für den prima Witz! KS

  8. 8

    Man kann beim Lesen von Kommentaren auf „moviepilot.de“ und ähnlichen Seiten genauso ins Kopfschütteln kommen wie beim Lesen von Kommentaren auf „Spiegel online“. Allerdings ärgert man sich da weniger und kommt eher auf lustige Ideen.

    Um mich von der Sprachbarbarei deutscher Online-Kommentatoren zu erholen, lese ich gern englischsprachige Foren. Denn dort bestätigt sich in Stil und Form, was schon Schopenhauer wußte und Karl Kraus zeitlebens geißelte: Kein anderes Volk geht so verächtlich mit dem eigenen Idiom um wie das hiesige. Allerdings ist das Deppen- und Trollproblem international, da gibt’s keinen deutschen Sonderweg. KS

  9. 9

    Lieber Admin:
    Könnte es unter Umständen möglich sein, meinen Kommentar von drei weiter oben von dem „sowohl“ zu befreien? Die Aussagekraft hätte ein wenig mehr stringenter Stringenz als vorher irgendwie.
    Könnte ich mir jedenfalls vorstellen. Ich muß es aber leider erst einmal gesehen haben…
    Wäre untertänigst erfreut:
    Daniel Lüdke

    Jeder soll die Fehler machen, die er nicht einsehen will. Ich versuch ja nur zu helfen. KS

  10. 10

    Zum Glück ist die schöne Musik, die Daniel Lüdke macht, in ihrer Stringenz nicht von Sprache abhängig.

    „Dagegen läßt sich nichts sagen.“ (John Wayne in „Rio Bravo“.) KS

  11. 11

    Lieber Admin:
    Ich habe mir überlegt, daß ich gegen das „sowohl“ in Kommentar Nr. 6 nichts einzuwenden habe. Bitte wieder hinmachen, stört mich doch nicht.
    Allerdings bestehe ich auf „stringenter“ in Kommentar Nr. 9!
    Es handelt sich hier nämlich um einen absoluten Jahrhundertsatz mit vollgeilo Fremdwortgebrauch!
    Auf Wiedersehen, Daniel Lüdke

    Nix da – im ersten Fall bleibt alles, wie’s ist. Game over. Im zweiten Fall habe ich transparent korrigiert. Obwohl ich dir damit keinen Gefallen tu! Aber hier gilt gleichfalls: Game over. Ich muß mich auch mal um andere Dinge kümmern. Brummel. KS

  12. 12

    Und dem feinen Herrn Wollny sei hinter die Ohren geschrieben, daß selten eine von Sprache abhängigerere Stringenz erreicht wurde als von meinem bisher unveröffentlichten Hit „Furzi Pups“.
    Nehmlich!

    Interessenten an Daniel Lüdkes Spitzensong mögen sich bitte beim Admin melden ( admin@kaysokolowsky.de ). Er leitet die Anfragen schnellstmöglich an Lüdke weiter. KS

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