Twitterwitz (1): À la lanterne!

Die „asozialen Netzwerke“ (H. L. Gremliza) rauben Nerven und Zeit. Gelegentlich jedoch schenken sie Erkenntnis und Freude. In dieser neuen „Abfall“-Rubrik will sich der Blogger bei den Nestbeschmutzern bedanken, die seiner täglichen Twitter-Vogelschau einen Sinn verleihen und ihm ein bißchen Glauben ans Menschengeschlecht zurückgeben.
Der „Abfall“-Admin


Sie kochten ihre Larvenschminke
aus unserm Blut und unserm Schweiß.
Sie traten uns vor Bauch und Steiß,
und wir gehorchten ihrem Winke.
Sie fühlten sich unendlich wohl,
sie schreckte kein Gewitter. […]
Wir haben nur die Faust erhoben,
da ist der ganze Spuk zerstoben.

Erich Mühsam: Rebellenlied (1918)


Als braves Kind meiner Klasse hege ich nichts als Verachtung für die Aristokratie. Es ist unmöglich, eine humane, egalitäre Gesellschaft aufzubauen, so lange das adelige Gschwörl nicht um seine durch Mord, Raub und Betrug zusammengerafften Schätze erleichtert wird. Der feudale Titel sollte in einem wahrhaft freien Gemeinwesen ein Schandfleck sein und alle, die ihn als Distinktionsmerkmal tragen, hätten als personae non gratae zu gelten.

Niemand kann etwas dafür, in eine nobilitierte Dynastie hineingeboren zu sein. Doch wer nicht – wie die löbliche Jutta Ditfurthden Bruch mit den Ahnen auch im Namen vollzieht, dem bzw. der ist weder zu trauen noch irgendwelche Ehrfurcht zu gewähren. Nirgendwo steht geschrieben, die bornierten Verweser eines verbrecherischen Erbes, diese Nutznießer von Kadavergehorsam und Autoritätsfixierung müßten ehrerbietiger behandelt werden als, zum Beispiel, ein Konjunkturritter, ein Drogenbaron oder sonst ein Fürst der Finsternis.

Obgleich die bürgerlichen Revolutionen seit 1789 der Aristokratie die Staatsgewalt entwanden, versagten die bourgeoisen Revolutionäre überall dabei, dem Snobmob auch die privaten Privilegien zu nehmen. Lieber verbündete die neue herrschende Klasse sich mit der abgesetzten, um gemeinsam jene zu knechten, die der alten wie der waltenden Macht die Pfründe erarbeiten und finanzieren.

Bürgerliche Umstürzler, die der Aristokratie die Todfeindschaft erklärten, haben in den postrevolutionären Gesellschaften so gut wie nichts zu melden gehabt, und jene Adeligen, die auf ihr Geburtsvorrecht verzichteten und ihrem erpreßten Erbe entsagten, sind, obzwar klein an Zahl, verdrängt. Aber nicht um sie geht es heute.

Sondern um eine jener Adelscliquen, die sich dank dem unseligen Anachronismus namens Konstitutionelle Monarchie immer noch dicke tun und fettfressen dürfen, um das gleichermaßen wertlose wie lachhafte Haus Windsor. Anders als das Vorurteil meint, sind keineswegs alle Insassen des Zwangsvereinigten Königreichs Anhänger dieser Tagediebe und Tunixe. Die intelligenten, politisch aufgeweckten Untertanen Ihrer Malaisität verabscheuen dies Relikt eines dunklen Zeitalters von Herzen und sähen es am liebsten auf der Sondermülldeponie der Geschichte entsorgt.

Einen schlagenden Beleg für des selbstbewußten britischen Untertanen Zorn auf die blauen Bluter im Buckingham-Palast habe ich in einem Tweet von „Tom Londongefunden. „Tom“, ein aufrechter Sozialist und Mann von Geist, machte seine circa 60.000 Follower am 6. Februar darauf aufmerksam, daß der Oberklassenkasper Boris Johnson den Gemeindevorstehern des Restimperiums befahl, anläßlich des 60. Geburtstags von Andrew Albert Christian Edward Windsor am 19. Februar die Staatsflagge vor resp. über den Rathäusern zu hissen.

Das hatte einen üblen Geschmack – von der generellen Fäulnis der Aristokratie abgesehen –, weil Andrew unter dem begründeten Verdacht steht, minderjährige Frauen sexuell mißbraucht zu haben. Die scheußliche Affäre kam ans Licht, als Jeffrey Epstein in den Knast gesteckt wurde, wo er am 10. August 2019, unter bis heute fragwürdigen Umständen, sein würdeloses Leben beendete.

Epstein – Multimillionär, Betrüger und im Dienste anderer Oligarchen auch Zuhälter –, besaß neben Tonnen von ergaunertem Geld einen Privatjet, den Insider „Lolita-Express“ nannten. In diesem fliegenden Bordell für reiche Kindsvergewaltiger nahmen die Drecksgeldsäcke der westlichen Welt nur zu gern Platz – Bill Clinton zum Beispiel, Michael Bloomberg oder Donald Trump, doch, leider, auch Kevin Spacey oder Woody Allen.

Und der Herzog von York. Virginia Giuffre bezeugt, daß sie als 17-Jährige von Epstein genötigt und von Lumpenprinz Andrew sexuell mißbraucht wurde. Es existieren Photos, die den adeligen Schweißkerl in gar nicht angemessenem Kontakt mit dem bedauernswerten Mädchen zeigen. Falls Sie die empörenden Details nachlesen wollen, klicken Sie bitte hier. Das FBI jedenfalls ersuchte Andrew W. um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen und hat bis heute keine Antwort erhalten. Die britische Kronjustiz hält sich sowieso aus der Sache heraus; vielleicht weil sie soviel damit zu schaffen hat, Julian Assange die Menschenrechte zu verweigern.

Natürlich weiß auch die Tory-Regierung über den schweren Verdacht gegen Andrew bescheid. Aber Upper-class-Soziopathen kleben zusammen wie Mafiosi, und Moral hat solchen Sektschaum der Menschheit noch nie geschert. Deshalb predigen sie uns armen Teufeln ja so gern Moral.

Sie, liebe Leserin, werter Leser, kennen nun den düsteren Hintergrund, vor den „Tom London“ seinen Tweet stellte:

Vorhang auf – es werde Licht!

***

Statt „Toms“ Bitte nachzukommen, alternative Geburtstagsrituale vorzuschlagen, reagieren etliche Leser mit ächt republikanischer Wut und fassen in wenigen Worten zusammen, welch eine Zumutung Boris Johnsons Dienstanweisung ist. Den klarsten Text verfaßt „June“:

Viele andere Tweet-Antworten drehen sich um die Beflaggung, genauer: um die Fahne, die statt des Union Jack am Mast wehen sollte. „Chris McCabe“, der (wie ich annehme) noch nie die Tories gewählt hat, sähe gern solch ein Stück Tuch über seinem Rathaus flattern:


odaiwai“ wünscht sich eine Fahne, die ohne Umschweife auf Andrews dubiosen Kumpel verweist, und zugleich eine prinzipielle Überarbeitung des britischen Staatswesens:

Ein Follower, der sich „Get Jeremy Corbyn on the ballot“ nennt, hat keine große Lust zu reden, sondern zeigt ein Emblem, das wie kein anderes für die radikale Abschaffung aristokratischer Altlasten steht:

Damit ist das Problem der passenden Jubelbeflaggung gelöst, und der antimonarchistische Mob kann sich der Frage widmen, welche Art Geburtstag der königliche Stammgast des „Lolita-Express“ verdient. „Jenny Hen“ möchte den faulen Sprößling der Königin mal richtig überraschen:

Ähnlich denkt „Roger Long“, er wird bloß konkreter:

Ganz aus der Perspektive „einer dankbaren Nation“ entwickelt „Steve Williams“ seinen Plan für eine adäquate Feier des Prinzentags:

Das dazu passende Bild einer bürgerlichen Feiergesellschaft für die Windsor-Bande stellt „Dan“ ein; ohne Worte, weil‘s keine braucht:


Inspiriert von dieser dramatischen Ikone, werden weitere Tweeter so handfest, wie es nur geht, ohne verklagt zu werden. Sogar das semidiktatorische „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ scheitert an der Doppeldeutigkeit der Formulierungen. „Bonbononeill“ etwa schreibt:

Meint sie den Union Jack oder Prince A.? Das Publikum darf einmal raten. Die Vernichtungsphantasien, die der Freudenhausprinz auslöst, sind (und das gefällt mir sehr an „Tom Londons“ Twitter-Thread) stets von Sarkasmus gemildert und so grotesk wie ihr Objekt. „Nick Croft“ etwa fordert:


Robert Roy“ hat zu dieser brachialen Maßnahme eine konstruktive Frage:


Die „Nick Croft“ souverän und formvollendet beantwortet (der Verschreiber ist zweifellos gewollt):


Das allerschönste und –schlaueste Gezwitscher habe ich mir bis zum Schluß aufgehoben. Es ist ein Lehrstück in Komik, Eleganz und Esprit; so kurz und bündig, wie nur die makellosen Witze sind. „Diana Fridge“ nämlich wünscht sich für Andrew Windsors Geburtstagsfeier einen ganz besonderen Zeremonienmeister:


Dies ist die Art Pointe, für die man töten möchte.

PS. Einen (!) Tag vor dem geplanten Flaggengruß teilte die Johnson-Regierung mit, es sei nicht länger eine dienstliche Order, sondern den Gemeinden freigestellt, einen Bückling vorm „Party Prince“ zu machen. Protest wie der in „Tom Londons“ Twitter-Kanal bringt also was.
Allerdings wurden am 19. Februar, wie immer bei solchen Anlässen, in Westminster Abbey die Glocken geläutet. – Ach, wären es Totenglöckchen gewesen!


Photo (Ausschnitt):
„Panties with Union Jack and a lollipop“,
by Exey Panteleev [CC BY],
via Wikimedia commons


Freitag, 28. Februar 2020 21:21
Abteilung: Aufgelesen, Schwammintelligenz, Twitterwitz

7 Kommentare

  1. 1

    Die „sozialen Medien“ scheinen mir -bei aller berechtigten Kritik- oft zu Unrecht verteufelt zu werden. Gerade im englischen Sprachraum findet hier sehr viel antikapitalistische Aufklärung statt, denke ich. Bei der Gelegenheit würde ich gerne „Shaun“ empfehlen:
    Twitter: https://twitter.com/shaun_vids
    youtube: https://www.youtube.com/channel/UCJ6o36XL0CpYb6U5dNBiXHQ/videos
    (Der hat auch ein recht schönes Video über die britische Monarchie, und auch das Charlottesville-Video ist sehr gelungen.)
    P.S. Vielen Dank für diesen schönen Blog. Erst über Sie habe ich zu Karl Kraus gefunden! 🙂

    Daß ich Sie für KK interessieren konnte, ist ein Kompliment, das ich nicht so schnell vergessen werde. Merci! Und danke auch für den Hinweis auf „Shaun“ (den ich bisher nicht kannte): ein wackerer Mann. Seine Video-Abrechnung mit den Royals ist ein echtes Vergnügen und eine hervorragende Ergänzung zu meinem Posting: „Abolish the Monarchy!“ KS

  2. 2

    Shaun ist Teil einer losen Youtuber-Gruppe, die manchmal als „BreadTube“ bezeichnet wird (nach Kropotkins „Die Eroberung des Brotes“). Dazu zählen auch Kanäle wie beispielsweise „Philosophy Tube“, „Contrapoints“, „hbomberguy“, „donoteat01“ und „Thought Slime“, die ebenfalls alle einen Blick wert sind. Der Gedanke, dass Hunderttausende junger Leute deren Videos ansehen, miteinander in Kontakt stehen, Ideen austauschen und dieses widerliche Wirtschaftssystem satt haben, ist es, der mich vor der Verzweiflung bewahrt.

    Den Gedanken kenne ich, und ich pflege ihn wie Sie. KS

  3. 3

    Sehr schöner Twitterthread. Vielen Dank für den Hinweis!
    In der Gegend, in die es mich verschlagen hat, gibts ein Kleinstädtchen, in dem ich öfter zu tun habe, wo eine Adelsclique immer noch ihr Unwesen treibt. Das Schlimme: ein gut Teil des Plebs ist auch noch stolz darauf. Vor ein paar Jahren fiel mir die Schülerzeitung des örtlichen Gymnasiums in die Hände (welches natürlich nach dem Clan benannt ist — seit wann? seit dem 3. Reich, was aber eher selten erwähnt wird), nun ja, und in der Schülerzeitung gabs einen Artikel über den Don des Clans, und jedesmal war seinem Namen ein „S.D.“ vorangestellt. Ich mußte das googeln: „Seine Durchlaucht.“ Und nein, das war in dem Artikel nicht ironisch gemeint…
    Anyway, ich hätte auch einen Hinweis auf einen schönen Twitter-Account, falls Sie den noch nicht kennen: „Donaeld the Unready“ baut Trump-Tweets nach in der Rolle eines Königs im frühmittelalterlichen Mercia:
    https://twitter.com/donaeldunready
    (Und Glückwunsch zur Seite 9ff. in Konkret! Historische Stelle, und der Artikel ist ihrer würdig.)

    Lieber Peter Remane, zunächst vielen Dank für Ihr Lob – ich glaube, daß ich es verdient habe. Aber es ist natürlich sehr befriedigend, wenn man mit seiner eitlen Meinung nicht allein ist.
    Ihre Anekdote hätte es verdient, im „Abfall“ als Blogpost zu erscheinen. Na, mal sehen, was da geht.
    „Donaeld the Unready“ ist sehr lesenwert, teils brillant. Danke für diesen Lektürehinweis! (Und ich irre mich hoffentlich nicht, wenn ich hier tiefe Spuren von „Monty Python and the Holy Grail“ entdecke – oder?) KS

  4. 4

    Kleine Ergänzung aus deutschen Landen. Allerdings von konventioneller Medialität:
    https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/465/das-grosse-wegschweigen-6534.html

    Konventionell, ja, aber im guten, im ALTMODISCHEN (aus der Prä-Relotius-Ära) Sinn. Schöne Reportage und prima Beleg für meine Behauptung bzw. Klage, daß der Adel hierzulande immer noch Privilegien genießt statt gesiebter Luft. KS

  5. Benjamin Schett
    Montag, 2. März 2020 17:28
    5

    Und ich dachte schon, es sei um die Insel endgültig geschehen, als ausgerechnet John Cleese damit angefangen hat, wie ein UKIPler daherzureden. Doch diese Tweets machen Mut, schönen Dank. Auch wenn mir die Tatsache von Bojos Wahl mehr Kopfzerbrechen bereitet hat als die Trumps. Letzterer hatte mit Horrible Hillary immerhin die beste Wahlhelferin (Wobei, eine Wahl hätte man treffen können: https://www.youtube.com/watch?v=sc-_7RCFArM).
    Aber im (Noch-) Königreich kann keiner behaupten, es hätte keine echte Alternative gegeben. Kann man eigentlich nur noch mit einer Todessehnsucht erklären. Oder die Britinnen und Briten lesen alle die Jungle World.

    Was wiederum ihre Todessehnsucht erklärte – ich jedenfalls wäre lieber tot, als die „Jungle World“ zu lesen. Bzw.: Ich weiß, daß ich vor Ödnis stürbe, läse (löse?) ich gründlich die Wochenzeitung der approbierten Muslimhasser und verschwiemelten Neoliberalmarxisten.
    Für den – unfreiwillig – saukomischen „Joe Exotic“-Clip sage ich herzlich Merci – made my day! KS

  6. 6

    Es ist wohltuend, dieses Winken mit den Laternenpfählen hier und dort antreffen zu dürfen – etwa so wohltuend, wie Jan Böhmermann zuzusehen, wenn er Georg Friedrich Prinz von Preußen für seine unverschämten Forderungen geißelt. Wie weit wir in Deutschland aber davon entfernt sind, „das adelige Gschwörl“ zu verachten, wird uns täglich vor Augen geführt. Und da ist das Skandalöseste nicht die Hofberichterstattung der „Bunten“, die Stefan Gärtner zu lesen empfiehlt, „wenn man wissen will, was an dieser Welt falsch ist“. Am 1.3. veröffentlichte die NZZ eine umfangreiche ‚Ehrenrettung‘ der Hohenzollern seitens des prominenten Historikers Michael Wolffsohn:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/geist-und-geister-fast-1000-jahre-hohenzollern-ld.1540940
    Allen Ernstes meint dieser das Adelsgeschlecht gegen „Ressentiments“, „Bashing“ und „Dämonologie“ in Schutz nehmen zu müssen, setzt das dieser Familie angeblich drohende Unrecht (die rechtlich skandalöse Revision allzu spät erfolgter Teil-Enteignungen) in Parallele zu Enteignungen von Juden durch NS-Deutschland (benutzt hier das Wort „Sippenhaft“) und weiß, dass „weder Wilhelm II. noch irgendein Hohenzoller (…) je solche Verbrechen (wie die Nazis) begangen oder daran auch nur gedacht“ hätten. Der Autor ist (nebenbei) Jude.
    Statt der Weimarer Republik hätte er sich eine Konstitutionelle Monarchie mit den Hohenzollern gewünscht, bekennt er; dann wäre AH scheint’s bei den Deutschen nicht angekommen.
    Gibt es vielleicht bei „Konkret“ („Einsam sind die Tapferen“) jemanden, der solchen Zumutungen etwas entgegensetzen könnte?

    Wolffsohn gefällt sich seit Jahrzehnten darin, der Leibhistoriker der Bourgeoisie zu sein und zumal für „Bild“ den Welterklärer zu spielen. Ernstnehmen muß den niemand; mehr als eine Kürzestglosse wäre mir sein Geschwafel nicht wert. Aber Sie können ja mal freundlich bei KONKRET anfragen; vielleicht denkt die Redaktion anders über den Hohenzollern-Reinwäscher. KS

  7. 7

    Hier liegt doch bestimmt ein Missverständnis vor? Es hieß doch immer: „A la latrines!“

    Ich kann ja schon kein Französisch. Aber ich fürchte, daß Sie mich noch toppen. KS

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