Tag-Archiv für » Ror Wolf «

Leert eure goldenen Becher zu Grund

Mittwoch, 29. Juni 2022 12:55

„Dunkel“, singt Mahlers „Lied von der Erde“, „ist das Leben“. Und wie dunkel zumal jetzt. Hätten nämlich das Schicksal und der Gott, den es nicht gibt, es gut mit ihm gemeint, wäre der einzigartige Dichter, Tonkünstler, Graphiker und Weltbetrachter Ror Wolf heute 90 Jahre alt geworden, und ich ließe es mir nicht nehmen, ihm – in welchem Rahmen auch immer – zu gratulieren.

Wie arg dieser sehr große Mann, dieses Genie, diese Ausnahmeerscheinung der deutschsprachigen Literatur fehlt, wie sehr ich den Meister und Freund vermisse: Darüber schreibe ich im Juliheft von KONKRET ausführlich. Weit schöner und erheblicher freilich ist der Beitrag des Verlags Schöffling & Co. zum Wolf-Jubiläum.

Die unterschiedlichen Folgen der Phantasie öffnet in das Herz und die Seele Ror Wolfs einen Blick, der mich bei der Lektüre immer wieder vor Schmerz und Glück seufzen ließ (auch darüber mehr in KONKRET). Ich hänge mich bestimmt nicht aus dem Fenster, wenn ich feststelle: Dies ist die bedeutendste literarische Entdeckung des Jahres, eine Sensation, eine Fundgrube, ein schieres Wunder an Selbstbeobachtung, Lebenserörterung und Sprachkunst.

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Thema: Litterarische Lustbarkeiten, Per sempre addio, Sokolowsky anderswo | Kommentare (1) | Autor:

He’s here, there, everywhere: Ror Wolf

Freitag, 21. Februar 2020 23:32


Was ich vom bourgeoisen Preßwesen halte, habe ich oft genug gesagt, ich will es heute nicht wiederholen. Es war jedenfalls keine Überraschung für mich, daß viele Artikel zum Tod Ror Wolfs lieb- und kenntnislose Pflichtübungen waren, aus Textbausteinen zusammengehauener Wortmüll, luschig redigiert und fehlerhaft wie das Gewerbe an sich.

Zum Glück hatte die Regel auch Ausnahmen – etwa Helmut Böttigers berührenden Abgesang im Deutschlandfunk. So etwas hilft, das gedankenarme Geräusch anderswo sogleich wieder zu vergessen, diesen Schwallqualm, der einem die dunklen Stunden sonst noch mehr verfinsterte.

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Thema: Per sempre addio, Sokolowsky anderswo | Kommentare (3) | Autor:

He‘s gone: Ror Wolf

Montag, 17. Februar 2020 23:55


Soeben erreicht mich die Nachricht, daß der größte
und begabteste Sohn, den unsere Mutter Sprache seit Arno Schmidt hatte, verstorben ist.

Mein Idol, mein Meister, mein Freund: Ror Wolf.

„Hier schweige ich, es fehlen mir die Worte.“ – „Ich trinke alles, was da ist.“

(Überhaupt kann nur Musik, eine bestimmte Musik, ausdrücken, was nicht zu sagen ist. Hören Sie deshalb, bitte, mit mir, was Ror Wolf das Liebste und Schönste war im Kosmos der Töne: Bix Beiderbeckes Solo in „I‘m Coming Virginia“.)


Photo: Privatbesitz Ror Wolf

Thema: Per sempre addio, Zeuge der Geschichte | Kommentare (6) | Autor:

Wie es sich im Writersblock wohnt

Donnerstag, 19. Juli 2018 22:38

Schreibblockaden sind keineswegs einem Mangel an Themen oder einem Unterschuß an Ideen geschuldet. Im Gegenteil: Die Blockierer bauen, was mich betrifft, ihre Mauern erst dann, wenn zu viele Motive, viel zu viele Gedanken sich aufdrängen und der Autor daran verzweifelt, der Invasion Herr zu werden. Wenn ihn die Angst quält, der Sache in der, in seiner Sprache nicht gewachsen zu sein. Wenn das wenige, was er auf seiner Seite hat, die Wörter, die Lettern, ihm zu leise erscheint, zu blaß, verglichen mit den Bildern und Begebenheiten, den Gerüchten und Geräuschen, welche ihn von allen anderen Seiten bedrängen.

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Thema: Inside "Abfall", Selbstbespiegelung | Kommentare (7) | Autor:

Der Unhold vs. das Genie

Mittwoch, 5. Juli 2017 23:45

Cover Konkret 7/2017 © Konkret-Verlag

Kay Sokolowsky hat sich für die aktuelle Ausgabe von Konkret ausführlich mit Charakter und Gesinnung des US-Präsidenten Trump befaßt. Unter dem Titel „Der Mob regiert“ wird die gar nicht so steile These aufgestellt und begründet, der 45ste sei ein waschechter Gangsterboß, die Regierung Trump ein monströses Racket und die Story seines Aufstiegs vom halblegalen Baulöwen zum Mobster-in-chief idealer Stoff für einen Mafiafilm von Martin Scorsese.

Leser Jan Kuhlmann schmeichelte dem Artikel so, wie es sich ein Autor nur wünschen kann: „Zuvor noch großes Lob für ‚Der Mob regiert‘ von Kay Sokolowsky. Ich wünsche mir mehr Politiker-Porträts dieser Art und empfehle als nächstes Minister De Misère. Oder: Doppelporträt Lafontaine/Wagenknecht. Herr Sokolowsky: bitte immer so weiter!“ Sokolowsky sagt Merci und gelobt, sich zu bemühen.

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Thema: Sokolowsky anderswo | Kommentare (3) | Autor:

Ein Unvergleichlicher: Ror Wolf wird 81

Samstag, 29. Juni 2013 3:53

Einen größeren, klügeren, inspirierteren – unerbittlicheren, unbestechlicheren, unbeirrbareren – aufmüpfigeren, aufregenderen, aufreibenderen –

– einen Dichter wie ihn werde ich in meinem jämmerlichen Leben nie wieder sehen.

Es ist die größte Schande des hierzulande waltenden Literaturbetriebs, daß dieser unvergleichliche Autor, dieses Genie, das sogar Herrschaften wie Arno Schmidt locker in die Tasche steckt, weder den Büchner- noch den Goethepreis angedient bekam. Aber vielleicht waren diese Preise die große Ehre nicht wert, von ihm, von Ror Wolf, empfangen zu werden. Man muß ja nur mal gucken, welche Pfeifen dem Meister Wolf bevorzugt wurden. – Eine Schande bleibt es dennoch.

Möge er, unser bedeutendster lebender Dichter, uns noch lange erhalten bleiben! Ich bin um jeden Tag froh, den ich mit ihm auf einer Erde verbringen darf. Um jeden.

Dieser Mann hat nirgends seinesgleichen.

Thema: Litterarische Lustbarkeiten | Kommentare (0) | Autor:

Der Blogger ist blockiert (1): Verschlußsache

Montag, 11. Februar 2013 22:20

„Der Fuß“, schreibt unser bedeutendster Dichter Ror Wolf in seiner Inkarnation als Raoul Tranchirer, „ist neben dem Gehirn die Hauptsache der Menschenform.“ Außerdem lernen wir aus Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt 1 über „Füße, kalte“: „Die Füße sind bezüglich der Blutversorgung die am meisten benachteiligten Teile des Menschen, weil sie am weitesten vom Herzen entfernt sind und weil das Blut bei seinem Rückweg bergauf laufen muß.“ Vor einem runden Vierteljahrhundert habe ich diese Zeilen das erste Mal gelesen; aber erst heute ist mir klar, daß in ihnen mindestens so viel Wahrheit wie Komik steckt.

Denn seit einem Monat macht mein linker Fuß mir zu schaffen – um es zurückhaltend auszudrücken. Er glüht und krampft, sticht und kribbelt, pocht und drückt, pausenlos, Tag und Nacht. Vor allem nachts. Das ist wie ein Sonnenbrand mit Mückenquaddeln. Oder wie nach einer Waldwanderung in Flip-Flops. Eine gewisse Taubheit, als hätte der Fuß stundenlang in Eiswasser gebadet. Ein gewisser Druck, als stünde man auf der Kante eines Ziegelsteins. Eine gewisse Lähmung, als sei um die Wade ein Gummischlauch geknotet. Nein, schlimmer. Es ist wie nichts, das ich jemals erfahren habe. – Ah, nun komme ich auf den passendsten Vergleich: Linker Fuß und Knöchel fühlen sich an, als trüge ich einen Gummistiefel, der zwei Nummern zu klein ist, und außerdem Socken aus unbehandelter Wolle.

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Thema: Selbstbespiegelung | Kommentare (2) | Autor:

Director’s Cut (2): Hommage an Ror Wolf

Freitag, 29. Juni 2012 12:25

Die Serie „Director‘s Cut“ versammelt Texte von mir, die bereits vor Jahren, aber nie in ihrer ursprünglichen Form erschienen sind. Hier sind sie endlich so zu lesen, wie sie mal gedacht waren, bereichert um Szenen oder Exkurse, die einst an den Grenzen des Layouts scheiterten, beschnitten um Sätze und Formulierungen, die dem Autor heute eher peinlich sind. Für jede Neupublikation gibt es einen Grund – heute ist es der 80. Geburtstag des bedeutendsten deutschsprachigen Dichters unserer Zeit.

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DANKE SCHÖN. VIEL ZU DANKEN

EINE TRAVESTIEN-COLLAGE
FÜR ROR WOLF

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LEBEN, LAUF

Ein Mann, wir nennen ihn Richard oder Roger, nein, Robert oder, Moment, wir nennen ihn Ror, nennen wir ihn also Ror: Ror Wolf also, wie wir diesen Mann nennen wollen, wird am 29. Juni 1932 geboren. Damit fängt alles an. Jedenfalls das, was nun folgt. Die bekannten Einwände Wobsers dürfen an diesem Punkt gern ignoriert werden. Sie sind auch an anderen Stellen ohne Belang. Bei unseren Lesern erzeugen sie nichts als Belustigung. Der Mann, von dem wir jetzt reden, wurde geboren, das ist kein Geheimnis, und es geschah am 29. Juni. Mehr muß man an dieser Stelle nicht sagen.

   Die Welt weiß viel über die Angelegenheiten des Mannes, von dem hier die Rede sein wird. Man muß die Welt nicht über ihn aufklären. Die Welt tut aber gut daran, sich auch weiterhin über seine Werke und Worte auf dem Laufenden zu halten. Wir verweisen auf Lemms erschöpfende Bemerkungen.

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Thema: Director's Cut, Litterarische Lustbarkeiten | Kommentare (0) | Autor: