Zeuge der Geschichte (10)


Als mir die Nachricht vom Tod Michael Nauras zu Ohren kam, habe ich erst den Blues geschoben, dann ein Bebop-Medley in die Playlist geladen, um es abschließend swingen zu lassen, daß der Fußboden groovte.

Dank ihm, dem großen Kenner und Könner Naura, habe ich meine nie bedauerte Leidenschaft für den Jazz der 1940er- bis 1960er-Jahre entwickelt und über einen Abgrund der Zeit und Moden gerettet. Michael Naura, der als Moderator gelegentlich so selbstbewußt kommentierte, daß es auf einen jungen Dummkopf wie Eitelkeit wirken konnte, hatte davon weniger als die meisten.

Bei NDR 3 (mittlerweile: NDR Kultur) verwaltete Naura über viele schöne Jahre das Jazzressort und sorgte dafür, daß die Jazzkonzerte des Norddeutschen Rundfunks einen gewaltigen Ruf erwarben. Er verschaffte der Musik seines Herzens ordentlich Raum im Programm, setzte engagierte Experten wie Jens „Zeit für Bebop“ Sülzenfuß ins Studio oder Ekkehard „Die coolste Stimme Norddeutschlands“ Jost. Einige Tapes aus jenen Tagen der Offenbarung bewahre ich bis heute auf.

Naura sprach seine Verachtung für die von ihm so genannten „Würstchen“ des Pop ebenso offen aus wie seine Verehrung für die Edelleute des Jazz, allen voran Oscar Peterson. Er entdeckte, buchstäblich, Pat Metheny und Al Jarreau. Es ist ein schmerzlich schöner Zufall (und vielleicht auch keiner, im metaphysischen Sinn), daß Michael Naura nur einen Tag nach Jarreau in den ewigen Nachtclub einrückte.

Er hatte ein klares, stets fest gemauertes Urteil, und selbst dann, wenn ich es einmal nicht unterschreiben konnte, respektierte ich die aufrichtige Be- oder Entgeisterung des Mannes mit dem leicht brüchigen und zugleich warmen Timbre. Er brachte mir einen Geschmack bei, der mir nie fad geworden ist.

Inzwischen ist die Jazzredaktion des Nordeutschen Rundfunks bei NDR Info zu Hause und sie leistet einen Job, der des alten Meisters würdig ist. Während ich dies schreibe, widmet sich „Play Jazz!“, das werkabendliche, vorzügliche Magazin des Senders, der Musik und den Texten Nauras, und es ist gar nicht leicht, dabei die Augen trocken zu halten. Soeben begleiten Wolfgang Schlüter und Michael Naura den Lyriker Peter Rühmkorf beim Gedicht „Phönix voran“.

Und darum will ich
– jetzt sofort! –
den Grabstein von der Tür wegwälzen

O, wie ich bedaure, das nicht leibhaftig erlebt zu haben, damals, in der, nun ja, guten alten Zeit! Ich war ein kreuzdämlicher Snob.

Tritt dem Teufel in die Eier, Mike, und: Thank you for the music!

PS. Bei einer Lesung im Literaturhaus am Schwanenwik vor wenigen Jahren saß ich drei oder vier Stuhlreihen hinter Naura und staunte, erstens, wie gar nicht groß an Körper er wirkte, und, zweitens, wie herrlich sein weißer Beethovenschopf durch den Saal leuchtete. Ich überlegte lange, ob ich ihn ansprechen sollte, aber er wirkte reserviert und ich hatte Angst, eine Abfuhr zu kassieren. Abermals: schön blöd, Herr S.!

PPS. Am Samstag, dem 18.2., wird NDR Info ein Konzert Michael Nauras zu seinem Gedenken ausstrahlen. Für die genaue Zeit schauen Sie bitte in den EPG der Anstalt. Und dann aufmerksam zuhören, der Künstler hat es so was von verdient.

Illustration: „Bebop dominant scale onC“, by Hyacinth
at English Wikipedia [Public domain or Public domain],
via Wikimedia Commons


Dienstag, 14. Februar 2017 23:14
Abteilung: Musicalische Ergetzungen, Selbstbespiegelung, Zeuge der Geschichte

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