Discovery Channel (3): Kline, riesengroß


Jeder Tag auf dieser Erde bringt ungebeten abertausend Dokumente für die Schlechtigkeit des Menschen, seine Würdelosigkeit und Niedrigkeit. Es kann davor nicht fliehen, wer ein soziales Wesen bleiben will, aber, „bei den Göttern, die es nicht gibt“ (Gisbert Haefs): Es ist ein Kraftakt, unter den Menschen nicht asozial zu werden, so wie sie sich aufführen, so wie sie mit der Welt und einander umgehen. Wenn dann noch ein Wetter über der Stadt liegt wie eine Megatonne Schwermut, ist Trost jeglicher, auch der bescheidenen Art herzlich willkommen, um am Ball bleiben zu können.

Ich sah also Mittwochnachmittag im YouTube-Kanal der „Late Show with Stephen Colbert“ nach, was es an neuen Erheiterungen gäbe. Und bekam 672 Sekunden reines Glück serviert, Trost und Freude und Magie. Kevin Kline nämlich besuchte die Show und lieferte eine Demonstration jener einzigen Distinguiertheit, die man ernstnehmen kann, denn der vollendet Distinguierte nimmt sich selbst nicht so ernst. Kline, der neben Kevin [sic!] Spacey bedeutendste, begabteste Komödiant seiner Generation in Nordamerika, ist außerdem ein Gentleman, wie es sonst in den USA keinen mehr gibt. Ein Herr, von dem alle Männer was lernen sollten, und zwar gute Manieren sowie Selbstironie. Zweifellos ginge es hienieden zivilisierter zu, übernähmen die Klines das Kommando, und zu lachen hätten wir außerdem viel mehr.

Welches Entzücken und Staunen, den – man kann es kaum glauben – bald Siebzigjährigen beim wie beiläufigen Ziehen der Register zu beobachten: diese Grazie und Geschmeidigkeit, diese Würde und Souveränität, diese reife, zumal in der tiefen Stimmlage unwiderstehliche Erotik …! Und wieviel Charme dieser gentiluomo bereits mit einem halben Lächeln ausstrahlt –; wie lässig er den nicht eben untalentierten Komiker Colbert an die Wand spielt und trotzdem gut aussehen läßt –: das ist nur den Allergrößten gegeben, den (sofern die Metapher gestattet ist) Mozarts und Ravels der Schauspielkunst.

Kevin Kline tritt derzeit am Broadway in Noël Cowards Komödie „Present Laughter“ auf; er spielt den zynischen Theaterstar Garry Essendine. Bei Colbert deutet Kline an, wie fabelhaft er die Rolle meistert. Die hauchdünn mit blasé überzogene Eleganz seiner Gesten, der Spott und die Klugheit in seinen Augen, und dann diese Stimme, dieses in allen Farben des amerikanischen Südens getönte Organ, dies Mirakel von Phrasierung und Wortmelodie – es muß eine Offenbarung ohnegleichen, eine Epiphanie sein, Kevin Kline auf der Bühne zu betrachten. Ich weiß allerdings nicht, ob ich das „live“ länger als bis zum zweiten Aktschluß überleben, ob es mich nicht vor Seligkeit und Fröhlichkeit und Dankbarkeit dahinraffen würde, solch makellosen, strahlenden Witz ohne den Filter des Fernsehschirms vor mir zu haben … Nun, es gibt sicherlich inkommodere Arten zu sterben.

Schauen Sie also und staunen Sie, Ladys and Gentleman! Zu Gast im Ed-Sullivan-Theatre, New York – KLINE das achte Wunder der Welt!


Mittwoch, 8. März 2017 23:49
Abteilung: Discovery Channel, Gute Nachrichten

2 Kommentare

  1. 1

    Das lese ich aber mal mit völlig ungetrübem Vergnügen. Kline ist einer meiner absoluten Lieblingsschauspieler und hätte für diesen Adel lediglich den Otto (das ist italienisch und heißt acht) in „A Fish Called Wanda“ spielen müssen. Was Ihre Beschreibung seiner Distinguiertheit nur unterstreicht, ist, daß ich ihn immer für einen Engländer gehalten habe.

    Sogar noch größer, umwerfender, komischer als in „Wanda“ finde ich Kline in „Fierce Creatures“. Wie er darin den miesen alten und den miesen jungen Milliardärsdrecksack hinlegt, zählt zum Lustigsten, was ich jemals in einem Kino gesehen habe. – Unbedingt zu empfehlen, ach was: BEfehlen ist selbstverständlich auch die Begutachtung von Robert Altmans Finalwerk „The Prairie Home Companion“. Kline spielt hier den Sicherheitschef eines Theaters, einen ehemaligen Privatdetektiv, und, Himmel!, er ist der beste Marlowe, den ich jemals sah. (Der beste Engländer ist er sowieso.) KS

  2. 2

    War auch sehr angetan von diesem Auftritt. Umgehauen hat mich dann jedoch – als ich nachschlug – die Tatsache, daß dieser „Otto“ im Oktober 70 wird… Schon mal den „applause in the wing“ üben.

    Liebe/r TT … pssst … das mit Klines Alter hätten Sie gar nicht nachschlagen müssen – es steht schon in meinem Blogpost. Oder haben Sie mein Zeugs am Ende gar nicht gelesen, sondern gleich das Video geguckt? – Nein, jetzt bitte nicht rot werden! Ich kann’s Ihnen nicht verdenken. KS

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