Adventskalender (1): Jeder liebt dich, wieso ich?

… heißt ein als Zeitung getarnter Werbeprospekt, den die DB periodisch in den Waggons der Hamburger S-Bahn auslegt, um Kunden für ihren famosen Regionalverkehr zu – wie heißt das? ach ja: – zu generieren.

   Von romantisch verwesenden Provinzbahnhöfen, besinnlichen Stunden beim Halt auf freier Strecke und anheimelnden Düften aus dem einzigen funktionierenden Klosett wird darin leider nie berichtet. So auch nicht in der Novemberausgabe, die sich saisongerecht diesem Thema widmet:

Wobei der Akzent des scheußlichen, auf Großhirn-
rindenschimmel kultivierten Adverbs selbstverständlich auf dem „voll“ liegt. Denn, meine Güte!, wenn einer wirklich Kultur hat, statt von ihr voll zu sein, dann meidet er tunlichst alles, was sich dieser Tage aufbrezelt, um ein Sentiment zu – wie nennt sich dasl? ja, ich hab’s: – zu generieren, das schon verlogen war, als die Leute noch wußten, daß der Sohn des HErrn nicht der Weihnachtsmann ist. Jedenfalls sagt ein Mensch mit Kultur höflich „Nein, danke“, wenn die Broschüre bekannt gibt:

Und er überläßt auch in folgender Angelegenheit sehr gern denen, die so was brauchen, den Vortritt:

Vom korruptesten Verb des spätkapi-
talistischen Werbewunder-
landes – „genießen“ – zu schweigen: Sollte es in der Adventszeit nicht besser ein „Nußwochen-
ende“ zu gewinnen geben? Meine Nachbarn Ulf und Eddie geben mir mit heftigen Bewegungen ihrer buschigen Schweifwedel recht; aber das ist eine andere Geschichte für ein anderes Adventskalenderblatt.

Also bleibt Seite 7 zu, und wir rascheln gleich weiter auf Seite 12. Hier wird die Redaktion von unterwegs geradezu kühn und behauptet etwas, das durch die Behauptung eine Wahrheit überhaupt erst – wie sagt man? äh, hm: – generiert.

Alle minus ich.

Um zu überprüfen, ob meine Abneigung von einem snobistischen Vorurteil, Ekel vor Industrieglühwein oder der Realität motiviert ist, bin ich Samstagabend auf den Weihnachtsmarkt gelaufen, den sie hier in Blankenese veranstalten. Und zwar auf dem Bahnhofsvorplatz, der seit seiner Renovierung vor vier Jahren exakt so wirkt wie die Leute, die in der Gegend wohnen: zum Weglaufen.

Aber von dieser Kulturvöllerei erzähle ich beim nächsten Mal. Hier ein Vorgeschmack zum – wie heißt das? klar: – Genießen:

„Bis kurz vor dem Fest, und manchmal auch darüber hinaus, vereinen die Märkte und andere weihnachtliche Veranstaltungen Regionales mit Internationalem, Spaß mit Besinnlichkeit“ (unterwegs).


Sonntag, 2. Dezember 2012 2:42
Abteilung: Adventskalender, Kaputtalismus

Ein Kommentar

  1. 1

    Es gibt auch Erfreuliches zu berichten. Es gibt hier in Hamburg in der Hafen-City auch einen Weihnachtsmarkt, aber kaum jemand geht hin.

    Hafen-City? Hängt man da nicht sowieso tot überm Zaun? KS

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