Die beste aller Welten (6)

Aus einer Reportage – einem Meisterstück – von Christoph Hein in der FAZ:

„Das Essen war schrecklich. Jeden Tag der gleiche Brei. Oft war er verdorben“, erzählt Vasugi. „Manchmal fanden wir Kakerlaken darin. Manchmal haben die Männer ihre Zigarettenkippen hineingeworfen. Satt sind wir nie geworden.“ Vasugi war 13 Jahre alt, als ihr Vater sie einem Agenten der Textilfabrik übergab.

[…]

Die Fabrik ist von drei Meter hohen Mauern umgeben. Die Fenster zur Straße sind vergittert. Drinnen rattern unter dem fahlen Neonlicht Hunderte von Spindeln. Es ist mehr als 40 Grad heiß hier, laut. Gut 800 Menschen arbeiten in den Hallen. Vasugi wurde ihr Schlafplatz gezeigt, in einer der Baracken auf dem Hof. Zwölf Frauen in einem Raum voll Matratzen. „Im Monsun hat es hereingeregnet. Die Aufseher haben uns mit der Trillerpfeife geweckt. Für die Morgentoilette blieben uns fünf Minuten. Wir waren immer nach den Männern dran. Die haben sich einen Spaß daraus gemacht, uns beim Schlangestehen anzumachen, uns zu quälen.“

[…]

90 Prozent der Arbeiterinnen seien schon unterernährt, wenn sie kämen, sagt [der Arzt Jagadesh Kumar]. Viele hätten Tuberkulose und schon vorher Atembeschwerden, obwohl sie auf dem Land groß wurden. […] Und die Selbstmorde hinter den Fabrikmauern? „Nein, davon habe ich hier noch nichts gehört“, sagt der Arzt. Dann hat er es eilig, das Gespräch zu beenden.


Mittwoch, 23. April 2014 0:34
Abteilung: Die beste aller Welten, Kaputtalismus

2 Kommentare

  1. 1

    Sprachlich und inhaltlich eine sehr lesenswerte Reportage, die Verbreitung verdient hat.

  2. 2

    Stimmt. Auch, wenn es sich hier um einen anderen Christoph Hein handelt.
    http://www.faz.net/redaktion/christoph-hein-11123670.html

    Danke für den Hinweis. Ich habe den Link entsprechend korrigiert. KS

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