Popanz-Trio (3): Schmock ‚ n ‚ Schmoll

Das Problem im Umgang mit Popanzen ist der Umgang: Man sollte ihn gar nicht pflegen. Über sie bloß zu reden, gesteht diesen Gestalten eine Bedeutung zu, die ihnen nicht gebührt, denn außer im Gerede besitzen sie keine. Ihre Nullität verschwindet, sobald sie beachtet werden. Allein dieser paradoxen Quantenschweißphysik verdanken Nullsummen wie Alice Schwarzer oder Thilo Sarrazin eine Existenz in der veröffentlichten Welt.

Wenn ich also beim Spiel mitmische, das sie viel besser beherrschen als ich, beim großen Arschposaunen also, werden immer nur sie gewinnen, egal wie sehr ich mich bemühe, sie niederzuringen. Ich bin bloß der Spielverderber.

Henryk M. Broder beleidigte mich mal als „von Neid zerfressenem Autor“, nachdem ich ihn polemisch zergliedert hatte. Das haftet seither an mir wie Taubenscheiße, obwohl ich auf nichts weniger neidisch bin als auf die Existenz als Pausenclown, wie Broder einer ist. Mich gruselt‘s vielmehr davor, so zu werden – so vorhersehbar, so selbstzufrieden, so publikumsgeil wie die Popanze der hierzulande herrschenden Meinung.

Die polemische Auseinandersetzung mit den Vollpfosten, die für „streitbare Geister“ und womöglich Intellektuelle gehalten werden, obschon ein Intellekt sie niemals quälte, ist dennoch nicht verzichtbar. Denn am Ende geht es immer ums Publikum, das solche Vögel groß werden und sich von ihnen die Lieder krächzen läßt, die es am liebsten hört. Wenn ich also einen Popanz beschimpfe, dann meine ich damit immer auch die Hunderttausende, die die Buchstabensuppe dieser Hilfsköche lieber auslöffeln als, sagen wir mal, die erlesenen Speisen eines Hermann Gremliza, Eckhard Henscheid oder, äch-hämm, Gert Ockert.

Ende Februar herrschte große Aufregung um den Ex-Spiegel-Kulturchef Matthias Matussek*, der sich anläßlich seines Wechsels zur Welt mit seinem Schwulenekel brüstete. Statt sich nun über diese besonders reaktionäre Einschleimerei beim neuen Arbeitgeber zu belustigen, befanden Stefan Niggemeier und viele andere es für nötig, den spätestpubertären Dreck, der aus Mattusek herausfiel, ernsthaft zu kritisieren, statt die Kacke schweigend zu entsorgen, wie es Millionen Eltern täglich mit den Windeln ihrer Schutzbefohlenen tun. Niggemeier et al. nahmen den Typen ernst, obwohl er‘s nicht wert, nämlich ein Popanz ist bzw. das, was wir Freunde jiddischer Schimpfwörter einen Schmock nennen.

Die Dummheit und Aufgeblasenheit eines geborenen Schmocks ballen sich in folgendem Satz, der im Rahmen eines unfaßbar peinlichen Selbstverteidigungsgeplärrs am 24. Februar von der Online-Zeitung The European veröffentlicht wurde: „Ich bin der Spießer, der seinen ersten LSD-Trip eingeworfen hat, als Sie gerade zur Welt kamen, und der alle alternativen Lebensformen und alle möglichen Formen der Sexualität erprobt hat.“ Alle möglichen? Echt jetzt?

Wenn dies stimmte – aber es stimmt nicht, denn ein Schmock hat‘s geschrieben, um sich vor dem Schwulen Stefan Niggemeier als Freigeist aufzutakeln –, dann hätte Doppel-M sich z. B. einen Kaktus in den Anus stopfen lassen, während er den Penis einer Dänischen Dogge bis zum Anschlag in sich einsaugte. Selbstverständlich hat er niemals so etwas „erprobt“. Aber weshalb behauptet er dann, „alle“ – alle! – „möglichen Formen der Sexualität“ an sich versucht zu haben? Weil er ein erbärmlicher Autor ist mit einem eher kleinen Hirn.

Eine seriöse Debatte waren Texte, die Matussek verfaßt, noch nie wert. Der Kerl konnte schon nicht schreiben, bevor er beschloß, ein Greisritter des katholischen Abendlandes zu werden. Entdeckt und protegiert vom Altschmock Hellmuth Karasek, konnte aus Matussek, der es sonst vielleicht zu einem ordentlichen Werbetexter für Stützstrümpfe gebracht hätte, nichts anderes als ein Neuschmock werden. Es gibt keine einzige Zeile, unter der „Matussek“ steht, die ihn überleben wird, obwohl bzw. weil jede seiner Zeilen nach Unsterblichkeit giert. Den Worten dieses Mannes ist die Fäulnis eingeschrieben wie seinen Gedanken. Das ist das Gesetz der Sprache, dem niemand entkommt, der glaubt, sie zu beherrschen. Schon gar nicht einer, der Bestseller verfaßt hat, an die kein Aas sich erinnert resp. erinnern möchte.

Ich habe jedenfalls – von Neid zerfressen – bereits vor gut 20 Jahren die außerordentliche Wertlosigkeit der Mattuschmockschen Prosa, die Unfähigkeit dieses Autors zur präzisen Beobachtung, zum geraden Satz und zur passenden Metapher beschrieben. Und weil dieser Verriß, den ich für die junge Welt im Mai 1994 verfaßte, sich immer noch – glaube ich – gut liest, soll er mein Beitrag sein zu einer Diskussion, die ihren Urheber nicht wert ist. Die jedoch und hoffentlich dazu beitragen könnte, daß ein Quatschkopf nie wieder für was anderes als eben dies gehalten wird.

Ein frommer Wunsch, ich weiß. Aber an irgendwas müssen sogar wir Agnostiker glauben.

 

***

 

Fließende Taxis
Was ist das für einer, der seine gleichaltrigen Kollegen als Riege von Schreiberlingen mit dem Gemüt von Fleischerhunden niedermacht; und dem zur Erschießung John F. Kennedys solche Sätze einfallen: Sechs quälende Sekunden verstreichen. Dann zuckt der Schädel nach hinten, in einer dunkelroten Explosion. In dieser dunklen Wolke aus Blut und Knochensplittern, von der einem Fleischerhund schlecht werden könnte, steckt doch eigentlich alles, was den exemplarischen Schreiberling ausmacht, von der miesen Metapher bis zur üblen Kolportage. Wer mag das sein, der den billigen Ramsch verdammt, welcher die Literatur erobert hat; und an hundert Stellen solchen Primanerkitsch hinterläßt: In diesem Moment träumen die Menschen im Parkett zur Bühne hin, und die erwidert diesen Traum, in einem wundersamen Idiom aus Melodie und Licht, das nur im Herzen verstanden werden kann. So billig und verramscht redet doch allenfalls Justus Frantz noch über Opernmusik.

Dieser Schmock, der seinesgleichen verächtlich Presseleute nennt: heißt Matthias Matussek, ist Augsteins Starautor in New York und hat soeben, unter dem Titel Showdown bei Diogenes eine Sammlung seiner US-Reportagen vorgelegt. Ein Buch, das sich am besten beim Fernsehen liest und genausoviel wert ist; Texte, die gebunden, ohne das dicke Spiegel-Heft drumrum, recht mickrig und flusig wirken; ein Stil, vor dem man zum Autisten werden möchte. Showdown zu rezensieren wäre ganz überflüssig, gäbe der Autor dahinter nicht ein so prächtiges Beispiel ab für jene Reporter, die Karl Kraus einst als „impressionistische Laufburschen“ einsortiert hat.

„Dieser Typus“, definiert Kraus in Heine und die Folgen, ist „entweder ein Beobachter, der in schwelgerischen Adjektiven reichlich einbringt, was ihm die Natur an Hauptwörtern versagt hat, oder ein Ästhet, der durch Liebe zur Farbe und durch Sinn für die Nuance hervorsticht“. Matussek vereint beide Charaktere in sich; dazu kommt eine wahre Besessenheit für möglichst preziöse Vergleiche. Besonders Landschaften haben es ihm angetan: Am Horizont liegt der Robinaux-Paß wie ein scharfer Axthieb in den grauen Wildkatzen-Bergen, oder: Das zarte Grün …sieht ruhebedürftig aus. – Matusseks Metaphern sind durchweg so konstruiert und manieriert, so fern jeder echten Anschauung, daß man bisweilen gern wüßte, ob wirklich er oder bloß ein Rechercheur für ihn vor Ort war: Vor uns …ein endloses Band aus Asphalt, das karges, verbranntes Land durchschneidet. Matusseks Ehrgeiz, die Natur nach seinem schiefen Bilde zu gestalten, kennt keine Grenzen, nicht einmal die der Logik: Das Tal ist ein grüner Traum … aus rotblühenden Kakteen und silbernen Chollas. Selbstverständlich ist diese Edelfeder längst mit dem Kisch-Preis vergoldet worden.

Doch Matussek genügen die schneidenden Bänder, das ruhebedürftige Gras, die Berge mit dem Hieb und das rot sowie silbern blühende Grün noch lange nicht; auch Mensch und Technik unterwirft er seiner ganz eigenen Poesie. Über den gefallenen Basketballstar Earl Manigault dichtet er: Augäpfel wie angelaufene, gelbbraune Kartoffeln; über den Regisseur Robert Altman: die massige, olympische Stirn von Wülsten umlagert wie von Wolkenringen; über den Verkehr auf dem Times Square: die Taxis fließen als gelbe Ströme …zusammen. Wem da nicht das Pissoir einfiele, in das solche Gleichnisse gehören!

Hatte es wirklich keinen Redakteur beim Spiegel, keinen Lektor bei Diogenes, dem die Verrutschtheit und Geschmacklosigkeit dieser Bilder auffiel? Keinen, dem wenigstens schwante, welch ein maßlos überschätzter Skribent hier die Zeilen schindet? Solche Zeilen: Im Wirbel der Zeichen und Bilder …ist der Referenzpunkt „Wirklichkeit“ längst ertrunken. Da stimmt gar nichts mehr, und es zerrisse einem den Kopf, dächte man den Wirbel zuende. Mit Aphorismen dieses Kalibers wartet jeder Text von Matussek auf: Selbst der Marxismus entzündete sich noch an (der) Glut, die die Aufklärung entfacht hat – das klingt nur mehr wie ein Gedanke.

Aber genau darin dürfte Matusseks Erfolgsgeheimnis bestehen; eben darum läßt sein Blatt ihn schreiben, was, und der Verlag, wie er will: Seine Schreibe klingt nach viel mehr, als in ihr steckt. Sie wirft sich ständig in die Hühnerbrust und schreit uns zu, wie tough und zugleich sensibel, wie witzig und doch auch lyrisch sie sei. Soviel Lärm beeindruckt die Leute; soviel kerngesunde Eitelkeit und Selbstüberschätzung flößen Respekt ein und vielen sogar den Aberglauben, es bei ihm, der dauernd größere Stilisten imitiert, mit einem richtigen Dichter zu tun zu haben. Pro Seite eine bizarre Metapher, ein Grammatikfehler, ein Hirnschwurbel, eine Portion Kaffeefahrtrhetorik – und Erhard Schütz liegt in Text und Kritik auf den Knien: „Ein stimulierendes Vorausbild dessen, was eine metropolitane Literatur werden könnte.“ Wozu stimulierend, wenn nicht zum Kotzen, verrät er nicht.

Karl Kraus kannte Matussek viel besser, und das vor bald neunzig Jahren: „Er hat die Literatur ausgeraubt – er ist nobel und schenkt ihr seine Literatur. Es erscheinen Feuilletonsammlungen, an denen man nichts so sehr bestaunt, als daß dem Buchbinder die Arbeit nicht in der Hand zerfallen ist.“ Und komm jetzt bloß keiner mit dem Hinweis auf die rasend interessanten Themen! Was vom Stoff lebt, stirbt vor dem Stoffe; in diesem Sinn ist Showdown, mit Stoffel Matussek zu reden (in seiner Verkleidung als harter Bursche), tot. Tot, tot, tot. Und auch sonst kein schöner Anblick.

Matthias Matussek: Showdown. Geschichten aus Amerika.
Diogenes 1994

* In einer früheren Fassung dieses Posts war der Name des Popanzes sehr oft falsch geschrieben. Dafür bitte ich ihn, aber auch die Leser um Entschuldigung.

Popanz-Trio (1): Alice in Chains
Popanz-Trio (2): Thilos Sprachfehler

 


Dienstag, 15. April 2014 23:08
Abteilung: Undichte Denker

3 Kommentare

  1. 1

    Danke für den Link auf deine Seite, besser kann man nicht ausdrücken, wie viel Aufmerksamkeit Matussek und Broder eigentlich verdient haben.

    Merci für das Lob. Und ein Lob zurück für Ihren angenehm unaufgeregten, schön nachdenklichen Weblog! – An meine Leser: Guckt euch das bitte mal an (einfach „Lesbomat“ anklicken). Danke. KS

  2. 2

    Ich habe auf dem o. g. Blog diesen Text verlinkt (weil ich ihn für den besten im Fall Matussek halte) und bin wohl, weil ich mich offensichtlich mißverständlich ausgedrückt habe, für den Autor gehalten worden. Gott ist mir das peinlich … Aber naja.

    Es muss Ihnen doch nicht peinlich sein, mit mir verwechselt zu werden. ICH finde das amüsant und sogar, auf eine schräge Weise, schmeichelhaft. Und im übrigen gilt: Spread the word – not the name! KS

  3. 3

    Mit Ihnen verwechselt zu werden, ist mir eine große Ehre, peinlich war mir im Nachhinein meine mißverständliche Ausdrucksweise, so als hätte ich mich für/als Sie ausgeben wollen.

    Danke für die Blumen. Und nun machen Sie sich bitte keine Gedanken mehr über diese Petitesse. Schönes Wochenende! KS

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