Schreck in der Abendstunde

Rotzkopf-Querschnitt

Schnupfschädel, Innenansicht

Wenn die Nase läuft wie ein kaputter Wasserhahn und auch aus der Lunge Dinge bröckeln, für die es keine schönen Namen gibt, fallen einem die seltsamsten Beschäftigungen ein, um sich vom Selbstmitleid abzulenken. Fernsehen zum Beispiel. Oder in die Glotze gucken. Oder zappen.

Irgendwann hilft auch das nicht mehr, und man versucht es mit richtig exotischen Zerstreuungen. Also Büchern. Und weil in jedem gut sortierten Haushalt mindestens fünfzig Stück davon stehen, in die der Bewohner seit einem flüchtigen Durchblättern vorm Erwerb keinen Blick mehr geworfen hat, schlägt nun die Stunde fürs zweite Blättern. Es sollten freilich Illustrationen darin sein, so viele wie möglich.

Deshalb zog ich gestern abend aus den anderthalb Regalmetern mit Coffeetable-Books den Atlas der Weltgeschichte; ein Riesentrumm, das allein durch sein Gewicht (ca. sechs Pfund) beeindruckt. Das war eine gute Entscheidung; doch nicht, weil ich beim Umschlagen der dicken Foliantenseiten irgendwas dazugelernt hätte. Mit geschätzt 0,1 Liter Schnodderdrainage pro Stunde ist ein Mensch überhaupt nicht fähig, was zu lernen, und er will das auch nicht. Er möchte, siehe oben, sich bloß vom Jammergelappe abbringen. Und, meine Güte!, als ich mich durch die Doppelseite 122-23 (Überschrift: „Die Invasion der Heiden“) buchstabierte, gelang dies mit Nachdruck. Da steht nämlich im letzten Absatz:

Mit seinem Sieg über die Magyaren in der Schlacht auf dem Lechfeld (995 n. Chr.) stärkte der ostfränkische König Otto der Große die Position Deutschland in einem zersplitterten Europa, so daß es sich zur führenden Macht über

(Obacht, jetzt kommt‘s:)

fast 300 Jahrhunderte entwickeln konnte.

Deutschland der Hegemon Europas bis ins Jahr 31000? Vor Schreck über solche Aussichten vergaß ich fünf Minuten lang, mir die Nase zu putzen. Und machte vorsichtshalber das „Fänsän“ (F. W. Bernstein) wieder an.

Es würde mich übrigens gar nicht wundern, sollte dieser Atlas das Hauptnachschlagewerk des Toppolitologen Herfried Münkler sein.

Illustration: „Diagnostik der inneren Krankheiten auf Grund der heutigen Untersuchungsmethoden – ein Lehrbuch für Ärzte und Studierende (1901)_(14571073778)“ / By Internet Archive Book Images [No restrictions],
via Wikimedia Commons


Sonntag, 25. Oktober 2015 10:00
Abteilung: Aufgelesen, Bored beyond belief, Man schreit deutsh

Ein Kommentar

  1. 1

    Also dagegen sehen die auf bloß lächerliche zehn Jahrhunderte angelegten Ambitionen von Siegertypen wie Adolf und Björn H. (NSDAP und AfD) wirklich sehr, sehr blaß aus. KP
    PS.
    Ich wünsche baldige Besserung für die oberen Luftwege! Das Schnupfengedicht ist nämlich in der Tat nicht schön.

    Schön nicht, aber wohlgeformt. – Danke für die Besserungswünsche! KS

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