„Wer Angst hat, der hat schon verloren“ (1)
Er zählte zu den führenden Karikaturisten der alten BRD. Seine Cartoons waren Tagesgespräch und oft auch Skandal. Doch mit der Wiedervereinigung wurde es still um Satyricos: Sein hintersinniger Humor war in der „Spaßgesellschaft“ der 90er nicht mehr gefragt. Im „Abfall aus der Warenwelt“ feierte der Altmeister vor kurzem ein sensationelles Comeback. Ein Porträt der legendären „spitzen Feder“.
Lehr- und Wanderjahre eines Unangepaßten
Berlin 1967. Die Jugend begehrt auf gegen Schah-Besuch, Springer-Verlag und den Muff von tausend Jahren. Vor diesem rebellischen Hintergrund geht der Stern eines Künstlers auf, dessen eigene Geschichte wie ein Spiegelbild seiner Zeit wirkt – Satyricos. Ein Witzbild, auf Blaumatrize gekratzt und heimlich in einer Weddinger Hauptschule vervielfältigt, geht wie ein Kassiber von Hand zu Hand … Und über Nacht steht die „Frontstadt“ kopf.
„Nein“, sagt Satyricos heute bescheiden, „nein – das war kein Meisterwerk. Ich würde mittlerweile vieles anders zeichnen. Die Schere zum Beispiel: Sie wirkt zu nett, zu niedlich.“ Doch damals, meint er, habe bereits diese Andeutung ungeheuer provoziert. „Das waren derart spießige Jahre, man macht sich heute keinen Begriff davon! Aber die jungen Leute, die waren hellwach. Und sie haben beim Lachen den Kopf nicht verloren.“
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—In die Tumulte der Studentenbewegung geriet er, „weil es wohl meine Bestimmung war“. Er hatte bis Mitte der 60er-Jahre in seiner Heimatstadt Münster Buchdruck und Schriftsatz gelernt. „Gab viel auffen Arsch!“ sagt er mit unverkennbar westfälisch gefärbtem Akzent. „War nicht so lustig.“ Sobald Satyricos – der mit bürgerlichem Namen Ewald Kreuner heißt – den Gesellenbrief in der Tasche hatte, machte er sich auf nach Berlin. „Das war kurz vor meinem 18. Geburtstag. Ich hatte nicht die geringste Lust, mich in eine Uniform stecken zu lassen, und als Berliner war man ja von der Wehrpflicht befreit.“ Seine Eltern, die gläubige Christen, über-
zeugte Gewerkschafter und aktive Pazifisten waren, unterstützten den Jungen, ohne zu zögern. Sie halfen ihm auch, einen Job als Setzer bei einem kleinen Berliner Verlag zu finden.
„Dann war ich also eine ‚Bleilaus‘, wie man das seinerzeit nannte. Noch so ein ehrwürdiger Beruf, den es heute nicht mehr gibt“, seufzt er. Doch dem künstlerisch Hochtalentierten genügt das Setzen fremder Texte bald nicht mehr. „Ich wollte meine eigene Stimme zu Gehör bringen. Ich wußte, daß ich was zu sagen hatte, aber ich war noch nicht sicher, wie.“ Deshalb belegt Ewald Zeichen- und Malkurse an der Berliner Volkshoch-
schule. Einem der Dozenten fällt die Begabung des eifrigen Schülers bald ins Auge und er vermittelt dem inzwischen Zwanzigjährigen eine Sonder-
zulassung für die Hochschule der Künste samt Stipendium.
Satyricos lächelt versonnen, als er sich an seine Studentenjahre erinnert. „Die Kommilitonen und Professoren guckten mich anfangs etwas scheel an. ‚Was will denn dieser Prolet hier?‘ zischelten sie hinter meinem Rücken. Aber ich hab mich nie beirren lassen.“ Dieses Selbstbewußtsein verdankte der junge Mann nicht zuletzt seinem Vater, dessen Lebens-
motto stets gewesen sei: „Wer Angst hat, der hat schon verloren.“
Die Anfänge der Studentenbewegung beobachtete Ewald eher skeptisch: „Ich war ein Linker, das hab ich mit der Muttermilch eingesogen. Aber ich war ein undogmatischer Linker – bin es bis heute.“ Die Wortführer der Apo erschienen ihm zu theorielastig, zu ideologisch. „Aber daß sich in Deutschland was ändern mußte, darin stimmte ich voll und ganz mit ihnen überein.“ Als 1967 der Schah von Persien die geteilte Stadt besucht, marschiert Ewald in den vordersten Reihen der Demonstranten mit. „Ich hab alles hautnah miterlebt. Die Wasserwerfer, die Prügelperser, die knüppelnden Polizisten. Und dann diese schreckliche Geschichte mit Benno Ohnesorg …“ Satyricos‘ Stimme bricht. Auch fast 50 Jahre danach erschüttert ihn das Erlebte.
Die berüchtigten Hetzartikel der Springer-Presse gegen die Apo schüren die Wut in Ewald Kreuner. Er muß mit seinen Mitteln, den Mitteln der Kunst, dagegen-
halten, daran besteht für ihn kein Zweifel. Aber anders als heute, wo dank Internet und PC–
Drucker jedermann jederzeit seine Meinung an die Öffentlichkeit bringen kann, waren in jener Zeit die technischen Möglichkeiten äußerst begrenzt. „Es gab ja nicht mal Photokopierer!“ Die Lösung des Problems ist ein wenig kriminell.
Mit Schelmenlächeln berichtet Satyricos: „Meine damalige Freundin – die heute meine Frau ist – war Referendarin an einer Schule in Wedding. Sie besorgte sich heimlich einen Nachschlüssel für den Geräteraum. Und da stellten wir bei Nacht und Nebel eine 500-Blatt-Auflage des Scheren-Cartoons her. Zwei Freunde standen derweil Schmiere. Wir waren eine echte Verschwörertruppe!“ Noch in derselben Nacht verteilen sie die brisanten Papiere in Kneipen und Musikclubs, kleben sie an Litfaßsäulen und Verkehrsschilder.
Seine Lebensgefährtin war es auch, die ihm riet, die Karikatur unter Pseudonym zu veröffentlichen. „Für solche Aktionen konnte man damals in Teufels Küche kommen – ein Rausschmiß aus der Hochschule wäre das Mindeste gewesen.“ Das aber wollte er den geliebten Eltern, die in ihren Sohn große Hoffnungen setzten, nicht antun. „Ich notierte mir Dutzende von Kunstnamen. Das war ein Riesenspaß! Schließlich kamen vier in die enge Auswahl: Macabrius, Zwerg Fell, H. H. Humoroff und – Satyricos. Na, Sie wissen ja, wie ich mich entschieden habe.“
Die Entscheidung war goldrichtig. Am Tag nach der Flugblattaktion redet ganz West-Berlin über den „rotzfrechen“ Satyricos, und viele Bürger verlangen mehr „Lachfutter“ von diesem unverbrauchten, unorthodoxen Cartoonisten.
Lesen Sie in der nächsten Folge, wie Satyricos zur westdeutschen Institution wurde.
Alle Illustrationen: © Satyricos