Der Blogger ist blockiert (1): Verschlußsache

„Der Fuß“, schreibt unser bedeutendster Dichter Ror Wolf in seiner Inkarnation als Raoul Tranchirer, „ist neben dem Gehirn die Hauptsache der Menschenform.“ Außerdem lernen wir aus Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt 1 über „Füße, kalte“: „Die Füße sind bezüglich der Blutversorgung die am meisten benachteiligten Teile des Menschen, weil sie am weitesten vom Herzen entfernt sind und weil das Blut bei seinem Rückweg bergauf laufen muß.“ Vor einem runden Vierteljahrhundert habe ich diese Zeilen das erste Mal gelesen; aber erst heute ist mir klar, daß in ihnen mindestens so viel Wahrheit wie Komik steckt.

Denn seit einem Monat macht mein linker Fuß mir zu schaffen – um es zurückhaltend auszudrücken. Er glüht und krampft, sticht und kribbelt, pocht und drückt, pausenlos, Tag und Nacht. Vor allem nachts. Das ist wie ein Sonnenbrand mit Mückenquaddeln. Oder wie nach einer Waldwanderung in Flip-Flops. Eine gewisse Taubheit, als hätte der Fuß stundenlang in Eiswasser gebadet. Ein gewisser Druck, als stünde man auf der Kante eines Ziegelsteins. Eine gewisse Lähmung, als sei um die Wade ein Gummischlauch geknotet. Nein, schlimmer. Es ist wie nichts, das ich jemals erfahren habe. – Ah, nun komme ich auf den passendsten Vergleich: Linker Fuß und Knöchel fühlen sich an, als trüge ich einen Gummistiefel, der zwei Nummern zu klein ist, und außerdem Socken aus unbehandelter Wolle.

Diese alles in allem recht unerfreulichen und ziemlich zermürbenden Erscheinungen habe ich einem akuten Arterienverschluß in der Aorta des linken Beins sowie einer fortgeschrittenen Verkalkung dieses Gefäßes zu verdanken. Gegen den Blutpfropfen bin ich Ende Januar stationär und zum Glück erfolgreich behandelt worden. Aber er konnte mich lange genug verstopfen, um für eine Schädigung der Nerven im linken Fuß zu sorgen. Und damit sitze ich da, aber lange sitzen kann ich damit nicht. Stehen auch nicht, gehen auch nicht, liegen gar nicht. Der Blogger ist blockiert, ganz unten und ebenso ganz oben: In die Konzentration aufs Manuskript fährt jäh ein Schmerz hinein wie von einem Tritt in Glasscherben. Zum Beispiel genau jetzt. Als machte die felsenschwere Müdigkeit mich nicht schon fahrig genug.

Bevor ich damit beginne, meinen Fall etwas sortierter zu beschreiben und etwa zur Unerfreulichkeit von Heparin-Spritzen in die Bauchdecke Stellung zu nehmen bzw. zur Verwirrung von Zeit- und Selbstbewußtsein auf der Intensivstation resp. zu den ungeahnten Freuden eines Fußbads – bevor ich die Blockade des Bloggers also historiographisch bearbeite, warte ich freilich lieber mal ab, was der Kardiologe mir morgen mittag erzählen wird. Denn dann soll eine Herzkatheteruntersuchung beendet sein, auf die ich, nun ja, recht gespannt bin. Du bekommst schließlich nicht jeden Tag einen Plastikschlauch durch Leiste, Bauch und Brustkorb in die Pumpe hineingeschoben. Sie, werte Leser, dürfen mir für sämtliche Phasen der Behandlung übrigens gern die Daumen drücken. Mille grazie & CU!

PS. Ähnlich komisch und todernst, wenngleich natürlich nicht so formvollendet wie die Tranchirer-Glossen zeigt sich das Informationsblatt zu meiner Katheterisierung: Nach der Behandlung, steht da, „sollten Sie keine gefährlichen Tätigkeiten durchführen (…), keinen Alkohol trinken und keine wichtigen Entscheidungen treffen“. Falls mich morgen nachmittag ein Schweizergardist besucht und mir den Papstthron anträgt, werde ich also um Bedenkzeit bitten müssen.

1 Ror Wolf: Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt.
Anabas Verlag, Gießen 1983, S. 84 u. 85

Illustration: Wikimedia commons/Mcstrother

Episode 2: Bulletin
Episode 3: Kassiber
Episode 4: Rezept


Montag, 11. Februar 2013 22:20
Abteilung: Selbstbespiegelung

2 Kommentare

  1. 1

    Lieber Kay,
    alle Daumen drücken,
    M&G

    Danke! KS

  2. 2

    Sehr anschaulich beschrieben und erst jetzt können wir uns in etwa
    vorstellen, wie es Dir gehen muss. Aber alles wird gut! Bestimmt!
    L.gr. Anja & Co

    Und ich hab‘ ausnahmsweise nichts erfunden … Danke euch! KS

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