„Wer Angst hat, der hat schon verloren“ (2)

Er zählte zu den führenden Karikaturisten der alten BRD. Seine Cartoons waren Tagesgespräch und oft auch Skandal. Doch mit der Wiedervereinigung wurde es still um Satyricos: Sein hintersinniger Humor war in der „Spaßgesellschaft“ der 90er nicht mehr gefragt. Im „Abfall aus der Warenwelt“ feierte der Altmeister vor kurzem ein sensationelles Comeback. Teil zwei eines Porträts der legendären „spitzen Feder“.

Ein Strich schreibt Geschichte
In den folgenden Monaten flatterten fast täglich neue Flugblätter von Satyricos durch die „Frontstadt“. Vor seinem scharfem Spott war niemand sicher – auch nicht „Heilige“ der Studentenbewegung wie die Bewohner der „Kommune 1“. Allerdings gab es ein Problem: Die frühen Bewunderer des zeichnenden Spötters wußten oft nicht, wie sein Pseudonym ausgesprochen wird. „Mein erster Autograph“, bekennt er heute schmunzelnd, „war etwas zu ambitioniert. Die einen sagten ‚Atyricos‘, andere ‚Tyricos‘. Und diejenigen, die den Kringel richtig entzifferten, stritten sich mit dem Rest. So kann man natürlich nicht berühmt werden.“ Also änderte er – wiederum von der Liebsten klug beraten – das Logo in die bis heute gültige Form.


Größer war das Problem der Cartoon-Verbreitung. Die konspirative Nutzung des Matrizendruckers stellte die Nerven von Kreuner und Genossen jedesmal auf eine harte Probe. „Im Winter nachts mit einem Packen Papier durch die Straßen zu laufen, ständig auf der Hut vor Schupos und Stulle-Berlinern … Das ist nicht eben die Traumbeschäfti-
gung junger Leute“, erzählt Satyricos mit einem schiefen Grinsen. Er war kurz davor, seine Cartoonisten-Karriere an den Nagel zu hängen und sich wieder ausschließlich dem Studium zu widmen, als ihn ein folgenschwerer Anruf erreichte.

   „Das war mein Zeichenlehrer von der Volkshochschule. Herr Ziegler – Tjorben Ziegler. Ein wunderbarer Mann.“ Satyricos nimmt die große runde Brille ab und reibt sich die Augen. „Ich verdanke ihm alles.“ Ziegler war eines der Flugblätter in die Hand gefallen, und er hatte sofort den kräftig zupackenden Strich des Lieblingsschülers erkannt. „Einer seiner Jugendfreunde leitete das Politikressort der Frankfurter Rundschau. Damals noch ein aufrechtes linksliberales Blatt, eine erste Adresse, sozusagen. Dort wollte Tjorben für mich ein gutes Wort einlegen. Ich war so überrascht und, ja, geschmeichelt, daß ich gar nicht wußte, was ich sagen sollte. Aber am nächsten Tag habe ich eine Mappe mit meinen Karikaturen geschnürt und an die Rundschau geschickt.“

   Der Rest ist Geschichte. Deutsche Geschichte. Die Satyricos-Cartoons wurden zum Markenzeichen der Frankfurter Rundschau – so wie die Zeichnungen von Luis Murschetz für die Zeit oder die Werke von Ernst Maria Lang für die Süddeutsche Zeitung. Zu beiden Meistern pflegte Satyricos „freundschaftliche Konkurrenz“, obwohl ihre Graphiken ihm damals bieder und bürgerlich erschienen. „Aber“, sagt er lachend, „da hatte der olle Schiller schon recht: ‚Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort‘!“

Bis in die frühen 70er-Jahre erscheinen Satyricos‘ Zeichnungen nur in der Samstagsausgabe der Rundschau, meist im Feuilleton. Sein Studium erlaubte es ihm nicht, öfter tätig zu werden. „Der Herausgeber, der große Karl Gerold, wollte mich schon gern als politischen Karikaturisten auf die erste Seite heben. Aber um tagesaktuell zu arbeiten, mußte ich in der Nähe der Redaktion sein. Und Berlin liegt wirklich nicht um die Ecke von Frankfurt. Oder?“ – „Wieso“, erwidere ich, „Frankfurt an der Oder liegt doch …“ Nun erst begreife ich das brillante Wortspiel. Auch mit 67 Jahren ist die Schlagfertigkeit dieses Mannes ungebrochen, perlt sein Witz wie feiner Champagner.

   1971 bestand Kreuner die Abschlußprüfung an der Kunsthochschule mit Bravour. „Und da habe ich mich endlich vor meinen Professoren, neudeutsch zu reden, ‚geoutet‘. Ein paar von denen fiel vor Entsetzen das Kinn auf den Boden. Aber die anderen meinten, daß die Bundes-
republik einen so begabten Karikaturisten wie mich dringend nötig hätte. Dieses Lob bedeutete mir mehr als jedes Diplom.“ Nur wenige Tage später verabschiedeten sich Ewald und seine Frau Bianka – sie hatten zwei Jahre zuvor geheiratet – von ihren Berliner Freunden und zogen nach Frankfurt am Main. Während sie eine Stelle im Landesschulamt antrat, wurde er als „fester Freier“ Rundschau-Redakteur.

   In seiner Begeisterung über den neuen Beruf hatte Ewald allerdings etwas Entscheidendes vergessen: In Hessen unterlag er immer noch der Wehrpflicht. Kaum hatten die jungen Eheleute eine Wohnung gefunden, als ein Musterungsbescheid im Briefkasten landete. „Ich lief damit zu Gerold und sagte: ‚Sie müssen sich jetzt wohl einen anderen suchen.‘ Aber er brummte bloß ‚Schnickschnack!‘, griff zum Telephon und ließ sich zu Helmut Schmidt durchstellen. Der war damals Verteidigungsminister – und mit Gerold gut befreundet. Tja, danach hatte ich vorm Barras meine Ruhe.“

   Doch der „Barras“ nicht vor ihm: Zu den bevorzugten Zielscheiben seiner Pointen zählte stets das Militär. „Irgendwann bin ich auf einem Presseball dem Schmidt persönlich begegnet. ‚So, so, das ist also der berühmte Herr Satyricum‘, schnarrte er und paffte mit seiner Pfeife. Ich paffte ebenfalls ein paar dicke Wolken und antwortete: ‚Aha, das ist also der berühmte Herr Schmodt.‘ Er stutzte, aber dann mußte er lachen.“ Helmut Schmidt wußte noch, daß er „Satyricum“ einst einen großen Gefallen erwiesen hatte. „Er meinte, ich sollte mich deshalb mit Attacken auf die Bundeswehr etwas zurückhalten. Darauf ich: ‚Herr Bundeskanzler, was wäre wohl aus der Truppe geworden, wenn ich gedient hätte?‘ Da lachte er wieder. Später schenkte er mir eine Pfeife. Mit der rauche ich heute noch gelegentlich.“ Im Gegenzug verehrte der Humorist dem Politiker das Original einer Karikatur, von der Loki Schmidt gesagt haben soll: „Ach, das ist mein Dicker, wie er leibt und lebt!“

   Das „kleine Laster“ Pfeiferauchen sei übrigens das einzige, das er sich je erlaubt hat, betont Satyricos: „Ich bin seit vierzig Jahren ein treuer Ehemann. Ich trinke nur zum Geburtstag ein Gläschen Sekt. Und Glücksspiel? Das überlasse ich unseren Politikern!“

Tausende Cartoons hat Satyricos für die Frankfurter Rundschau gezeichnet. Sie dokumentieren die Irrungen und Wirrungen der Zeit – von „Willy wählen!“ bis „Wir sind das Volk!“, vom Deutschen Herbst bis zum Russischen Frühling. Der Künstler hat nicht gezählt, wie oft sich hochgestellte Persönlichkeiten bei der Chefredaktion über ihn beschwerten. „Sehr oft“, sagt er lapidar. Sein Blick jedoch verrät, daß er stolz ist auf so viele namhafte Feinde.

   „Natürlich gab es auch Versuche, mich zum Schweigen zu bringen. Sie probierten es mit Geld, aber da hab ich nur gelacht. Dann drohten sie der Rundschau, keine Anzeigen mehr zu schalten. Da haben die Kollegen gelacht. Und zuletzt probierten sie es über meine Frau. Man drohte ihr meinetwegen mit disziplinarischen Maßnahmen. Da war‘s vorbei mit lachen.“ Die Kreuners verklagten den Erpresser, einen Ministerialdirektor im hessischen Bildungsministerium. „Das war ein Skandal ersten Ranges! Anschließend war dieser Speichellecker frühpensioniert und meine Frau wurde befördert.“ Trotzdem ist ein fader Nachgeschmack geblieben: „Die Macht hatte uns ihre Instrumente gezeigt. Seither weiß ich, wie fragil unsere Demokratie ist.“

   Doch weiterhin galt für Ewald Kreuner das Lebensmotto: „Wer Angst hat, der hat schon verloren.“ Statt sich zähmen zu lassen, wurde er noch unberechenbarer. Sein Humor wurde schwärzer, galliger. Nicht selten bat ihn die Chefredaktion, Zeichnungen zu „entschärfen“. Aber Satyricos dachte nicht daran. Lieber verzichtete er auf Honorar als auf eine treffende Pointe. „Der große Gerold war zu der Zeit leider schon lange tot. Und seine Nachfolger hatten nicht annähernd den Schneid, den er besaß. Andererseits wollte ich die Zeitung, die mich berühmt gemacht hatte, nicht brüskieren.“

   Aus dem Dilemma half ihm ein Lehrauftrag an der Städelschule Frankfurt. Hier unterrichtet Kreuner bis heute angehende Graphiker. „Ich zog mich aus der Redaktion zurück – und kehrte auf gewisse Weise heim ins richtige Leben. Es ist unbeschreiblich angenehm, jungen Menschen weiterzugeben, was man kann und was man weiß!“

   Während einer Seminarprüfung entstand 1982 die bis heute bekann-
teste Satyricos-Karikatur. „Ich langweilte mich hinter meinem Pult. Unten kritzelten die Studenten, oben saß ich und machte auf wichtig. Dabei ging mir die ganze Zeit durch Kopf und Bauch, was draußen im Land los war. Die Nachrüstung – der drohende Atomkrieg, die Angst der Bürger, der Zynismus der Mächtigen …! Also fing auch ich an zu kritzeln.“ Abends zeigte er „das Schmierblatt“ seiner Frau. „Sie nahm mich in die Arme und sagte: ‚Das ist dein Meisterwerk!‘ Ich war nicht so sicher. Aber weil es sich für mich immer gelohnt hat, auf Bianka zu hören, fertigte ich eine Reinzeichnung an und brachte sie am nächsten Tag zur Rundschau.“

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   Und auch dort: Bewunderung, Begeisterung. Zum ersten Mal in der Geschichte der Zeitung wurde die obere Hälfte der Titelseite für eine Karikatur reserviert. Hunderte Blätter aus dem In- und Ausland erbaten eine Nachdruckgenehmigung. Bei Demonstrationen gegen den NATO
Doppelbeschluß wurde Satyricos‘ Cartoon auf riesigen Transparenten mitgeführt. Und schließlich behandelte sogar der Deutsche Bundestag das Witzbild in einer Aktuellen Stunde.

   „Das hat Helmut Schmidt mir nie verziehen. Er fühlte sich persönlich beleidigt.“ Die Männerfreundschaft zwischen Künstler und Kanzler zerbrach. „Muß wohl die notorische hanseatische Sturheit dran schuld sein“, seufzt Satyricos. „Dabei hat er am Ende gewonnen, die verfluchten Raketen wurden ja stationiert. Je nun … Wenn ich mich mal selbst zitieren darf: Ohnmacht macht arme Wurst – Macht macht Leberwurst.“

Lesen Sie in der letzten Folge, wie Satyricos sich „verbrannte“ – und warum er trotzdem nie aufgegeben hat.

Das große Satyricos-Porträt
Teil eins: Lehr- und Wanderjahre eines Unangepaßten

Alle Illustrationen: © Satyricos

 


Montag, 16. Juli 2012 14:25
Abteilung: Die spitze Feder, Selbstbespiegelung

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