Abrechnung


Seit
acht Jahren und fünf Monaten betreibe ich mein Weblog. In dieser Zeit erschienen knapp 570 Blogposts, die meisten davon Originalbeiträge. Längere bis ellenlange Artikel stellen den Hauptteil im „Abfall“. „Notizen“ im Wortsinn, das heißt, hingeworfene und abgehackte Stücke bilden die Ausnahme. Es gab ein paar Gastbeiträgeaber die meisten der aberzehntausend Wörter, die hier zu lesen sind, habe ich allein gesetzt.

Mein Blog war (außer für mich) immer gratis. Ich habe trotzdem stets auf Reklame und versteckte Schikanen verzichtet. Es sind hier weder Cookies noch Tracker aktiv, und seit einigen Wochen ist diese Website sogar auf das sicherheitszertifizierte, für den Betreiber allerdings gebührenpflichtige „https“-Verfahren umgestellt. Mein Blog, „nehmt alles nur in allem“ (Shakespeare), ist ein Geschenk ans Publikum, ein Vademecum ohne digitale Nebenwirkungen. Darauf bilde ich mir etwas ein, und, Master Snowden sei mein Zeuge, zurecht.

Mein Blog ist dennoch, bei aller Rücksicht auf die Besucher, vor allem eine private Angelegenheit. Was ich hier publiziere, würde anderenfalls in einem meiner handfesten Notizbücher oder -hefte blind versinken.

Ich habe nichts gegen ein Publikum für meinen „Abfall“, ich freue mich sogar darüber. Aber ich wollte nie ein Publikum ködern. Ich will auch keines bedienen. Man kann mein Zeugs lesen oder es lassen. Was ich an diesem Ort zur Kenntnis bringe, interessiert erst einmal mich selbst, es richtet sich nicht nach anderer Leute Interessen. Sollte es einen Leser, eine Leserin ansprechen, womöglich ergötzen, was ich ins Weblog schreibe, nenne ich dies ein Glück; denn selbstverständlich tut’s dem Autor gut in seiner Schreibstubeneinsamkeit.

Aus diesem, partiell eitlen, Grund stand bisher jedes „Abfall“-Posting Leserkommentaren offen. Davon sind über die Jahre rund tausendfünfhundert zusammengekommen, was ich bei einer abseitigen Seite wie meiner für recht beträchtlich halte. Viele Kommentatoren meldeten sich einmal und nie wieder, mehrere wurden zu so was wie Stammkundschaft, manche zu liebwerten Bekannten, einer wurde sogar zum Freund. Das ist keine schlechte Bilanz, glaube ich.

Wie es im weltweiten Weben so geht, verirrten sich leider auch immer wieder Webfehler hierher und hinterließen ihren Defekt. Meistens ließ ich solche Maschen durchlaufen; nur äußerst selten (keine zehn Mal) löschte ich, was besser nie erzeugt worden wäre. Ich war als Gastgeber generös und nach meinen Möglichkeiten aufmerksam. So gut wie kein Kommentar, der hier erschien, blieb von mir unkommentiert, und in der Regel bemühte ich mich dabei um gute Manieren. Wenn, hieß meine Maxime, die Leute schon ihre Zeit opfern, um mich zu lesen und Anmerkungen zu formulieren, gebietet es die Höflichkeit, daß ich mich damit beschäftige, wie blöd oder öd ich die Bemerkungen auch finden mag.

Nicht jeder Leser kann mit Großzügigkeit umgehen. Nicht wenige „Abfall“-Kommentatoren und -törinnen verwechselten meine Freundlichkeit mit Freundschaft, meine Bereitschaft, ihnen zuzuhören, mit einem Bedürfnis, von ihnen zu hören. Solche Kommentatoren sind übrigens immer ano- oder pseudonym unterwegs; und wenngleich zwei oder drei von denen mir bei Nachfrage ihre echten Namen verrieten, wollten sie im „Abfall“ weiterhin Avatare bleiben, aus wenig verständlichen, manchmal verächtlichen Gründen.

Es war mein grober, größter Fehler, dieser Sorte Kommentatoren eine Schmiertafel für ihre Graffiti geboten zu haben. Ich hätte ihrer Übergriffigkeit und Unverfrorenheit, ihrem Geschwätz und Geschwitz einen Riegel vorschieben müssen bereits beim ersten Versuch. Aber, wie gesagt – ich dachte, daß jeder, der seine Zeit für mich erübrigt, meine Zeit verdient. Ich Trottel.

***

Am 14. September war der Punkt erreicht, den ich jetzt mache. Einer jener unhöflichen, unverschämten, unerträglich gönnerhaften Kommentatoren, die mich studieren und deshalb dem Trugschluß erliegen, mich belehren zu dürfen, kackte mir diese Sammlung von Interpunktions- und Grammatikfehlern ins Kommentarfeld:

Eigentlich wollte ich mich für die Zukunft auf die Rolle des stillen Mitlesers zurückziehen, denn die Tatsachen, dass Sie den von mir verlinkten Text […] einfach mal so nassforsch bis überheblich abgewatscht haben und dass dagegen Leute wie […] neutral bis positiv von Ihnen kommentiert werden wobei gleichzeitig über die Kommentatorin […] von anderen Kommentatoren polemisch hergezogen werden darf, hinterließ bei mir den Eindruck, dass der ‚Abfall‘ sich entgegen früherer Standards ab jetzt zu einem reinen ‚Schulterklopferblog‘ entwickelt hat. Auch davon gibt es doch schon genug.

Ich sage nicht, wer den Scheiß abdrückte, denn der Rollenspieler selbst will keinen Namen außer einem ausgedachten, absurden haben, und Pseudonyme verbreite ich ab sofort bloß weiter, sofern sie von Kurt Tucholsky sind. 

Die dreiste Dummheit jenes Kommentars überstieg alles, was ich in achteinhalb Jahren Bloggerei ertragen mußte. Mir drei Tage, nachdem ich zwei durchaus kritische und extralange Kommentare in ein genuines Blogpost verwandelt hatte, vorzuwerfen, ich betriebe neuerdings ein „Schulterklopferblog“, hat mir final gezeigt, wie unnütz es ist, im digitalen Dschungel kein Barbar zu sein und diskret für sich zu behalten, was schon bei der Empfängnis würgt. (Daß weite Teile dieses Blogs der – wie heißt das? – Dekonstruktion Sokolowskys sich widmen, daß ich keine Gelegenheit versäume, mich selbst zu veralbern: kriegt so ein Schlauberger wie der da natürlich auch nicht mit.)

Ich ziehe meine Konsequenz, und der Verfasser, der über meine „früheren Standards“ besser bescheid zu wissen meint als ich selbst, darf sich freuen, für die Folgen verantwortlich zu sein; er ganz allein. Chapeau! Allein seine Ignoranz, Anmaßung und Impertinenz haben gereicht, daß es mir reicht.

Ich habe nämlich nach der Unterstellung, auf „Schulterklopfer“ aus zu sein, keine Lust mehr, mir von Schienbeintretern, die sich hinter Pseudonymen tarnen, das Blog in Klump kloppen zu lassen. Daß ich seit Empfang jenes dummen, dreisten Kommentars nichts bloggte, daß mir das Bloggen deshalb, dieses Kotzmentars wegen, ein Scheuel & Greuel ward, dafür kann jener (leider nicht) „stille Mitleser“ sich gern gratulieren und können alle, die höhere Sitten pflegen, ihm danken.

Ich saß da, viele Wochen lang, und dachte nach, bis mir der Kopf fast zerbrach. Ich dachte nach über mein Blog, meine Rolle als Blogger, mein Verhältnis zum Publikum, und über dummdreiste Leser, die keinem Autor erspart bleiben. Die schon gar nicht einen Gelegenheitspolemiker wie mich verschonen – der anders als sie mit seinem Namen und Leben dafür einsteht, was sie, maskiert kommentierend, sich als Löwenmut einbilden. Ich brauchte das nie. Und ich will es nie mehr.

Schade, gewiß, ist es um die vielen gescheiten, witzigen, respektvollen Kommentatoren, die sich hier äußerten, die eine Einladung zum Dialog nicht als Ermächtigung zur Pampigkeit mißverstanden. Ich verzichte ungern auf kluge Kritik, und noch weniger gern auf Zuspruch und Lob. Doch noch einmal solch erdmanteltiefen Verdruß mit einem wie dem da zu erleiden, ist durch noch so viele Komplimente nicht auszugleichen.

Es wird ab heute im „Abfall“ keine Leserkommentare mehr geben.

Es besteht allerdings weiterhin die Möglichkeit, dem Blogger per E-Mail etwas mitzuteilen, die digitale Anschrift finden Sie hier. E-Mails, die ohne Klarnamen eingehen, werde ich ungelesen löschen, alle anderen so gut beantworten, wie Zeit und Nerven es mir erlauben. Wer auf seine Mail nicht mal ein „Dankeschön“ erwidert bekommt, darf davon ausgehen, daß sein Schreiben mir – bestenfalls – wurscht ist.

Ich hoffe, mit dieser Philippika allein jene vor den Kopf gestoßen zu haben, die es verdienen.Alle anderen, alle wirklich werten Leser und alle gern geschätzten Leserinnen, bitte ich, mir gewogen zu bleiben, so schwer ich’s ihnen, ichweißichweiß, auch mache mit meiner Unbeständigkeit, meinen Launen und meiner zitteraaligen Empfindlichkeit.

Photo: Martina Sokolowsky


Samstag, 21. November 2020 2:09
Abteilung: Inside "Abfall", SARS-CoV-2, Selbstbespiegelung

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