Alle Jahre bieder (1)

Dinge gibt es, da macht uns keiner was vor, da haben wir den Zinken vorn, da können alle anderen gepflegt die Schnauze halten – deutsche Autos, deutsches Bier, deutsche Wurst und natürlich:


Dieses Prachtstück von einem Tonträger aus, vermutlich, den frühen Siebzigern, gepreßt im Auftrag des mittlerweile entschlafenen Labels, Entschuldigung: Musikvertriebs „tt Record“ lachte mich aus dem Grabbelkasten meines Lieblingsramschladens an und war mir selbstverständlich einen vollen Euro wert. Schon der Titel in nordmanntannengrüner Fraktur ist annähernd unbezahlbar und das Photomotiv eine unmöglich zu vergütende Lektion in Kitsch und Kotz.

Doch dann die Enttäuschung, die bittere, beim Blick auf die Playlist! Da fehlt so gut wie alles, was eine Weihnacht echt deutsch macht. Statt „Papas Prügelpolka“ wieder mal bloß „Stille Nacht, heilige Nacht“. Statt über „Kindelein plärrt, Geschenk ist verkehrt“ rumpelt die Nadel über „Ihr Kinderlein kommet“. Statt „Gans ist uns verkokelt“ erschallt was? Ach je, das: „Es ist ein Ros‘ entsprungen“. Sogar die All-time-Classics „Christbaum, Christbaum, was nadelst du so“, „Mütterchen weinet sich in den Schlaf“ und „Blockflöten winseln durch die Nacht“ entfallen für „O Tannenbaum“, „Still, still, still“ und „Kling, Glöckchen, klingelingeling“.

Leider entschädigen weder das ohrenzerstäubende „Glockengeläute der Frauenkirche in München“ noch ein brunzdumpfes „Glockenspiel vom Dom zu Mainz“ den nostalgietrunknen deutschen Weihnachtsaficionado. Deshalb bin ich gern bereit, demjenigen Leser, der mir einen schneidigen Vierzeiler mit Reimen auf „Weinbrandbohnen“ sowie auf „Strohstern“ zusendet, die Platte sowie einen Exklusivpost in meinem Blog zu schenken. In der Adventszeit habe ich nämlich, das ist übrigens auch schön deutsch, die Spendierhosen an (aus braunem Feincord). Und höre ab sofort nur noch Feindsender.

5 Kommentare

  1. 1

    Da wird mir ja ganz warm ums Herz! War diese Platte doch Standardprogramm zu Weihnachtsfesten meiner behüteten Kindheit, die sich immer schöner anfühlt, je länger sie zurückliegt!
    Die Platte wirkte damals wie sie heute auch wirkt: Sie erzeugt billige Gefühle bei einfachen Leuten!

    Brechreiz ist auch ein billiges Gefühl, oder? Frag ich mal als einfacher Mann. KS

  2. 2

    Unter uns einfachen Männern: Ja klar, genau so ist’s gemeint.

  3. 3

    Und klar ist natürlich auch: Wenn solche Weihnachtsdingensverpackungsdesigner anfangen, mit gebrochenen Schriften rumzutypographieren, nutzen sie gleich die erste sich bietende Gelegenheit, langes s und Schluß-s zu velwechsern.

    Da bitte ich doch um ein Belegphoto, sofern vorhanden. KS

  4. 4

    Das Belegphoto ist oben auf dieser Seite zu sehen. Der vierte Buchstabe im abgebildeten Plattencover ist falsch. Da gehört ein http://de.wikipedia.org/wiki/Langes_s hin.

    Hmm. Ich glaube, Sie meinen den FÜNFTEN Buchstaben. Und das sollte doch wohl ein KURZES „s“ in Fraktur sein, oder? – Jedenfalls: wieder was gelernt, über die diversen Schreibweisen des „s“ in der gebrochenen Schrift – dafür vielen Dank!
    Aber bitte nicht die Designer-Deppen von heute mit ihren idiotischen Vätern votzwochseln. Die Platte ist gut 40 Jahre alt (was freilich zeigt, daß Ahnungslosigkeit zeitlos ist). KS

  5. 5

    Gerade nochmal nachgezählt: Sie haben natürlich recht.

    Und wenn Sie irgendwo ein weiteres Designer-Schwachsinn-Beispiel finden, würde ich mich freuen, es hier zu veröffentlichen und zu geißeln. Venceremos! KS

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