Archiv für die Abteilung 'Aphone Aphorismen'

Aphone Aphorismen (5): Nichts wie weg

Samstag, 1. Juni 2013 19:48

Menschenleere Wege sind in der Großstadt am Tag so rar, daß der Flaneur sich nicht recht entscheiden mag, ob er sie benutzen möchte. Einerseits lockt die Aussicht, abseits des üblichen Gewimmels zu wandern und sich dabei ein bißchen wie Marco Polo zu fühlen. Die Propaganda des Boulevards hat andererseits eingeschärft, überall Gewalt zu fürchten. Nicht daß man sich von dergleichen bange machen ließe. Eher schreckt die Vorstellung, drauflos zu laufen und auf halber Strecke Artgenossen zu begegnen, die die Illusion eines Abenteuers zerstören. So bleibt dem Einwohner der Metropole, der was erleben will, bloß die Wahl zwischen zwei Arten der Enttäuschung: Der, die ihm seine Skepsis vorab verschafft, und jener, die ihm die Mitbürger etwas später antun werden. Vielleicht wirken Spaziergänger am Sonntag in ihren Jack-Wolfskin-Jacken deshalb noch verdrossener als unter der Woche auf dem Weg zur Arbeit. Eine Zivilisation ohne Zivilisation: die Utopie schlechthin.

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Aphone Aphorismen (4): Worte verlieren

Freitag, 31. Mai 2013 23:21

An den Fluß gehen und eine Flaschenpost hineinwerfen, die man an sich selbst adressiert hat: Das dürfte das Merkmal großer Dichtung sein in einer Zeit, die erstickt unter der Last des Gedruckten und Gebloggten, die vor lauter Ansprache taub ist, die ihre entsetzliche Flüchtigkeit durch die Verschriftlichung noch des dümmsten Mumpitz zu bannen versucht. Versänke die Flaschenpost auf ihrem Weg vom Absender zum Absender, käme die Menschheit vielleicht um ein millenares Meisterstück. Aber welch ein heroischer Untergang das wäre! Zu dichten, ohne je einen Leser zu finden, ist selbstverständlich keine Heldentat, sondern der Normalfall. Aber das Risiko, nie gelesen zu werden, mit großer Geste herausfordern, es der Gefahr vorziehen, vom falschen Publikum belästigt zu werden: Das hat Stil. Und den muß einer schon besitzen, wenn er das Schreiben ernsthaft betreibt.

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Aphone Aphorismen (3): Ozymandias gewidmet

Donnerstag, 30. Mai 2013 23:00

Eventuell besteht das letzte Problem, das der Kunst zu lösen bleibt, darin, einen Müllhaufen schön aussehen zu lassen. Und zwar nicht, indem sie den Unrat so lange arrangiert und ausleuchtet, bis er sich in ein Objet trouvé verwandelt, sondern indem sie ihn nimmt, wie er ist. Keine Romantik, kein Pathos, keine Provokation: Das hatten wir alles schon, und der Erkenntniswert hielt sich in Grenzen. Die Spezies legt höchsten Wert darauf, Spuren im Kosmos zu hinterlassen, dafür hat sie sich Kultur und Kunst angeschafft. Doch wenn die Menschheit irgendwann verschwunden ist, wird nichts von ihr bleiben als die Verwüstung, die sie global betrieben hat, eine Vernichtungsorgie, die zuletzt auch gegen alles sich richten dürfte, was die Schöpfungskraft der Spezies dokumentiert.

Einzig dieses Weltkulturerbe wird Jahrmillionen überstehen: Niemals kann die Ökosphäre der Erde sich erholen von unserem Talent zum Zermalmen und Zerstören. Der Genpool des Planeten für immer kastriert und defekt, die Ozeane stinkende Kloaken, die Kontinente überzogen mit Schutthaufen und radioaktiven Wüsten – ein ordentliches Spektrometer dürfte noch am anderen Ende des Spiralarms offenbaren, welchen Eifer, wieviel Ingenium wir entfesselt haben, um die Erde nach unserem Bilde zuzurichten. Aber von uns wird niemand mehr da sein, um dies gewaltigste Zeugnis menschlichen Strebens zu würdigen. Darum tut eine Kunst not, die sich dem Müll anverwandelt, die heute schon in Schönheit das beispiellos Häßliche zeigt, das die Spezies um Äonen überdauern wird. Aber wer könnte solche Kunst ansehen, ohne dabei allein Müll zu erblicken und sich entsetzt abzuwenden? Und vielleicht ist der Dreck, der rasend, planlos, fern jedes ästhetischen Strebens produzierte Dreck bereits die Kunst, die dabei versagt, ihn darzustellen.

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Aphone Aphorismen (2): Gute Miene

Mittwoch, 29. Mai 2013 23:00

Mannigfach sind des Menschen Möglichkeiten, sich mitzuteilen. Im weitesten Begriff ist alles, was er tut, kommunikativ konnotiert. Sogar eine Blähung kann ein Kommentar sein (wie umgekehrt viele Kommentare kaum mehr als Blähungen sind). Eine der markantesten, mächtigsten Botschaften ohne Worte sendet das Lächeln. Zugleich eine der mißverständlichsten. Es kann defensiv wirken, entschuldigend, zugleich herablassend, aggressiv. Wie alle mimischen Äußerungen erschließt seine Bedeutung sich allein aus der Situation, und auch die kann man mißdeuten. Für sich genommen, ohne Kenntnis des Kontextes, hat es gar nichts zu sagen, erscheint vielmehr dumm und leer. Hinzutritt die Entwertung des Lächelns durch seine Allgegenwart in Werbung, Politik und Medien.

„Kostet mich ein Lächeln“, sagen wir, um ein Kinkerlitzchen zu beschreiben. Immer schon anfällig für die Korruption durch Hehler und Heiratsschwindler, Dirnen und Demagogen, ist das Lächeln im totalen Kapitalismus vollends heruntergekommen, es hat sich verkehrt zum Zeichen der Einverstandenheit mit dem traurigen Zustand der Welt. Gewinner lächeln, Verlierer nie: Das will uns die Reklame mit ihren Grienvisagen mitteilen. Wer also widerständig sich verhalten will, am blutigen Tisch der Sieger nicht sitzen möchte, der macht nicht mit beim Lächeln um jeden Preis. Buddhisten glauben, es stünde über der Welt, wer über sie lächeln kann. Um so weit zu kommen, muß man freilich das Lächeln erst mal verlernen, weiß der Dialektiker.

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Aphone Aphorismen (1): Schall und Rauch

Dienstag, 28. Mai 2013 23:37

Durch Zwielicht und Regenluft den Katzenstieg passiert. Vor mir ein Hund mit Menschen-
anhang, hinter mir ebenso. In Ahorn und Buche tönt Wettgesang der Amseln. Doch nirgendwo: eine Katze. Ist dergleichen Irreführung mit Namen in dieser Welt der Schwindeletiketten nicht längst die Norm? War je schon jemand im Entsorgungspark sorglos? Wo wurde auch nur ein Mal Energie erneuert, die Entropie widerlegend? Fließt aus den Alpen Milch? Paßt ein Tiger in den Tank? Wer hat eine Augenklappe bei den Piraten? Was wäre, bitteschön, engelhaft an Angela (Merkel)? Sah man irgendwann ein Schiff vertäut am Kay? Was Wunder, daß Katzen prinzipiell nicht auf die Namen hören, die wir ihnen geben.

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