Du bist der Boß!

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Spontane Trauerkundgebung für Harry Rowohlt in der Osdorfer Feldmark (Hamburg)

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Kein Bär von geringem, sondern einer von eminentem Verstand hat sich leider, leider für immer in den Hundertmorgenwald zurückgezogen. Er verstand ungewöhnlich viel, zum Beispiel vom Geschichtenerzählen. Doch am meisten von der Sprache, aus der die Poesie zieht, was Sprache werden soll. Harry Rowohlt konnte gegen gewaltige Kleinigkeiten wie ein Satzzeichen polemisieren wie hierzulande sonst nur Gremliza und Henscheid. Und wahrte dabei stets einen warmen Ton, so, wie man es sich von einem großen Bären wünscht.

Ich habe einige Male mit dem bedeutenden Mann geplaudert, nie sehr lange. Kollegial, weiter nichts. Und ich möchte mich jetzt backpfeifen dafür, Rowohlt nie gesagt zu haben, wieviel Spaß und Bewunderung mir seine Übertragungen der Robert-Crumb- und Gilbert-Shelton-Comics seit dreieinhalb Jahrzehnten bereiten, wie oft ich Wendungen daraus benutze, etwa diese: „Puha, der Kammerjäger muß auf die Pirsch!“ Versemmelt, Sokolowsky, setzen, sechs.

Eventuell kann ich die Unterlassung ein bißchen sühnen, wenn ich mich über die einvernehmliche Ignoranz, Rowohlts Comic-Verdeutschungen betreffend, aufrege, die in den Nekrologen der Bürgermedien herrscht. Einhellig wird da behauptet, Rowohlts erste gedruckte Übersetzung sei A. S. Neills phantastisches Buch The Last Man Alive/Die grüne Wolke gewesen. Daß sie‘s nicht besser wissen, liegt einerseits daran, daß Wikipedia, das Generalarchiv aller Qualitätsjournalisten, weder Shelton noch Crumb erwähnt und im Fall Rowohlt von zermalmender Inkompetenz ist.

Andererseits darf die Blindheit der Nachquaker nicht mit einem dunklen Fleck der Quelle, der einzigen, aus der sie schöpfen, rausgeredet werden. Sondern muß auch in dem Dünkel gesucht werden, das annähernd deutsch schreibende Feuilletonisten noch plagen und blödmachen dürfte, wenn Alan Moore den Literaturnobelpreis abholen wird –: Sequenzielle graphische Kunst ist für diese Schmöcke Schund, Bückware, Kinderkram. Sie bringen es daher nicht fertig, in ihren – durchaus freundlichen – Epitaphen den angeblichen Schöngeist („feinsinnig“ wird Rowohlt immer wieder genannt, obwohl er genau das nicht war, sondern etwas ungleich Wertvolleres: hellhörig, schlagfertig, unverblümt), diesen Freund der Kinder und der Künste in Zusammenhang zu setzen mit … schudder, schudder … COMICS, mit BILDCHENBÄNDCHEN …!

Du liebe Zeit, das geht nicht, de mortuis nil nisi bene, und darum darf Harry Rowohlt bloß Werbetexter sein, bevor er plötzlich 1971 Neills Meisterstück zu seinem eigenen macht. So verbreitet etwa von Spiegel online, wo der allgemein ahnungsarme Arno Frank mir blind einen Witz abguckt und sich nicht schämt, seinen Bildungsmüll auf den ernsthaft statt journalistisch gebildeten Rowohlt abzuladen:

Beherrschte er das Apollinische, so bewohnte er doch das Dionysische.

Mir fehlt es nicht an Phantasie, aber an Brechreizresistenz, um mir auszumalen, weshalb diese Eitelfeder unbedingt Harry Rowohlt mit Friedrich Nietzsche zusammenspannen will. Vielleicht hat Arno Frank mehr als drei Bücher gelesen. Und alle nicht kapiert?

Die FAZ, möglicherweise nach Intervention durch Andreas Platthaus, hat beiläufig, wie angeekelt, den Namen Crumb fallen lassen. – Arno Widmann beschäftigt sich in der Frankfurter Rundschau weitgehend tadellos mit Rowohlt. Dessen Mesalliance mit Crumb jedoch spielt Widmann, derart sein ganzes Stück verderbend, als Saufgeschichte herunter:

Sein Herz hing deutlich an einer anderen Art Literatur. An den Werken trinkfester Autoren, deren Bücher von trinkfesten und immer weniger trinkfest werdenden Helden handeln. Robert Crumb zum Beispiel.

Ein weniger geeignetes Beispiel für einen poetischen Säufer hätte Widmann nur mit bösem Willen finden können.

Lieber als an die guten Sprechblasen von Crumb-Rowohlt erinnert das Drecksgewerbe sich an seine Vernarrtheit in schlechte und füllt daher die Zeilen des Gedenkens damit, daß Rowohlt in der „Lindenstraße“ den Obdachlosen Harry spielte. Ich habe das Wort „Penner“ noch nie so oft in Nachrufen gelesen, nicht mal in denen auf Günter Grass, und da habe ich es echt vermißt. Leider beschreibt keiner der Rowohlt-Nachsabbler mit dem schlimmen Wort sich selbst.

Die nachgerade comicstriphafte Sprachferne und Regression der Meinungsverteiler gerann am ekligsten in der Bekanntmachungsvorlage der dpa für die angeschlossenen Premiumredaktionen. Unverdrossen brabbelte zum Beispiel NDR Info, wo offenbar keine Agenturmeldung geprüft übernommen wird, die Scheußlichkeit nach. In den Teaser-Meldungen der Hauptnachrichten durfte Rowohlt auftreten, bloß um diesen Tritt zu erhalten:

Er galt als Multitalent.

Und wo finde ich den dampfenden Haufen Wortscheiße wieder? Natürlich in der Taz und in der SZ. Wie unermeßlich schade, daß Harry Rowohlt keine verdiente Abschiedsrunde fliegen und nebenbei ein wirklich letztes Mal über „Pooh‘s Corner“ schweben und sich zu den Nachschwätzern äußern darf! Bei solch einer Abschiedsrunde könnte ich, seufz, das alte, große Versäumnis endlich tilgen – und ein anderes, auch nicht so kleines vielleicht obendrauf.

Denn ich habe Harry Rowohlt, den kundigen Countrymusic-Liebhaber, nie gefragt, ob er die größte Bluegrass-Band unserer Zeit, die Steep Canyon Rangers, kennt und, wenn ja, was er von ihr hält. Ich würde mich nicht wundern, wenn er jeden Song der Rangers mitsummen konnte. Und weil mir die Worte ausgehen wie immer, wenn der Tod mir naherückt, müssen nun die Förster aus der steilen Schlucht Rowohlt zu Ehren ihr fabelhaftes Instrumental „Knob Creek“ aufspielen. Man kann es als Hymne auf die freie amerikanische Natur (Gebirgsbach, Rast, Angeln, Lagerfeuer, Abendröte, Heimritt über den Paß) hören oder auf die gleichnamige Whisky-Marke, die nach ein paar Gläsern möglicherweise ebenso im Kopfe sprudelt, strudelt und trudelt, blinkt, zwinkert und flickert. Ich wünschte jedenfalls, ich könnte Harry Rowohlt ebenso bezaubernd und herzlich besingen wie Mike Gugginos Mandoline den Bach (die Buddel?)!


 

PS. Harry Rowohlt war ein Großmeister des komischen Zweizeilers. Es mutet mehr als vermessen an, es in dieser lyrischen Form mit ihm aufnehmen zu wollen, gleich gar in einem Gedenk-Blogpost. Aber ich will hier kein Erbe einsacken, sondern pflegen. (Und kann bloß hoffen, daß Rowohlt, obwohl unbestreitbar ein großer Tierfreund, Krähen nicht besonders mochte.)
Fare thee well, Big Bear!

Gott mustert die Schöpfung. Heute: Rabenkrähen
Vermerkt, nur eine Sache macht euch mich gewogen:
Ihr seid beim Leichenschmaus stets richtig angezogen.

Rowohlt_Trauerkraehen_02_(c)_Kay_Sokolowsky

2 Kommentare

  1. 1

    Leider zitiert Herr Arno Widmann in der Frankfurter Rundschau Harry Rowohlt am Ende doch falsch: Die letzte Zeile lautet:

    … Danke auch dafür. ‚Gar nich für‘, höre ich ihn sagen.

    Rowohlt hätte gesagt: Da nich für!
    Dir, Kay, sei aber gedankt für den wunderbaren Nachruf.

    Da nich für. KS

  2. 2

    Ich wünsche Ihnen, daß Sie sich nun besser fühlen, Herr Sokolowsky. Ihr Ritt durch die hiesige, wenig blühende Nachruf-Landschaft, so voller Wut, hat sicherlich seine Berechtigung, nur schade, daß Harry Rowohlt dabei zu kurz kommt. Erlauben Sie mir die Bemerkung: Neben dem Abwatschen hätte es auch gern mehr Klatschen sein dürfen. Nichtsdestotrotz, danke für diesen Text.

    Bittesehr. – Sie haben natürlich recht, wenn Sie anmerken, daß der freundliche Teil etwas kurz geraten ist. Aber mir war es erst mal wichtiger, Rowohlt gegen seine vermeintlichen Verehrer im Feuilleton zu verteidigen. KS

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