Ein Oster-Lied


Eigentlich müßte heute hier ein alberner Sketch mit zwei bemalten Hühnereiern erscheinen. Weil mir aber vor lauter Welt- und Wortverdruß kein Stück einfallen will, das es wert wäre, veröffentlicht zu werden, gönne ich meinen Osternasen ein Sabbatjahr und verweise die Freunde der „Happy Eggheads“ auf den insgesamt rundesten Auftritt des Duos.

Trotzdem soll der Ostersonntag 2022 nicht spurlos an bzw. in meinem Weblog vorübergehen. Vor genau zehn Jahren hatte ich für die „Wahrheit“-Seite der „Taz“ eine Parodie verfaßt und anschließend völlig vergessen, die ich jüngst beim Wiederlesen zu meiner eigenen Überraschung immer noch witzig und wohlgeraten fand. Vielleicht teilen Sie meine Einschätzung (zumal ich die Geschichte sanft aufpoliert habe).
K. S.

***

Sceedlebees Nacht
Scrabbleton war tot, damit wollen wir anfangen. Ein Zweifel darüber kann nicht statthaben, schließlich habe ich es geschrieben. Scrabbleton also war tot wie ein Gummifuß. Ich will nicht etwa sagen, daß ein Gummifuß etwas besonders Totes für mich hätte. Ich selbst möchte fast zu der Meinung geneigt sein, ein Weckglasring sei das toteste Stück Kautschukwerk auf der Welt. Aber die Weisheit unserer Ahnen liegt in dem Gleichnisse, und meine unheiligen Hände sollen sie dort nicht stören, sonst wäre es ums Vaterland geschehen.

Weazle Sceedlebee, Scrabbletons Kompagnon seit mehr Jahren, als beider Notarskanzlei Stempel und Siegel hatte, erfuhr vom Hinschied des Teilhabers am Abend vor Ostern. Er saß im Kontor, beim geizigen Schein einer teigigen Kerze, die freilich Gewitterwolken aus Ruß unter die Decke dampfte, als der Bürogehilfe, Sceedlebees Neffe Nicholas Nucklepie, hereinstürzte, vom Rennen rot erhitzt wie ein Scheit im Kamin, und die Botschaft vom letzten Atemzuge Scrabbletons atemlos überbrachte. Beim Aufschichten eines Osterfeuerhaufens unten an der Themse habe der Advokat sich etwas zu hoch hinaufgewagt, und dann sei er hinuntergeplumpst auf die Ufersteine wie ein reifer Apfel, der dann leider nur noch fürs Kompott taugt. Der Apfel, fügte der arme Junge hinzu, nicht Master Scrabbleton!

„Schon verstanden, Nucklepie, du Einfaltspinsel“, brummte Sceedlebee, ohne auch nur aufzublicken von einer Liste, die er studierte wie die Heilige Schrift. Es war aber bloß die Aufstellung aller Waisenkinder, die er der Obhut von Mistress Salome Stickquick überantwortet hatte, nicht ohne daran einen Batzen harter Schillinge zu verdienen. Denn die Jungfer verdingte die kläglichen Waisen, im Schlachthof die Kloaken mit ihren kleinen Zungen zu reinigen, was – die Welt ist ein Hort solcher Paradoxa – ein ebenso schmutziges wie glänzendes Geschäft abgab.

„Na, was flennst du denn, Nucklepie!“ fuhr Sceedlebee den Neffen an. „Der eine lebt, der andere stirbt, was gilt’s?“ Und mit einem Blick, so finster wie der Grund seines Tintenfäßchens, verjagte er den tränennassen Jüngling aus dem Kontor. Das Herz des Alten zu rühren, gelang nämlich einzig dem falschen Sonnenglanz eines Sovereigns. Für gewöhnlich, und so auch jetzt, pochte es wie ein Holzwurm unter den rohen Balken seines Brustkorbs. „Was hatte Scrabbleton, der Narr, auch bei dieser Belustigung verloren!“ schimpfte Sceedlebee. „Nutzloser Feiertag! Eines Narren zu gedenken, der von den Toten auferstand, bloß um gleich dennoch gen Himmel zu fahren!“ Und weil ihm vor Wut der Bauch schmerzte – bei vielen Knickern die Heimstatt von Gemüt und Moral – beschloß er, ins Bett zu gehen.

Tief in der Nacht war’s, da fuhr Weazle Sceedlebee aus dumpfem Schlummer auf. Ein starker Windstoß hatte mit Scheppern das Fenster aufgestoßen. „Zum Henker!“ rief der Notar halb erschrocken, halb erzürnt. Mondlicht fiel bleich wie Knochen in die Kammer. Sceedlebee wollte sich gerade aus den Kissen stemmen, um die Luke zu verriegeln, als ein Schatten auf ihn fiel. Ein riesiger Schatten war das, und nicht der eines Menschen. Ohren, geformt wie Suppenkellen, stachen vom Kopf ab, und was den Armen der Gestalt an Länge mangelte, hatten die kräftigen Beine zuviel. „Wer da?“ wollte Sceedlebee schreien, konnte jedoch kaum krächzen. War dies eine Nachtchimäre, geboren aus der Unbill seiner Verdauung?

„Ich bin der Geist des Osterfestes“, versetzte die Gestalt mit eigentümlich heller Stimme und trat   ins silberne Licht jener großen Lampe, mit welcher der Schöpfer am vierten Tage zu unser aller Nutzen und Freude den nächtlichen Himmel möbliert hat. Ein Hase stand da, größer als ein Gardist des Königs, und er schleppte auf dem braunpelzigen Rücken eine faßgroße Kiepe, die – seltsam, Leser, doch wahrhaftig – bis über den Rand mit bunten Eiern gefüllt war.

„Heb dich fort, scheußlicher Alb!“ quiekte Sceedlebee, doch der titanenhafte Nager tat ihm den Gefallen nicht. Sondern sprach: „Wisse, Weazle, ich bin hier, um dich zu warnen, bevor dein kaltes Herz das letzte Mal schlägt. So du nicht abläßt von deiner Selbstsucht und Habgier, sollst du auf dieser Erde keinen Penny mehr raffen, ohne alle um dich herum daran zu mahnen, daß jener römische Tyrannencäsar doch im Irrtum war, der verkündete, Geld stinke nicht. Die Weiber werden dich meiden, die Männer verachten, die Kinder verhöhnen – und du selbst wirst dir ein Greuel sein.“

„Feine Drohung …“ flüsterte Sceedlebee, dem schon gar nicht mehr so bange war. Er hatte nämlich die eigentümlich helle Stimme des Hasen erkannt, und jetzt, schneller, als man diesem greisen Manne zugetraut hätte, sprang er auf, riß an den Ohren seines späten Gastes, und, siehe!, der Hasenkopf riß ab, und darunter kam das gute Gesicht seines Neffen zum Vorschein. „Nucklepie, du verflixter Lümmel“, brüllte Sceedlebee, „ich werd’ dich lehren, mich heimzusuchen!“ Aber der Junge stolperte vor Entsetzen vornüber und übergoß seinen Onkel aus der Kiepe mit ungezählten Eiern, die wohl schon zu Ostern des verflossenen Jahres ihren fleißigen gefiederten Müttern entrissen worden waren. Ein pestilenzhafter Odem stieg in der Schlafkammer auf und drang dem Notar bis ins Mark, und für die folgenden Wochen immerhin ging die Prophezeiung in Erfüllung. So schließen wir mit den Worten einer interessanten Figur, die in dieser Geschichte sonst keine Rolle spielt: „Zu jedem falschen Hasen gehört ein echtes Ei!“


Photo: „Making Easter Eggs“,
by couleewinds [CC BY-SA 2.0],
via Wikimedia Commons


Sonntag, 17. April 2022 0:06
Abteilung: Director's Cut, Erzählungen

Ein Kommentar

  1. 1

    Mir gefällts:…der falsche Sonnenglanz eines Sovereigns…
    Da schimmert doch noch ein anderes Carol. weihnachtlich gestimmt, in dieses Hasenlied hinein !

    Lieber Herr Mattes, danke fürs Lob und Gratulation zur erfolgreichen Hasenfährtensuche! KS

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