Elbvieh

Ohne hier von „Lügenpresse“, „Mainstream-“ oder gar „Systemmedien“ dünnpfeifen zu wollen – aber es kann einen schon das kalte Kotzen ankommen, wenn der größte Skandal in der sowieso eklatanten Geschichte steuerfinanzierten Hamburger Protzbautentums titel- und bundesländerübergreifend so vehement ignoriert wird:

Screenshot „Google News“ 12.1.2017

Was Event-Skribenten und -Politiker am besten können, nämlich vergessen, ist den Redakteuren von KONKRET zum Glück nicht gegeben. Also haben sie ins Archiv gegriffen und eine Kolumne von mir aus Heft 8/2013 auf die KONKI-Website gehievt. Meine Bemerkungen zum „Public Private Partnershit“ ordnen die, du liebes bißchen, „Elphi“ dort ein, wo sie hingehört, und es fehlen dem Text allein die ewigschönen und zu Recht sprichwörtlichen Verse Lord Byrons Percy Bysshe Shelleys

My name is Ozymandias, King of Kings:
Look on my works, ye mighty, and despair!

Meine Prognose, der reklametafelartig illuminierte Effekthaufen werde ca. zehn Jahre nach Eröffnung zerbröseln, halte ich übrigens ebenso aufrecht wie den ästhetischen Verriß. Die Vorhersage war schon 2013 – wie nennt man das heutzutage? ach ja: – konservativ; und nun das Stück fertig ist, sieht es noch billiger aus, als ich es mir vor vier Jahren, bei Inspektion der Baustelle, ausmalte.


Donnerstag, 12. Januar 2017 22:32
Abteilung: Kaputtalismus, Qualitätsjournalismus, Sokolowsky anderswo

9 Kommentare

  1. 1

    Moin. Hier ein paar Gedanken zum neuen Wahrzeichen Hamburgs.

    Erstaunlicherweise gibt es neben den ganzen Lobhudeleien auch einen Verriß bei der Welt online.
    Dem Autor dort kann ich nur entgegnen: Heul doch, du hattest eben einen von den billigen Plätzen. Das kann man sich auch vorher denken, daß eine Trompete von hinten oder von der Seite undeutlicher klingt, als wenn sie einem frontal ins Gesicht bläst, da kann auch der beste Akustiker nix machen. Und wenn er sich über die Wahrnehmung unpräziser Einsätze der Musiker beschwert – eine feine Sache, wenn man es endlich mal hören kann -, liegt die Ursache dafür nicht an der zu deutlichen Akustik des Gebäudes, sondern vielmehr an dem wirren Rumgefuchtel des unpräzisen Scharlatans Thomas Hengelbrock. (Ich mußte das leider hier mal loswerden, ich wollte mich nicht zum Kommentieren bei Welt online anmelden, da hätte ich mich schmutzig gefühlt.)

    Ich war zur Generalprobe in der Elbphilharmonie und kann berichten, daß ich noch niemals in meinem Leben solch einen durch und durch durchsichtigen Klang erlebt habe. Ich saß hinter dem Orchester, etwa fünf Meter hinter der Großen Trommel und den Röhrenglocken. Endlich konnte ich mal im Körper spüren, wie die Große Trommel „Bumm“ macht und die Röhrenglocken, die normalerweise im Orchesterklang nur von weitem wahrzunehmen sind, ein wunderschönes „Klong“ von sich geben. Gleichzeitig hatte ich das stereophonste Erlebnis meines Lebens. Ich war begeistert und staune heute noch. Wenn durchsichtiger Sound stattfindet, dann dort. Ich wage zu behaupten, daß bisher nicht viele Menschen eine Erfahrung des präzisen Klangs gemacht haben und kann jedem nur empfehlen, egal wie teuer dieses zu teure Gebäude nun war, sich das mal anzuhören und dadurch seinen Ohren etwas beizubringen. Hören und staunen. Staunen ist wertvoll.

    Interessant: die Tontechniker haben, um den Ton der Perkussionisten besser aufzunehmen zu können, von den hinteren fünf senkrecht von der hohen, hohen Decke herabhängenden Luxusmikrophonen zwei Stück mit banalem Plastiktüdelband einfach am Geländer festgebunden, damit sie besser auf die Musiker ausgerichtet sind. Ich hätte den ganzen Abend lang heimlich darauf rumklopfen können, um die Aufnahme zu versauen. Hätte ich machen können. Hätte! Hab ich aber nicht. Meine Meinung: Weltniveau geht anders! Ich hätte es so gemacht, daß das alles automatisch geht. Mit Elektromotoren ausrichtbare Mikrofone, dann wäre das alles auch noch schön viel teurer geworden.

    Ich muß an dieser Stelle leider dem „Abfall“-Admin widersprechen: Ich glaube, daß die Elbphilharmonie länger als 10 Jahre halten wird, die Unterhaltskosten aber die Einnahmen auf interessante Art und Weise übertreffen werden. Wenn ich da bspw. nur an die abertausenden Ausfräsungen der sogenannten „weißen Haut“ des Konzertsaals denke und den Staub, der sich dort allmählich fangen wird, und die teure Spezialfirma, die den staubigen Staub dann in 30 Meter Höhe vom Reflektor regelmäßig wegwischen soll, wird mir als Hamburger Steuerzahler schon jetzt ganz schwindelig. Außerdem vermisse ich neben einem „Hannelore und Helmut Greve Foyer“ (gibt’s dort wirklich) auch ein „Hamburger Steuerzahler Foyer“. Mit Angestellten hinter der Bar, die auf mich den Eindruck erwecken, für mehr als nur den Mindestlohn zu arbeiten. Und einen Lotto- und Toto-Laden auf der Plaza hätte ich mir auch gewünscht. Es gab außerdem weit und breit keine Mülleimer. Ich hatte mir eine Brezel gekauft und wußte nicht, wohin mit der Papierserviette, die drumrum war. Weltniveau geht anders!

    Gut hingegen: Die Elbphilharmonie ist für mich ein weiterer Beweis dafür, daß wenn mir irgendeiner erzählen will, es gäbe nicht genug Geld für diese ganzen Hartz-IV-Betrüger oder sonstige soziale Zecken, ich gerade angelogen werde.

    Noch ein kleines Detail: Sollte jemand mit dem Gedanken eines Suizids schwanger gehen, kann ich nur wärmstens empfehlen, sich alsbaldigst von der Elbphilharmonie zu stürzen. Das Geländer ist sehr niedrig und man kann es bequem überwinden, um 37 Meter in die Tiefe zu springen. Das ist hoch genug, das reicht. Man wäre der Erste und käme auf ewig ins Guinness-Buch der Rekorde, als allererster Elbphilharmonieselbstmörder! Das ist doch auch was.

    Mit freundlichem Gruß, Daniel Lüdke

    PS. Trotz aller Animositäten muß ich es Hengelbrock hoch anrechnen, dass er Bernd Alois Zimmermann gespielt hat. Ich entwickle zur Zeit immer mehr Freude daran, auf Bernd Alois Zimmermanns Spuren zu wandeln: Hier zum Beispiel berichtet ein Meister (Michael Gielen) über den anderen Meister (B. A. Zimmermann): Ein sehr erhellendes Interview über das Musikbusineß.

    Und nächstes Mal, lieber Daniel, erklärst Du bitte, warum um den großartigen Akustikraum für soviel Geld ein solcher Architekturmüll (zehn Jahre Halbwertzeit, Maximum!) gehäuft werden mußte. KS

  2. 2

    Jedes System kriegt die Symbole, die es verdient. Der parasitäre und verfaulende Kapitalismus hat grad eins gekriegt, das ohne Festbeleuchtung aussieht wie ein gigantischer halbverfaulter Zahnstumpf. Nicht weiter überraschend, daß es den Fäulnisbakterien resp. Parasiten so gut gefällt.
    Ganz im Ernst: Während sie diese monströse Spottgeburt aus Beton und Größenwahn feiern, die nahezu eine Milliarde gekostet hat, verrecken drumherum Abertausende ohne Obdach, an Krieg, Hunger und Kälte. Bzw. an derselben Verwertungslogik, die dieses Unding zur Welt gebracht hat.
    Um sicher zu wissen, daß ein System, das all das hervorbringt, zum Untergang verurteilt ist, muß man nicht unbedingt Lenin gelesen haben. Ganz wie beim hiesigen Stadtschloß freu ich mich jedenfalls schon sehr auf den feierlichen Abriß. Falls das Zerbröseln doch länger dauern sollte als von dir vermutet.

    Freu Dich nicht zu früh! Wenn ich bedenke, wie locker das Geld für solche Schwindelprojekte sitzt, halte ich es für recht wahrscheinlich, daß die Abrisse mehr kosten werden als das Aufbauen. Bei AKW klappt das ja schon mal ganz ausgezeichnet. KS

  3. 3

    Was für ein saugeiler Text aus dem KONKRET-Archiv!
    Warum aber der Blogeintrag mit der Entschuldigung „Ohne hier von ‚Lügenpresse‘, ‚Mainstream-‚ oder gar ‚Systemmedien‘ dünnpfeifen zu wollen“ beginnt, das erschließt sich mir nicht.
    Spätestens dann, wenn man das erste Mal von der „Elphi“ liest, kann man doch gar nicht mehr anders als kalt zu kotzen.
    Die Hafencity als „Architektenabspritzwettbewerb“ zu bezeichnen fiel mir bei meiner ersten jobbedingten Rundfahrt dort hindurch schnell ein. Den größten Wichsfleck von allen so hintergündig beschrieben zu bekommen, wie in Deinem KONKRET-Text freut mich sehr. Und ich hoffe, daß ich mir nicht allzuviel über den „unbeschreiblich tollen Sound“ aus dem Mund befreundeter Musiker werde anhören müssen.

    Ich hab so eine Ahnung, wen Du meinst. – Danke für das mächtige Lob; das tut dem Autor sehr gut! – Die Einleitung des Blogposts sollte keine Entschuldigung, sondern ein Hinweis darauf sein, daß ich weiterhin nicht an eine Gleichschaltung bzw. an eine finsteren Propagandazwecken unterworfene Presse glaube. Kriegt der Presseverächter ja gern an den Latz geknallt, mit Hinweis auf Pegida, und das kostet den Verächter sowohl Nerven als auch Lebensfreude. KS

  4. 4

    Wo genau sollen eigentlich die ganzen Klassik-Hörer für dieses architektonische Meisterwerk herkommen? Die Zeiten, in denen ein paar Klassikschallplatten zum Grundbestand eines bürgerlichen Haushalts gehörten, sind ja schon etwas länger vorbei. Heutzutage haben die meisten Leute nicht mal mehr Lust, CDs der Marke „Ich mag keine Klassik, aber das gefällt mir“ zu hören.
    Wahrscheinlich wird die Elbphilharmonie der größte Selfie-Bunker in der Geschichte der Menschheit. Reingehen, Selfies machen, die wunderbare Akustik preisen, den ganzen Rotz auf Facebook posten und wieder nach Hause fahren.

    Aber das ist doch der tiefe Sinn aller Kulturpolitik seit Anbruch der neoliberalen Ära! KS

  5. 5

    Es werden in Zukunft wohl mehr Musiker sein, als Du ahnst, und ich meinte auch mehr.
    Mir fiel gerade der Begriff des „Referenzrahmens“ ein, den ich mal in einem Text über die Überfischung der Meere las. Jeder Fischer erinnert sich danach an die Fischbestände seiner Kindheit und sagt, daß es, nun ja, vielleicht wirklich etwas weniger geworden ist mit den Fischen, aber nicht alarmierend weniger. Er erinnert sich nämlich nicht an die Mengen, an die sich sein Vater und (besonders) sein Großvater erinnern können.
    Das ist so ähnlich wie mit Albanern. In den Achtzigern waren die in der Mopo noch Hütchenspieler in der Neuen Großen Bergstraße. In den Neunzigern wurden sie dann von den Serben verfolgte ethnische Minderheit in Jugoslawien. Später mutierten sie zu Terroristen, wobei sich an die „Hütchenspieler“ kaum einer unter den Morgenpost-Lesern erinnerte.
    Ich lese solche Wahrnehmnungsverschiebungen an einem Kollegen ab, der wirklich jeden Tag die Mopo dabei hat. Als die am Anfang noch „kritisch“ über die Elbphilharmonie geschrieben hat, da hat der Kollege auch geschimpft. Inzwischen feiert die Mopo die „Elphi“ und der Kollege freut sich, daß er Freikarten für die Einstürzenden Neubauten bekommen hat.
    Und so werden wohl auch viele Musiker von dem einzigartigen Sound hypnotisiert sein – besonders dann, wenn sich der gemeine Hamburger seine Stadt ohne „Elphi“ so wenig wird vorstellen können wie ohne Alster oder Elbe.

    Die Einstürzenden Neubauten treten in der E.-Phi. auf? Echt?! Um diesen Witz beneide ich die Realität. KS

  6. 6

    „Staunen ist wertvoll“, schreibt Daniel Lüdke. Da hat er natürlich recht. Ein schöner Text ist das sowieso. Aber wie wertvoll heißt eigentlich „wertvoll“? Ich weiß, daß man Staunen auch für preiswerter haben kann und zwar in gleicher „Menge“.
    Sind 800 Mio. noch angemessen?
    Wie wäre es bei 2 Mrd.?
    Oder 30 Fantastilliarden?
    Aus der Empfehlung, jeder solle sich das mal anhören, würde das ZDF einen Wunsch machen, der in einem Fernsehfilm zur Weihnachtszeit erfüllt würde, wenn Heinz Rühmann (so er denn noch lebte) als obdachloser Violinist von einem Musikprofessor zu einem Konzert in die „Elphi“ eingeladen würde. Und vergessen wären die 800 Millionen. Eine Zahl, die sich ja sowieso kaum jemand wirklich vor Augen führt. Wer staunen möchte: Einfach mal im Sekundenrhythmus durchzählen. Wir sehen uns dann in ca. zweieinhalb Jahren …

    Es sind sogar 866 Mio. Euro – also noch ein Vierteljahr obendruff. – Ich hab neulich offnen Mauls gestaunt, als ich den Vollmond über den Baumwipfeln sah, wo er hing wie die größte Silbermünze des Universums. Kostenpunkt: null bzw. unbezahlbar. KS

  7. 7

    Und der Mond hat wahrscheinlich noch nicht einmal „Bumm“ oder „Klong“ gemacht.

    Er hat nur ein bißchen geschnarcht; aber vielleicht bilde ich mir das auch ein. KS

  8. 8

    Manchmal wird einem ja erst später klar, was man gelesen hat, so wie mir eben, als ich den bei Daniel Lüdke verlinkten Artikel in der Welt las und dabei im Kopf hatte, was D. L. in seinem Kommentar zum Welt-Autor schrieb: „Heul doch, du hattest eben einen von den billigen Plätzen.“
    Im Ernst? Das pyramidonalste Konzerthaus der Weltgeschichte mit der elephantösesten Akustik ever nimmt es hin, dass es BILLIGE Plätze gibt?
    Da stellt sich mir die Frage, wie viele Plätze denn den „echten“ Genuß gestatten und wie viele nur „billig“ sind, damit, indem sie zwar „dabei“ waren, den Supersound aber gar nicht genießen konnten, die Gäste auf den billigen Plätzen den Supersound mitfinanzieren.
    Das ist also so, wie überall, z. B. da, wo die Konsumenten von billiger Wurst den Genuß von teurem Steak mitfinanzieren.

    Da hast Du einen allerdings wunden Punkt in Daniel Lüdkes Argumentation erwischt. Vielleicht mag er sich ja dazu äußern, ich bin dafür nicht gebildet genug. KS

  9. 9

    Es ist nicht schön, klugzuscheißen; es ist absolut häßlich, es mit einem halben Jahr Verspätung zu tun. Trotzdem ist „Ozymandias“ nicht von Lord Byron, sondern von Shelley, und ich muss das loswerden, weil Shelley von all meinen Dichterhelden der größte ist. (Kann ja unter uns bleiben …)

    Von wegen – solche Mordsfehler gehören veröffentlicht und der Fehlerverursacher soll sich was schämen. Danke für die Korrektur! (Die ich soeben ausgeführt habe.) KS

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