Neues vom Elbvieh


Also sprach die Kanzlerin vor drei Monaten:

Eines Tages werden wir alle sehr stolz sein, daß auch zu unseren Zeiten mal etwas gebaut wurde, wo Menschen vielleicht in 50 und 100 Jahren noch sagen: Guck mal, das war damals im Jahr 2017 am 11. Januar.

Und Olaf Scholz, Hamburgs Erster Bürgermeister, flunkerte zur Eröffnung der Elbphilharmonie:

Die Welt wird hierher sehen und immer wieder hören, was heute diesen Saal erfüllt: Freude!

Manchmal aber hört die Welt was anderes, zum Beispiel Schmerzensschreie. Auf der Website des NDR ist heute zu lesen:

[In] den ersten drei Monaten hat es im Saal und in den Foyers des neuen Konzerthauses auch immer wieder schwere Unfälle gegeben, räumt der kaufmännische Direktor Jack Kurfess im Gespräch mit NDR 90,3 ein.

Schwere Unfälle? Echt? Bitte Details, Herr Kurfess:

Die Menschen haben sich richtig verletzt. Betroffen sind da vor allem ältere Menschen, die etwas unsicher auf den Beinen sind. Die haben in der Elbphilharmonie noch Schwierigkeiten, weil sie die Wege nicht gewohnt sind. […] Der schwerste Vorfall war, als eine ältere Dame gestürzt ist und sich wohl den Halswirbel angebrochen hat.

Und was macht die Wege so ungewohnt in der Elbphilharmonie? Kurfess erklärt:

Die Unfallschwerpunkte ergeben sich aus der besonderen Geometrie dieses Saales. Die Treppen sind schräg und haben spitze Winkel.

Ja, prima – aber hat denn niemand dran gedacht, die Schrägen und Winkel etwas sicherer zu machen? – Ah, geh:

[Möglicherweise] haben die Architekten damals an Geländern gespart, weil sie den Saal natürlich sehr pur und offen haben wollten. Er ist ja auch wunderbar und ein Erlebnis.

Ein gebrochener Halswirbel ist natürlich ein wunderbares Erlebnis, und es ist beruhigend zu wissen, daß bei dem unfaßbar teuren Klotz da und dort gespart wurde, obschon‘s am falschen Ende war. Der sehr pure Dilettantismus sowohl der ausführenden Kräfte wie der genehmigenden Behörde verdient genau die Worte, die der Scholzomat bei der Einweihung des größten Parfumflakons der Erde runterleierte:

Der Bau der Elbphilharmonie ist deshalb auch eine Einladung an die Welt, nach Hamburg zu kommen, dieses außergewöhnliche Haus zu besuchen und die Kraft der Musik zu erleben.

Oder wenigstens die Kraft der Schwere.

Derweil kümmert sich Herr Kurfess um die Dinge, die eins schon mal vergessen kann, wenn es die Welt im kaufmännischen Kopf hat:

Auf der großen Treppe, die von der Plaza zum Foyer führt, ist jede Stufe mit einer schwarzen Linie markiert. Das werden wir überall in den Foyers anbringen.

Aber in einem Wunderwerk wie der Elbphilharmonie geht das nicht von heut auf morgen:

Jetzt diskutieren wir gerade noch, ob die Strich-Stärke von einem halben Zentimeter ausreicht, oder ob es ein ganzer Zentimeter sein soll.

Ich habe die mängelbedingte Schließung der architektonischen Groteske „Elphi“ fürs Jahr 2027 prophezeit. Die Verdoppelung der „Strich-Stärke“ dürfte ca. 2028 erfolgen.

Und darauf, ganz besonders darauf werden wir sehr stolz sein. In 50 und 100 Jahren. Freude!

Photo: „Ruine Rotenhan“, by Ermell (own work) [CC BY-SA 3.0],
via Wikimedia Commons


Freitag, 7. April 2017 23:38
Abteilung: Kaputtalismus, Stadtstreicherei

2 Kommentare

  1. 1

    Ich stifte hiermit, auf alle Rechte des Urhebers verzichtend, den Namen „Albphilharmonie“.
    Da nich für.

    Und ich plädiere für sämtliche denkbaren Steuererleichterungen zugunsten des uneigennützigen Stifters. – Danke für den makellosen Kalauer! KS

  2. 2

    Ich glaube, mir ist gerade ein wichtiger Unterschied zwischen Royal Albert Hall und Elbphilharmonie aufgefallen:
    https://www.youtube.com/watch?v=Be5hkPwwjeM

    Ja, das IST der Unterschied – danke, danke, danke für dieses phantastische Stück! Wow! KS

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