Totale: Krieg (1)


Nun hat der schreckliche Iwan
leider doch die Ukraine überfallen, obwohl ich ihm solche Niedertracht nicht zutraute, nicht zutrauen mochte. Meine Fassungslosigkeit über Putins strategische Idiotie, meine übel betrogene Hoffnung auf eine gewisse Ratio wenigstens im Kreml ist ein Krümel, verglichen mit dem Abscheu, den ich vor dem Verbrechen, das sich seit vier Tagen ereignet, empfinde. Denn ein Verbrechen ist jeder Angriffskrieg, egal wer ihn führt, und blanker Mord geschieht überall, wo die Granaten, Bomben, Raketen und Kugeln der Invasoren Opfer finden, seien es Zivilisten oder Soldaten.

Weshalb der bis neulich so gewiefte Hasardeur und Bluffer Putin diesen massenmörderischen Irrsinn entfesselte, welche Rolle die unablässigen Provokationen der Nato bei seiner fatalen Entscheidung spielten –: ist ganz und gar gleichgültig; und ich habe kein Jota Lust, über den Anlaß zu spekulieren. Die Russische Föderation, das steht jedenfalls fest, handelt verbrecherisch. So lange atmende, fühlende Menschen im Zuge dieses Verbrechens zu Kadavern verarbeitet werden, interessieren mich die Motive des Verbrechers den Dreck, der sie sind angesichts der entsetzlichen Folgen seines Verbrechens.

Eine dieser Folgen ist die kommende Militarisierung Deutschlands, eine weitere die garantiert gefährlich werdende Militanz seiner Außenpolitik. O. Schlz bellte am Sonntag im Reichstag mit einem starren Fanatismus, der dem des Scheusals Willemzwo in nichts nachsteht, eine Kriegswollust dieser verfluchten Nation herbei, daß jedem, der die deutsche Geschichte kennt, außer Lasciat’ogni speranza nichts mehr einfällt.

Eine andere Folge ist die Kriegspropaganda, welche zumal der Staatsfunk, ob gebühren- oder werbefinanziert, betreibt. Die Verweigerung der Distanz zu den regierenden Mobilmachern, der Unwille zur Kritik an allen Akteuren des scheußlichen Schauspiels ist allerdings keine Premiere, sondern hatte eine Generalprobe. Und zwar 1999, als die Nato – mit denselben miesen, fadenscheinigen Ausreden wie heute die Russische Föderation – einen souveränen Staat überfiel, nämlich Jugoslawien. Die „Zeitenwende“, die unser blecherner Kanzler in seiner brechreizenden Sonntagsrede mehrmals beschwor, fand keineswegs Ende Februar 2022 statt, sondern schon 23 Jahre zuvor; und wenn der Qual.journalismus es nicht mehr wissen noch wahrhaben will, möchte wenigstens ich daran erinnern. Erinnern möchte ich besonders an den Exzeß medialer Blutrünstigkeit und lakaienhafter Regimetreue, der seinerzeit zu besichtigen war, der sich heute noch blutgieriger, noch sklavenseliger wiederholt. Über diesen triumphalen Bankrott der Massenmedien verfaßte ich 1999 einen Essay, der bestimmt nicht zum Dümmsten zählt, was ich je publizierte.

Der 58jährige Autor ist nicht mit allem einverstanden, was seine 36 Jahre alte Ausgabe schrieb. Es juckt mich an mehreren Stellen, stilistisch und formal einzugreifen, an mehreren anderen, ersatzlos zu streichen. Doch dieses antike Stück ist, glaube ich, eine meiner gelungensten Auslassungen über die audiovisuellen Massenmedien in Zeiten des Krieges. Die vielen Parallelen der damaligen Großen Zeit zu der, in welcher wir akut leben resp. ums Leben an sich fürchten, gebieten es, das alte Werk als Dokument zu behandeln, das heißt, im Originalzustand zu belassen. Weil der Aufsatz recht lang ist, verteile ich ihn auf drei Blogposts; Teil zwei und drei werde ich in den kommenden Tagen veröffentlichen.

***

Totale: Krieg
Das Fernsehen und sein Bomben-Bankrott

Die vollständige Verdeckung des Krieges durch Information, Propaganda, Kommentar,
die Filmoperateure in den ersten Tanks und der Heldentod von Kriegsberichterstattern,
die Maische aus manipuliert-aufgeklärter öffentlicher Meinung und bewußtlosem Handeln,
all das ist ein anderer Ausdruck für die verdorrte Erfahrung, das Vakuum
zwischen den Menschen und ihrem Verhängnis, in dem das Verhängnis recht eigentlich besteht.
Theodor W. Adorno: Minima Moralia

Jugoslawiens Zertrümmerung, die Brandschatzung seiner Brücken, Marktplätze und Zigarettenfabriken, E-Werke, Krankenhäuser und Studentenwohnheime, der Krieg der Nato gegen die Alte Weltordnung für eine Neue, in der Hauen und Stechen das diplomatische Protokoll, Militarismus und Demagogie die Politik ersetzen, diese brachiale Vorschau auf die Verhältnisse, die das nächste Jahrhundert prägen werden – mit einem Neo-Imperialismus, der sich nicht etwa zu „des weißen Mannes Bürde” verklärt, sondern seinen moralischen Primat als gleichsam genetische Tatsache voraussetzt (und wer’s bezweifelt, dem gnadet allenfalls ein orthodoxer Gott), mit fürchterlichen Völkerwanderungen, die nicht an Gebirgen, sondern am Euro zum Stehen kommen, und mit Machthabern, deren Dummheit, Unbildung, Charakterlosigkeit sie eben nicht als Wiedergänger, sondern als Spottbilder ihrer Altvorderen Disraeli, Bismarck, Clemenceau ausweisen –, der „humanitäre Einsatz” der „internationalen Staatengemeinschaft”, dessen letztes Ende auch dann nicht abzusehen sein wird, wenn schon lange keine Laserbomben und „intelligenten” Schrapnelle mehr auf Linienbusse fallen, hat ganz nebenbei auch einer populären Dummheit, einer postmodernen Lieblingsbanalität für immer den Garaus bereitet: Die elektronischen Massenmedien würden keine Grenzen kennen.

Daß im „globalen Dorf” McLuhans vor allem Trottel wohnen, daß Fernsehen mitnichten ein Institut ist, welches per Pluralismus und „Vernetzung”, via Popularität und Omnipräsenz den kosmopolitischen Bürger schaffe, hätte man schon vorher wissen können: Fünfzig Jahre TV haben weder Rassismus noch Chauvinismus aus der Welt geschafft; kein Vorurteil, keine Diskriminierung, kein einziges Feindbild ist durch das Fernsehen beseitigt worden. Die Lektion, die der Kosovokrieg der kurrenten, pflaumenweichen Medienkritik erteilt, geht jedoch über das Altbekannte (das die meisten Vertreter jener Kritik mit immensem Wortschwall immer wieder bestritten haben) weit hinaus. Wer künftig behaupten sollte, Fernsehen sei das beste Instrument gegen Propagandisten, Demagogen und Lügner und die schiere Masse von Informationen, die erdrückende Macht der Video-Bilder verhindere, daß irgendein politisches Verbrechen vertuscht werden könnte, der darf getrost nicht mehr bloß als Idiot, sondern gleich selber als Propagandist bezeichnet werden.

Die Zurichtung der Szenen, die Auswahl der Meldungen, der gängige Stil der Berichte und Kommentare wurde keinem Sender in den Nato-Staaten offiziell vorgeschrieben. Dennoch war vom ersten Kriegstag an eine Uniformität und Servilität der Nachrichtensendungen zu besichtigen wie, hierzulande, seit dem Deutschen Herbst nicht mehr. Als habe es eine geheime Order gegeben, nur ja nicht den Regierungen in den Rücken zu fallen, die ohne Not, ja sogar ohne Kriegserklärung Belgrad mit Tod und Feuer überzogen, versuchten die Infotainer gar nicht erst zu überprüfen, was denn dran war an den Vorwänden der Allied forces, unterließen sie jede Bemühung, die Lage im Kosovo vor Ort zu überprüfen, saßen sie brav wie die Chorknaben Wesley Clark und Javier Solana zu Füßen und interessierten sich weit mehr für die Lenksysteme der Präzisionsluftminen als für die Kinder, die mit diesen Minen zu Frikadellen gebacken wurden. Aber eine geheime Order gab es nicht, der Schulterschluß der TV-Zombies mit den Staatsterroristen geschah ganz selbstverständlich.

Gegen „Serbien” – wie die Bundesrepublik Jugoslawien fälschlich und gewiß nicht aus Dummheit fortwährend genannt worden ist – hatten die westlichen Sender seit Beginn der Sezessionskriege auf dem Balkan eine ausgeprägte Feindschaft bewiesen. Gestalten wie Friedhelm Brebeck – ein Hetzer und Brandredner der abscheulichsten Art, ein Brandleger gar, wenn man der jugoslawischen Polizei glauben darf –, priesen jahrelang so laut und von ihren Kameraden an der Heimatfront so emsig angefeuert die segensreiche Wirkung des Serbenmordes, daß den Nachrichtenmoderatoren aller Kanäle die Erleichterung und Befriedigung über die endlich beginnende Offensive überdeutlich anzumerken war. (Derselbe Brebeck blieb während der gesamten Kampagne seltsam stumm, war in keinem Feature zu besichtigen; und man kann nur raten, weshalb. Dies hätten seine größten Tage werden können, ja müssen, doch seine heisere OKW-Stimme, die dem deutschen Publikum während des Bosnien-Gemetzels nachgerad ins Trommelfell gebrannt ward, krächzte, wenigstens während der ersten fünfzig Tage des Bombardements, nicht mal im ARD-„Frühstücksfernsehen”. Mag sein, daß die Intendanten ahnten, der triumphierende Ton, in dem Brebeck vormals über die Abschlachtung „serbischer” Polizisten durch UCK-Banditen berichtet hatte, hätte dem gediegenen Humanitäts- und Beschwichtigungsgefasel, mit dem die Warlords in Brüssel die Planierung von Wohnvierteln in Belgrad kommentierten, querkommen können und diesen Krieg als eben die „ethnische Säuberung” gegen die Serben offenbart, die er u. a. von der ersten Stunde an war. Es mag jedoch ebenso gut sein, daß Brebeck vor Freude über die Bombardierungen der Schlag getroffen hat. Man müßte das nicht bedauern.)

Vom dümmsten und flachsten aller Medien durfte man natürlich nicht erwarten, aus dem öffentlichen Konsens auszubrechen. Die Bruderschaft der Kriegstreiber, Scheinheiligen und Militaristen in praktisch allen Meinungsanstalten der „internationalen Staatengemeinde” wurde vom Fernsehen weder begründet noch angeführt: Es machte, wie immer, einfach mit, als die Meute losstürmte. Doch gleichwie die Nato wußte, daß ihr zu Beginn der „Kampagne” auf keinen Fall Bilder in die Parade fahren durften, die zeigten, was eine Kassettenbombe mit menschlichen Körpern anstellt, hätte dem Sensationsbedürfnis und der Blutgier des Mediums nichts interessanter sein müssen als eben solche Bilder. Aber, wie bereits im Golfkrieg geübt, begnügten die Nachrichtensendungen sich mit dem sortierten und bearbeiteten Material, das die Militärzensur ihnen zukommen ließ, und ihre Moderatoren schienen wenig betrübt, als sie verkündeten, daß die jugoslawische Regierung Journalisten aus Nato-Staaten starke Arbeitsbeschränkungen auferlegt oder gleich die Aufenthaltserlaubnis entzogen hatte. Man hatte eine Ausrede für das eigene Unvermögen, neue Quellen aufzutun, und zumal für den ausgeprägten Unwillen, Serben, diese slawischen Halbirren, als Opfer zu zeigen; und das Publikum, dem die kriminellen Aktionen des Bündnisses schlimmstenfalls am Arsch vorbeigingen, war’s zufrieden. Ob der Krieg ein jähes Ende gefunden hätte, wenn auf den westlichen Bildschirmen von Anfang an die Verwüstungen und Blutspuren der Luftangriffe zu besichtigen gewesen wären, steht zwar zu bezweifeln – nachgerade imprägniert ist in den meisten Schädeln, die ARD, CNN oder BBC ausgesetzt waren, das Image des serbischen Fötenfressers resp. Tschetniksadisten. Aber die rasante Eskalation der „punktuellen” Attacken hin zu einem völlig planlosen Flächenbombardement wäre der Nato evtl. weniger leicht gefallen; das obszöne Gerede der Offiziere und Kriegsbürokraten von den „Kollateralschäden” wäre manchem Kommentatoren vielleicht etwas früher aufgestoßen als in der siebten Kriegswoche, nach Zerstörung der chinesischen Botschaft, da alles zu spät war.

Der Moloch Fernsehen kennt keine Moral – außer der je herrschenden; er will in Ruhe gelassen werden beim Verschlingen der Welt und beim Ausscheiden von Vollprogrammen und ist daher mit jedem System, in dem er sich breitmachen darf, vorbildlich d’accord .Die paar Querulanten, die das Fernsehen sich unter demokratischen Verhältnissen leistet, dienen vor allem der willkommenen Simulation von Opposition: Ein paar Reaktionäre haben hernach Gelegenheit, ihren dicken Hals in die „Bild”-Zeitung zu halten, der mündige Bürger freut sich über den Löwenmut seines Bednarz, das Grimme-Institut verleiht einen Preis. Derweil gehen die Geschäfte weiter – anders als bei den klassischen Medien erwartet ernsthaft niemand vom Fernsehen Selbstreflexion, die über die „Wochenshow” oder „extra 3” hinausreicht, glaubt allenfalls ein verwitweter Rundfunkbeirat aus Süderbrarup, die gelegentlich geübte Selbstkritik der Sender sei mehr als eine lästige Übung und habe irgendwelche Folgen für die fernere Arbeitsweise. Der Opportunismus des Molochs hat zutiefst mit seiner Formlosigkeit, seinem amorphen Wesen zu tun. Erkoren, unser aller Augenzeuge zu sein, bemüht er sich, uns nie zu überfordern, versucht er, jeden Vorgang so zu betrachten, wie die avisierte Couchkartoffel ihn, wäre sie selber am Tatort, wohl auch sehen würde; und weil die TV-Macher sich außer auf die eher magischen als harten Zahlen der GfK allein auf ihren Bauch verlassen können, haben in der gewöhnlichen Fernsehreportage ungewohnte Perspektiven ebensowenig einen Platz wie Relativsätze.

Der Ehrgeiz des besseren Dokumentarfilms – die Menschen, Dinge und Ereignisse so zu zeigen, als habe nie zuvor ein Blick auf ihnen geruht, als gelte es, ihre Würde und Besonderheit für die Ewigkeit aufzubewahren –, diese Ambition fehlt den Aufnahmeteams von Fernsehnachrichten durchaus. Gerne reden sie sich auf den permanenten Zeitdruck hinaus, unter dem sie ihre Clips produzieren müssen, wenn jemand die serielle Ähnlichkeit, die Austauschbarkeit ihrer Dokumentarszenen tadelt (Nato-Hauptquartier außen / Schnitt / Auftritt Solana / Schnitt / Auditorium / Schnitt / Wandprojektion einer Landkarte / Schnitt / Solana redet / Schnitt / Studio). Tatsächlich wäre eine andere Form (fiele denn den mediokren Köpfen, die uns allabendlich ins Wohnzimmer gucken, dergleichen ein) an den Heimatredaktionen gar nicht vorbeizuschmuggeln: Das Immergleiche, die Versicherung, es gebe kein einziges Phänomen, das sich der Kamera verweigern könne, macht den Erfolg des Fernsehens überhaupt erst aus.

Wird fortgesetzt.

Photo: „British 55th Division gas casualties 10 April 1918“,
by Thomas Keith Aitken (Second Lieutenant) [Public domain],
via Wikimedia Commons

4 Kommentare

  1. 1

    Lieber Herr Sokolowsky, schon seit einiger Zeit informiere ich mich beim Anti-Spiegel. Der Betreiber dieser Webseite, Thomas Röper, übersetzt für uns russische Medien und kennt sich auch sehr gut mit dem Land aus. Das erste, was ich nach dem Einmarsch in die Ukraine also tat, war, jene Seite aufzurufen, um zu sehen, was da wirklich abläuft. Denn auf unsere Qual.Medien ist bekanntermaßen kein Verlass.
    Es scheint wohl doch irgend einen Grund zu geben, der Putin zu dem Einmarsch gebracht hat, denn der kam ja extrem überraschend. Selbst für Röper.
    Zivile Opfer werden in der Ukraine vermieden! Putin möchte die Einwohner auf keinen Fall gegen Russland aufbringen, und außerdem: Wir wissen, dass dort sehr viele Russen leben. Optisch kann man die nicht von den Ukrainern unterscheiden. Die russischen Soldaten werden mit Sicherheit nicht auf ihre eigenen Leute losgehen.
    Was aber leider passiert, ist: Die ukrainische Regierung hat ja wohl Waffen an alle Leute ausgegeben, und wenn die Meldung korrekt ist, dann auch an ehemalige Straftäter. Die plündern jetzt in Kiew. Nun ja, wir haben das alles aus zweiter und dritter Hand und mir ist schon klar, dass man mit dem Urteilen besser abwartet. Aber so unwahrscheinlich kommt mir dieses Szenario nicht vor.
    Ich denke, dass Sie die Artikel des Anti-Spiegel vielleicht auch interessant finden und hilfreich bei der Suche nach einer Meinung über das Geschehen.
    Die Seite lädt oft sehr langsam und man bekommt Meldungen über Fehler und „Webseite nicht gefunden“, aber gerade im letzten Fall braucht man nur eine Weile zu warten. Es gibt allzu viele Leute, die gerne auch die Argumente der anderen Seite hören möchten und sich nicht auf westliche Medien (allein) verlassen mögen.
    Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich Ihr Blog sehr schätze und jedes Wort bisher gelesen habe! Anfangs war ich mit Ihrer Einschätzung der Corona-Sache nicht ganz Ihrer Meinung, aber so was halte ich aus. 🙂
    Mittlerweile tendiere ich aber doch zu Ihrer Ansicht. Die Regierung hat sich allzu unglaubwürdig gemacht bei der Geschichte.

    Danke für Ihren interessanten und freundlichen Kommentar! Den „Anti-Spiegel“ kenne ich; allerdings bin ich etwas skeptisch, was die Seriosität dieses Blogs betrifft. Thomas Röper neigt leider dazu, gegen die westliche Propaganda die russische auszuspielen, was nicht besonders hilfreich ist in Zeiten des Krieges. – Daß die russische Armee bemüht ist, zivile Opfer zu vermeiden, mag ja sein. Aber es gibt in der Ukraine zivile Opfer wie in jedem Krieg. Wer verhindern will, daß Nichtkombattanten sterben, dem bleibt nur eine Möglichkeit: keinen Krieg anzetteln. KS

  2. Jean-Gert Nesselbosch
    Dienstag, 1. März 2022 21:03
    2

    Sehr geehrter Herr Sokolowsky,
    ich halte Putin und seine Lakaien für Arschlöcher, das ewig schlechte Herumgelüge der offiziellen russischen Kanäle für eine Beleidigung jedes mittelmässig begabten Zuhörers und Sätze wie „wir haben zahlreiche ukrainische Nationalisten *ausgelöscht*“ (wie neulich von einem Regierungssprecher Russlands o.ä. geäussert) für widerlich. Ich mag diese Machthaber nicht, am wenigsten die zweite Reihe, wie sie immer belämmert dasitzt am langen Tisch und sich diesen Quatsch von ihrem Befehlshaber durchsagen lässt. Scheisse ist das ! Und schlechter Geschmack. Aber was solls. Was ich noch viel schlimmer finde ist, und da gehen bei mir regelmässig die Alarmglocken an, wenn man in meinem Land mal wieder „keine Parteien, sondern nur noch Deutsche kennt“, wenn man von jedem Schlagersänger eine öffentliche Sympathiebekundung für irgendwas einfordert (bei Androhung von Ausschluss bei Zuwiderrede), wenn irgendeine Haltung die „normale Haltung“ wird, und jeder Widerspruch zur Perversion erklärt wird. Das einzige, was ich echt zum piepen lustig finde, ist der Umstand, dass es schon wieder die SPD ist, die pünktlich angetreten ist (und dazu diese depperten Unglückraben von den Grünen), um patriotischer als Bismarck himself, zu Aufrüstung und Krieg zu trommeln. Alles Gute !

    Irgendwann werden Historiker feststellen, daß ohne die Sozialdemokratie die Transformation der alten Bundesrepublik in ein neues Reich niemals so geschmeidig funktioniert hätte, so rapid voranmarschiert wäre. Mein Abscheu vor dieser „Pachtei“ (Karl Kraus), die sich einen Möchtegerndiktator wie Schlz als Obermacker hält und trotzdem fromme Lieder von Emanzipation und Menschenrecht singt, ist in den vergangenen Tagen ins Unermeßliche gewachsen. Die Grünen finde ich natürlich rundweg zum Kotzen; die SPD aber will ich endlich auf dem „Trümmerpfad hinab in die Leere“ (Tolkien) sehen. – Danke für Ihren klugen Kommentar, Herr Nesselbosch, und auch Ihnen nur das Beste! KS

  3. 3

    Ihr Jugoslawienbeitrag ist überragend. Ich muss die Fortsetzungen hier im Blog nicht abwarten, denn ich habe ihn damals schon in voller Länge genossen. Ein Einschub als kleine Petitesse: Auch ein Jürgen Elsässer hatte in der Zeit lesenswerte Beiträge zum Thema. Danach fiel er ins geistige Koma, vielleicht hatte er sich übernommen.
    Ihrer generellen und klauselfreien Ablehnung eines jeden Krieges schliesse ich mich vorbehaltlos an, möchte aber, Ihren Zorn fahrlässig in Kauf nehmend, anführen, dass dieser Krieg durch Russland nicht begonnen wurde, sondern seit acht Jahren von den ukrainischen Faschisten gegen den Donbass geführt wird. Geschätzte vierzehntausend Opfer, vorwiegend Zivilisten sind zu beklagen. Das Minsker Abkommen wurde von der Junta ignoriert. Wo waren die diplomatischen Bemühungen des Westens, wo die Demonstrationen empörter Bürger auf unseren Strassen? Im Gegenteil: Es wurden Waffen an ein faschistisches Regime geliefert und auf allen Kanälen Russenbashing betrieben.
    Wo waren die Abrüstungsdemonstrationen in der BRD als in Büchel das amerikanische Atomwaffenarsenal erneuert wurde? Wo war der breite Protest der Strasse, angeführt von Bölls und Kellys?
    „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.“ Heute bellt kein linker Hund mehr, sein Fressnapf könnte nicht mehr gefüllt werden.
    Nochmal: Russlands Antwort ist inakzeptabel, ich hätte mir von der russischen Schachdiplomatie Trickreicheres erhofft und bin enttäuscht. Aber angefangen haben die Russen diesen Krieg nicht. Hoffentlich können sie ihn beenden! Das ist leider fraglich, denn Gewalt beendet keine Gewalt.

    Lieber Andreas Schmid – nein, ich bin überhaupt nicht zornig auf Sie. Denn Sie haben mit Ihrem Hinweis auf die Vorgeschichte der aktuellen Verbrechen völlig recht. Die umfassende Gleichgültigkeit unserer Qual.medien für das achtjährige Leid der Donbass-Bewohner verleiht dem hypermoralischen Gefuchtel wider den schrecklichen Iwan erst recht jene Verlogenheit, Niedertracht und Gemeinheit, die sich von Verlautbarungen der Kreml-Krieger in nichts unterscheidet.
    Daß ich den alten Aufsatz über die deutsche Propaganda im Jugoslawienkrieg jetzt neu veröffentliche, geschieht zumal mit der Absicht, das Publikum auf die wesenseigene, traditionelle Heuchelei und Unverschämtheit der hiesigen Kriegsberichterstatter hinzuweisen. (Und wie enorm schmeichelt es mir, daß Sie den Artikel schon kannten! Aber das nur am äußersten Rande.) KS

  4. 4

    Sehr geehrter Herr Sokolowsky,
    Ihren prägnanten und treffsicheren Worten sowohl zu dem Angriffskrieg der Russischen Föderation als auch zu der Reaktion hierzulande bleibt im Wesentlichen nichts hinzuzufügen. Eine Ergänzung sei mir dennoch gestattet: Die Militarisierung Deutschlands scheint mir in der kurzen Frist das dringlichere Problem zu sein und zu werden als die Militanz der Außenpolitik; zumindest fürs erste wird man sich in Berlin – niederträchtig genug – dafür entscheiden, andere für eigene Interessen kämpfen und vor allem sterben zu lassen und Sold plus reichlich Waffen liefern; die innere Militarisierung des Landes hingegen ist bereits – mindestens seit im März 2020 der Ausnahmezustand verhängt wurde – stark fortgeschritten, auf Straßen, Plätzen und in Zeitungsspalten paradieren wieder Gesinnungsfeldwebel und Denunziationsoffiziere, Proskriptionslisten werden geführt und erste Delinquenten abgeurteilt: So kühlte ein der Partei des permanenten Mandantenverrates (früher: SPD) angehörender Herren-Reiter, der in der Hauptstadt der Bewegung den Ortsvorsteher gibt, sein fiebriges Mütchen an dem Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev, weil dieser sich trotz ultimativer Aufforderung nicht vom russischen Präsidenten distanziert habe; ein investigatives Inspektorenteam hat zudem im Kühlschrank von Anna Netrebko Krim-Sekt entdeckt, so daß die Opernsängerin nicht umhin konnte, bis auf weiteres alle Konzerte abzusagen.
    Dieses Land ist dabei, vollends den kargen Rest-Verstand zu verlieren; vielleicht morgen schon werden erste Mitglieder der Schrifttumskammer, die Buchläden und Bibliotheken führen, die Werke von Tolstoi, Dostojewski und Solschenizyn aus den Regalen entfernen, weil diese Autoren sich nicht rechtzeitig von Kaviar, Wodka und Ivan Rebroff distanziert haben.

    Sehr geehrter Herr Graf, ich danke für diesen brillanten Kommentar! – Ich kann nur hoffen, daß Sie mit Ihrer Einschätzung, die Militanz kommender dt. Außenpolitik betreffend, recht behalten. So wie ich meine Landsleute einschätze, werden sie, wenn’s so weit ist und genug Waffen im Arsenal stehen, keinem Weltkrieg aus dem Weg gehen, sondern ihm entgegenrennen. Die Forderungen nach einer Neuauflage der Wehrpflicht sind ja bereits aus fast allen Parteien zu hören. Aber ich wäre gottfroh, wenn Ihre Prognose realistischer als meine ist. KS

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