Totale: Krieg (2)

Wie ein Dutzend Rosenkränze auf Verstörungen des Gemüts, dank Mechanik und Geleier, durchaus besänftigend wirkt, hat die solide Verwechselbarkeit der TV-News mit denen von gestern, vorgestern und auch vom letzten Jahr die „Tagesschau“ längst in eine Art sedatives Ritual verwandelt: Nicht Informationen locken den Zuschauer vor die Röhre, sondern die schöne Gewißheit, daß die Welt sich in der Nachrichtensendung zuallerletzt verändern wird. F.W. Bernstein hat den schonenden Ton, in dem sogar das Armageddon in der „Tagesschau“ vermeldet werden wird, bereits 1987 grandios antizipiert: „(Köpcke) und alle seine halben Erscheinungsformen sollen mit uns sein bis ans Ende der Welt, und er wird’s uns schon sagen, wenn’s soweit ist: GONG! Und er schreit mit großer Stimme, wie ein Löwe brüllet, und da er schreit, reden sieben Donner ihre Stimmen: ‚Bonn. Außenminister Genscher bezeichnete den Weltuntergang als ein Ereignis von besonderer Tragweite …‘“ Sehr viel anders klang’s am 24. März 99 auch nicht.

Möglicherweise nahmen einige Korrespondenten und Regisseure den Angriffsbefehl der Nato als den historischen Bruch wahr, die Globalkatastrophe, welche er gewesen ist. Konsequenzen zogen sie aus ihrem Schrecken mitnichten. Keiner traute sich, in die Gesichter der Bombenkerls zu zoomen, während daraus die Unwörter „humanitäre Katastrophe“ und „Luftoperationen“ fielen sowie der fulminant verlogene Satz „We have no quarrel with the people of Yugoslavia“: Als wäre in den Mundwinkeln kein Speichel, an den Lidern kein Zucken, auf der Haut kein Schweiß zu entdecken gewesen, als würde dereinst die Nachwelt nicht zu gerne die Fressen jener inspizieren wollen, denen sie ihre Kalamitäten verdankt! Ergeben fügte das Pack, das noch kurz zuvor, im Fall Lewinsky, sich in das – nirgendwo dekretierte – Los, Multiplikator der Nato-Meinung zu sein und das vormalige Objekt ihres Voyeurismus nun respektvollst nurmehr als den „Oberbefehlshaber“ abzubilden.

Die Kriegsherren selbst dürften überrascht gewesen sein, wie wenig Probleme ihnen der Moloch bereitete. Wohl, sie wußten seit dem Golfkrieg, daß ein wenig Erpressung genügt, um das bilderwilde Medium auf Linie zu bringen. „Nehmt, was wir euch geben, oder ihr bekommt überhaupt nichts“, drohten sie damals, und der „Medien-Pool“ spurte gleich einem Regiment Marines: Lieber „Live“-Aufnahmen (mit immerhin irgendwie gruftigem Grünstich), direkt aus dem Sprengkopf einer Cruise Missile, als gar kein Einspieler! Aber die Schwierigkeiten diesmal, mitten in Europa, bei einem Gegner, der mit Korrespondenten liberaler umging als ehedem Saddam, dürften sie sich größer vorgestellt haben. Um die Dominanz des Militärs, seine Verachtung für die Pressefreiheit und die Bürger, die es finanzieren müssen, keinen Moment vergessen zu machen, um zugleich aber auch das Bedürfnis des Fernsehens nach Wiederholungen zu stillen, wurde das Ritual des nachmittäglichen „Briefings“ im Brüsseler Hauptquartier initiiert.

Ganz wie Piloten einer Jägerstaffel bei der Einsatzbesprechung wurden die Journalisten plaziert, nicht anders als Rekruten beim Appell erwarteten sie die Erteilung des Tagesbefehls, sahen sie auf zum wachhabenden Lamettaträger, der die gelungenen Vernichtungen des Vortages beschrieb, während der diensttuende Zivilist, der ihm zur Seite stand – wahlweis ein ziemlich schlampig gekleideter, schlechtrasierter, stets gebückt dastehender Aktenwurm oder ein maßangezogener, eisern grinsender, geschwätziger Yuppie –, pro forma daran erinnerte, daß die Nato, jedenfalls laut Statut, nicht von Soldaten dirigiert wird, der vor allem jedoch als beflissener Hiwi des coolen Todes-Technokraten zu seiner Rechten erschien. Die prototypisch vorgeführte Hierarchie verfehlte ihren Effekt nicht. Nahezu kein Bericht aus Brüssel verzichtete auf einen Zwischenschnitt zum Nato-Monument vorm Hauptquartier, diesem zackenstarrenden Death Star, dieser Explosion aus Stahl, eingefroren in einem ewigen Standbild. Denn über Nacht waren alle Korrespondenten zu Klonen von Jamie Shea mutiert – Adlaten, die ihre Generäle lieber nicht reizen mochten, und das Geknatter von Zahlen und Waffensystemnamen mit immer denselben hundert Phrasen aus dem Leitfaden der psychologischen Kriegführung überkleisterten, weil sie „robuste“ chirurgische Eingriffe am eigenen Leib eher nicht herausfordern mochten.

Wie angeraten ihr Opportunismus war – vorausgesetzt, auch nur eine der rapportierenden Orgelpfeifen hätte anderes gesagt als gedacht, was man bezweifeln darf –, demonstrierten die Allied forces, als sie am 23. April das Sendezentrum in Belgrad planierten. Dieser Angriff ragt als der symbolische Akt des Kosovokrieges – in dem Symbole eine schier prähistorische Bedeutung spielten – heraus. Die Selbstabschaffung des Fernsehens als „objektives Medium“, der Bankrott der Sender als vorgebliche Anstalten einer „überparteilichen Meinung“ wurden nicht bloß manifest. Die Herren der Neuen Weltordnung gaben außerdem deutlichst bescheid, daß sie den Bankrott über das Kriegsende hinaus perpetuiert wünschten. Daß die Adressaten kapiert hatten, bewies ihre sagenhaft feige Illoyalität am folgenden Tag – statt namens der ermordeten jugoslawischen Kollegen die Medienzensur per Laserbombe anzuprangern, tat die Bande einhellig so, als ginge nicht mal dieses Kriegsverbrechen sie was an. „Das freie Bild“, die „grenzenlose Information“, das „global village“ – mit einem Luftschlag hatte das Fernsehen all die hehren Ausreden, die es für seine singuläre Trivialität bis dahin bereithielt, verloren; aber weil ihm an dem Hokuspokus, den Medienwissenschaftler treiben, eigentlich ein Fliegendreck liegt, am blanken Da-Sein auf zweiunddreißig uniformen Kanälen jedoch alles, berichteten die Kollaborateure über den Fall eilig, nebenher und „nüchtern“ wie Buchhalter. Nachdem sie sich ohne Zwang den Generälen unterworfen hatten, mochte die Züchtigung, welche die widerspenstigen „Kollegen“ jetzt erfuhren, sie vielleicht sogar mit Genugtuung erfüllen.

Die massive Zensur der Nato – mit der verglichen die Restriktionen in Jugoslawien ebenso antiquiert und armselig wirkten wie die Flugabwehr des Landes gegen Stealth-Geschwader – veranlaßte zwar einige Vertreter der Presse und des Radios zur Frage, ob dies alles „in der Demokratie“ denn geduldet werden könne. (Daß es mit bürgerlichen Grundrechten und weiterem Unfug von nun an genauso Essig sein würde wie mit dem Völkerrecht, kam ihnen freilich nicht in den Sinn.) Die „Erscheinungsformen“ (Bernstein) des Fernsehens machten sich um gar nichts Sorgen als „unsere Jungs“. In den ersten Kriegstagen waren die Programme zugeparkt mit heroischen Porträts uniformierter Mordsburschen – und angesichts soviel vorauseilenden, ja begeisterten Gehorsams konnte sogar ein unbedeutender Staatssekretär, dem der Papierstaub geradezu aus den Ohren rieselte, sich dickefühlen und via TV kurzerhand verbieten, das Werfen von Bomben „bomben“ zu nennen.

Wird fortgesetzt.

Photo: „George Bellows – The Barricade (1918)“,
by George Bellows/Birmingham Museum of Art [Public domain],
via Wikimedia Commons

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