Zeuge der Geschichte (9)

Als ich vor ein paar Stunden las, daß Eugene Andrew „Gene“ Cernan, Kommandant von Apollo 17 und der letzte Mensch auf dem Mond, nicht mehr lebt, wurde mir abermals klar, wie alt meine Zukunft und wie fern dieser Mond heute ist, ferner sogar, als er 45 Jahre vor der Landung des LEM „Challenger“ im Taurus-Littrow-Tal des Mare Serenitatis gewesen war.

Und ich sah mir eine Nasa-Dokumentation von 1973 an –
—-



– und ich hörte Captain Cernan 400.000 Kilometer jenseits der Erdatmosphäre sagen, was bis zum heutigen Tag die letzten Worte sind, die dort gesprochen wurden (ab 21‘15):

I‘d like to just say what I believe history will record: that America‘s challenge of today has forged man‘s destiny of tomorrow.

Und ich lachte nicht über diesen Irrtum, denn 1972 war das viel mehr als bloßes Wunschdenken gewesen und wahrlich das Beste, was die USA der Welt zu geben hatten, und es liegt nicht an Cernan, daß unser Schicksal nicht der Weltraum, sondern die Zerstörung unserer Welt geworden ist.

Und dann studierte ich ein Interview, das einer der größten Abenteurer aller Zeiten, ein Held nicht nur meiner Kindheit, gut fünf Jahre vor seinem Tod gewährt hatte –



– und ich sah, während er den ekstatischen Moment nach dem Aufsetzen im lunaren Staub beschrieb, die Augen des wackeren Greises strahlen wie die eines blutjungen Mannes (ab 13‘40):

You‘re now seeing what‘s never been seen with human eyes before, you‘re now where no human being has ever been in the history of mankind.

Und ich dachte, daß vermutlich niemals wieder ein Mensch dort stehen wird, wo Cernan Spuren hinterließ, Spuren, die erst in Jahrmillionen vergehen, die noch frisch aussehen werden, wenn es längst keine Menschen mehr gibt; für Äonen konservierte Erinnerung an unsere Gattung und an eine technische Meisterleistung, die um so großartiger war, da sie keinerlei ökonomischen Nutzen hatte.

Und dann hörte ich mir einen Song von Frank Sinatra und dem Count Basie Orchestra an, den ich auch hörte, nachdem Neil Armstrong gestorben war; ein Stück, in dem alles steckt, was das Mondprogramm der Nasa für mich bedeutet – Optimismus, Fortschrittsglaube und die sagenhafte Yankee-Lässigkeit der Apollo-Astronauten:



Und dann bekam ich Lust, den Mond anzuheulen, aber der hatte sich in ein Trauerkleid aus Wolken gehüllt.

Photo: „AS17-145-22224“, by NASA / Harrison Schmitt [Public domain],
via Wikimedia Commons


Mittwoch, 18. Januar 2017 1:11
Abteilung: Selbstbespiegelung, Zeuge der Geschichte

2 Kommentare

  1. 1

    Wenn ich könnte – und ich mir sicher wäre, dass „Mondkalb“ auch eine Auszeichnung sein würde – würde ich Sie für diesen Beitrag zu einem solchen ehrenhalber erklären.Ich bin sehr gerührt – auch, weil ich das damals alles so nicht mitbekommen habe. Und daher stehe ich auch vor einem Wiki-Rätsel. In dem Wiki-Artikel über Cernan steht „Er war der elfte von zwölf Menschen, die den Mond betraten, und ist bis heute der letzte, der auf dem Mond gewesen ist.“ D.h. der 12te bestieg vor Cernan, der wiederum jedoch vor dem 12ten den Mond betreten hatte, das Mondshuttle?

    Nein, ich fürchte, daß „Mondkalb“ keine Auszeichnung ist. Aber evtl. paßt es ja doch auf mich und meine närrische Liebe zum Apollo-Programm.
    Das Rätsel, vor dem Sie stehen, ist übrigens rasch gelöst. Cernan war der elfte Mensch, der den Mond betrat, weil er vor seinem Kameraden Harrison Schmitt das Landemodul verließ. Schmitt (der 12te Mann) wiederum ging beim Rückstart zur Erde vor Cernan vom Mond. Gene war eben ein Kapitän alter Schule: first to land, last to leave, wie James Cook. – Ich vermute, daß ihre Verwirrung mehr semantischer als mathematischer Natur ist. Es gibt eben keine eindeutigen Wörter (was außerhalb der Poesie immer wieder Probleme schafft, andererseits jedoch Poesie erst ermöglicht). KS

  2. 2

    Wenn ich mir diesen freundlichen alten Mondfahrer so anschaue und anhöre, dann wird mir warm ums Herz. Und gleichzeitig muß ich an das ganze Elend unserer Gattung denken: daß sie so achtbar im einzelnen ist und so miserabel im ganzen. Goethe meinte zwar bloß die Deutschen, als er dies aufschrieb, aber ich finde, es stimmt auch für die übrige Menschheit. Der man trotz allem Leid, das sie sich und anderen Spezies angetan hat und antut, immerhin eins zugute halten kann: Sie vermag es, achtbare Einzelne hervorbringen. Das ist ja schon mal was, oder? Auch wenn’s vermutlich nicht reichen wird, das Überleben der Gattung zu sichern. Was wiederum auch nicht so schlimm wäre; es sind schließlich schon wesentlich freundlichere Spezies ausgestorben.

    Stimmt. Und wenn Du die Zeit hast, dann stell doch mal eine Liste zusammen mit den freundlicheren Arten, die verschwunden sind, ob nun mit oder ohne unsere Nachhilfe. Das bring ich umgehend als Blogpost in „Die Spezies hat’s verkackt“. – Alle anderen Leser dieses Blogs dürfen natürlich gern mitmachen: Je länger die Liste, je lächerlicher die Angst, unser Abgang als Gattung sei was einzigartig Schlimmes.
    Ich hab auch Vorstellungen über eine schön aussagekräftige Liste. Sie müßte für jede Spezies drei Kriterien beschreiben können:
    1. Name (populär und wiss.)
    2. Lexikalische Kurzbeschreibung
    3. Eine URL zu detaillierten Informationen
    Ich spanne aufs Feedback! KS

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