Schlz der Retter (2 1/2 von 3)


Bei der Sozialdemokratie frommt‘s nur der herrschenden Klasse
(der Bourgeoisie innerhalb und außerhalb der Partei);
und den Geführten wird, im Leerlauf der Organisation,
vor der ewigen Taktikerfrage: „Also was tan mr jetzt?“ –
bald die Antwort einfallen: „Jetzt tan uns die Füß‘ weh“.

Karl Kraus (1932)

In meinem Plan für diese Serie war das, was folgt, nicht vorgesehen. Aber wie‘s beim Recherchieren öfters geht, tauchen Details auf, die sogar den Rechercheur überraschen, und er muß neu disponieren.

Dabei ging es anfangs wirklich bloß um Details, die „überraschende“ Kandidatur O. Schlz‘ für den Chefposten der SPD betreffend. Ich wollte wissen, wer dem gar nicht beliebten Genossen geholfen hatte, überhaupt kandidieren zu können. Denn das Verfahren, welches der Parteivorstand Ende Juni beschloß, verlangt, daß Bewerber um den Parteivorsitz „die Unterstützung von mindestens 5 Unterbezirken oder einem Bezirk bzw. einem Landesverband“ brauchen, um antreten zu dürfen. Schlz, der seine Kandidatur am 18. August auf den vorletzten Drücker verkündete, war bis dahin von keinem Bezirk oder Verband nominiert worden. Also mußte er Unterstützer finden, und schnell.

Überdies fehlte ihm, um nicht so selbstgerecht bzw. schlzig wie sonst zu wirken, eine weibliche Co-Kandidatin; der Vorstand hatte ausdrücklich gewünscht, daß künftig ein gemischtes Doppel die Partei anführen solle. Nach – ich spekuliere jetzt, doch nicht haltlos – Tagen voller hektischer Telephonate präsentierte Schlz erst am 22. August Klara Geywitz als seine Kollaboratörin. Gut eine Woche danach verlor Geywitz ihr Direktmandat im Brandenburger Landtag. Ob diese Niederlage eine Folge ihrer Co-Kandidatur mit dem Kotzomaten war, läßt sich bestenfalls vermuten. Jedenfalls hat es Geywitz nicht geholfen, als Quotenfrau an Schlzens Seite für Schlagzeilen zu sorgen.

Aber wie kam der Retter überhaupt auf die Idee, sich mit Geywitz zu verbünden? Niemand in der Partei und schon gleich kein Journalist hatte sie auf dem Zettel. Obzwar Geywitz seit Dezember 2017 dem Bundesparteivorstand beisitzt und den gräulichen Vertrag der Großen Koalition mitverhandelte, meldete sie bislang nirgendwo höhere politische Ambitionen an. Einiges spricht dafür, daß Schlz sich aus blanker Not an die Genossin wandte. Möglicherweise hatte der eingebildete Taktierer gar nicht damit gerechnet, daß Presse und Partei danach fragen würden, weshalb er anders als alle anderen Kandidaten (bis auf Karl-Heinz Brunner) den Alleinherrscher machen wolle. Die Website von „ZDF-heute“ deutete am 18. August mit großer Diskretion an, wie unüberlegt, ja, planlos das vermeintliche Mastermind Schlz seine Kandidatur anging:

Scholz sondiert nach Informationen aus Parteikreisen derzeit im Hintergrund das Feld und sucht eine Partnerin, mit der er als Doppelspitze antreten kann.

Die Neugier der Qual.medien über Schlzens Partnerinnenwahl hielt sich insgesamt in erstaunlich engen Grenzen. Erstaunlich, weil im waltenden Polit-Infotainment die Personalien und der Klatsch sonst die Hauptsache, die politischen Inhalte jedoch Petitessen, wenn nicht lästig sind. Die „Zeit“ beispielsweise gab sich, nachdem Schlz das Feld hintergründig sondiert hatte, mit dieser schrägen Auskunft der doppelspitzen Geywitz‘ zufrieden:

Wir kennen uns aus Potsdam, wo wir beide wohnen. Bei uns stimmt die Chemie, sonst hätte ich das sicher nicht gemacht.

Ob Nachbar Olaf wohl bei der Klara an der Tür klingelte und zunächst fragte, wie‘s den Kindern so geht und die Geranien stehen, bevor er sich erkundigte, ob sie nicht Interesse hätte, mit ihm die älteste Partei der Republik zu regieren –? Es war jedenfalls nicht Geywitz‘ Idee, mit Schlz zu kandidieren, soviel läßt sich ihrem kargen Statement entnehmen. Wer aber überredete sie letztlich, mit dem ungeliebtesten Spitzenkader der Sozialdemokratie die Bühne zu betreten bzw. seine Kandidatur zu retten?

Die „Saarbrücker Zeitung“ ist das einzige Qual.blatt, das hinter die Kulissen großer SPD-Politik leuchten mochte. Dort geht‘s offenbar genauso bieder zu wie bei Vorstandswahlen im Kleingartenverein:

[Die] Frau des Ministers [Schlz], Britta Ernst, engste Beraterin ihres Mannes und in Brandenburg Bildungsministerin, schätzt Geywitz sehr. Man ist offenbar befreundet.

Ich muß Ihnen, liebe „Abfall“-Abonnenten, gewiß keinen Reim auf die Anekdote machen. Es wäre freilich schön, dächten zufällig zulesende SPD-Mitglieder darüber nach, ob ein Kandidatentandem, das sich auf solche Art gefunden hat, glaubwürdig für eine Renovierung der Partei eintreten kann, ob es sich überhaupt dafür interessiert, im Saftladen aufzuräumen.

***

Was Schlz wie seinem Blinddate Geywitz weiterhin fehlte, waren Fürsprecher an der Basis. Um die zu finden, dürfte erneut viel telephoniert worden sein. Schlz hat in der Partei mehr Gegner als Freunde, und es hätte eine hübsche Blamage gesetzt, wenn der unterstützende Landesverband oder Parteibezirk sich öffentlich darüber zerstritten hätte, den Möchtegernhäuptling und seine Gutemine aufs Schild zu heben. Erst am 24. August fanden sich die nötigen Claqeure, und die Kandidaten Schlz und Geywitz durften sich endlich offiziell bewerben.

Es ist ebenso eigenartig wie bemerkenswert, daß nicht ein einziger unserer famosen, durchaus von sich selbst besoffenen „Hauptstadtkorrespondenten“ wissen wollte, wo und wie Schlz die Legitimation zur Wahl arrangierte. Wer behauptet, dank seines „Ansehens“ der Richtige für den SPD-Vorsitz zu sein, sollte ja wohl in keinem Verband oder Bezirk um Förderung betteln müssen. Im Gegenteil – das Fußvolk müßte sich geradezu aufdrängen! Doch da drängelte niemand, vielmehr drückte man sich allenthalben. Die Infotainer sahen darüber so großzügig hinweg, wie sie Anfang 2018 die Schieber- und Tricksereien rund um Andrea Nahles ignorierten. Die selbsternannten „Wächter der Demokratie“ haben eine gute Geschichte verschlafen, weil sie nicht ins (wie die gesalbten Schwätzer es selber und sogar stolz nennen:) Narrativ paßte; das heißt, in das Märchen von Schlz dem Retter, das sie seit dem 18. August dem Publikum erzählen.

Ich alter Spielverderber und überzeugter Basisdemokrat wollte freilich schon wissen, wo der Schlz und die Geywitz ihre Hilfstruppen rekrutiert hatten. Es war etwas umständlich, dies herauszufinden, doch kein Zauberwerk, und das Ergebnis durchaus überraschend. – Ich nahm erst mal an, daß Schlz die alten Genossen in Hamburg um die Gefälligkeit ersucht hatte. Aber nichts da: die Hanselstädter Sozen wollen, scheint‘s, nichts mehr mit dem Kerl zu tun haben, der sie nach dem G20-Debakel im Regen stehen und den gerechten Zorn der Einwohner ausbaden ließ. Wäre demnächst Bürgerschaftswahl in Hamburg, die SPD könnte froh sein, käme sie auf 28 Prozent, das heißt, sie verlöre mehr als ein Drittel ihrer Wähler von 2015. Schönen Dank, Olaf, saubere Arbeit!

Aber auch in Geywitz‘ Beritt fand sich kein Bezirk, der die Verantwortung für einen Vorsitzenden Schlz übernehmen oder sein Anhängsel promoten mochte. Klara Geywitz hatte Landesparteichef und Miniprä Manfred Woidke wie einen Deppen dastehen lassen, als sie im November 2017 ihr Landesgeneralsekretariat hinschmiß, weil Woidke die nutzlose, durch und durch neoliberale Kreisreform, die Geywitz um jeden Preis wollte, zum Glück für alle Betroffenen beerdigte. Pampiger als Geywitz können sich Parteifreunde kaum verhalten, und ich verstehe Woidkes öffentliches Entzücken über Geywitz‘ Kandidatur („Ich bin stolz … Ein ganz hervorragendes Duo“) vor allem als Freude darüber, die Querulantin loszuwerden. Manfred Sempf, Schatzmeister der brandenburgischen SPD, teilte kürzlich schön aufrichtig mit, wie heimisch die Geywitz daheim ist und warum die „Chemie“ zwischen ihr und Schlz einfach „stimmt“:

Klara Geywitz könnte von der zwischenmenschlichen Wärme her auch eine 10.000er-Geflügelfarm leiten.
Tagesspiegel.de, 22.9.2019

Daß Schlz und Geywitz weder in Ham- noch Brandenburg eine Basis haben, ist eine Peinlichkeit, die den Leitmedien wenigstens eine Glosse wert sein sollte. Doch danach kannste lange suchen. Die „Einordner“ unserer Qual.presse haben sich lieber – und viel zu ausführlich – um die Quatschkandidatur Jan Böhmermanns gekümmert und damit abertausendmals bewiesen, daß sie Politik nur als Theater wahrnehmen und schildern mögen.

Den Bankrott der repräsentativen Demokratie, den Gestalten wie Schlz maßgeblich verantworten, ordnen die Einordner nicht ein, weil sie ihn „net amol ignorieren“ (Karl Kraus). Die selbsternannten Wächter dieser Demokratie wirken am Ruin seit vielen Jahren mit – wie könnten sie ihn problematisieren? Wären sie so kritisch und „faktenorientiert“, wie sie plärrhals reklamieren, müßten die Einordner zugeben, daß sie – wie Schlz, wie alle Vertreter der akuten Lobbykratie – gleichfalls Pleitegeier sind. Das alte, verkommene System hat sie fett und GroKotzig (haha) werden lassen, und Etablierte haben immer eine Heidenangst vor anderen Verhältnissen.

Sie beschwören unentwegt die demokratische Form und den Segen vermeintlicher Regeln, weil sie vom faulen Kern und von der Ritualisierung des politischen Prozesses auf keinen Fall reden wollen. Sie haben die Fäulnis ja nach Kräften befördert. Bevor sie ihr eigenes, systematisches Versagen nicht begreifen, können sie schwerlich kapieren, warum die Kandidatur Schlzens eine Frechheit und das zynische Unterfangen ist, etwas zu bewahren, was auf den Abfall (hahaha) gehört.

Aber ich schweife bereits ins nächste Kapitel ab, obschon diesem hier die Pointe noch fehlt. Der Witz aber hat Schmackes, glaube ich, und außerdem ein Gschmäckle. Vorhang zu also – und auf zum finalen Akt der Farce!

***

Schlz gab seine Kandidatur kund, ohne eine Partnerin oder ein Interesse der Parteisoldateska vorweisen zu können. Er, der sich für ein Geschenk an die Sozialdemokratie und den geborenen Kanzler hält, nahm wohl an, nur die Hand heben zu müssen und alsogleich würde alles sich ergeben und diesem Retter in bzw. aus der Not folgen, wohin auch immer.

Aber außer seinen Kumpanen in der Hauptstadtkorrespondenten- und Seeheimer-Blase freute sich so gut wie niemand. Simone Lange fand passende Worte zu Schlzens plumper Nummer:

„Olaf Scholz muss das restlos aufklären. Das ist eine Frage der politischen Hygiene. Sein Verhalten schadet der Partei.“ Der Vize-Kanzler habe sich als Kandidat in eine Sonderrolle begeben, so Lange mit Blick auf die Nähe von Scholz zur Parteiführung.
RP online, 21.8.2019

Schlz klärte natürlich gar nichts auf. Was den Schlafmützen der deutschen Politberichterstattung allerdings wumpe war. Vielleicht wollten sie auch nicht desavouieren, was sie einmütig geflunkert hatten: daß Schlz wahrhaftig jener von Partei und Republik ersehnte Retter sei, den er markierte. Als am 24. August endlich ein SPD-Bezirk sich erbarmte und das Pärchen Schlz-Geywitz nominierte, kümmerte es die Qual.presse ebenso einmütig nicht, an welchem Ort und wie das geschah.

Nämlich in Ahrensbök, einem Kaff nahe Eutin. Weder Schlz noch Geywitz hatten während ihrer Parteikarriere jemals in der Gegend ihr Wesen getrieben. Da die Nominierung erst sechs Tage nach Schlzens Selbsterwählung erfolgte, steht ziemlich sicher fest, daß die ostholsteiner Sozen vorm 24sten nicht den Schimmer einer Ahnung davon hatten, daß sie sich Schlz als Obermotz wünschten. Obwohl die Entscheidung weit über ihre Provinz hinaus Bedeutung hatte, fiel sie gleichsam am Rande, als letzter, vermutlich hastig ergänzter Ordnungspunkt eines Kreisparteitags.

Die Homepage der SPD-Sierksdorf berichtet über den großen Tag in eben jener Art, die unsereins aus den Niederungen der deutschen Sozialdemokratie leider erwartet, das heißt, halbkomatös, doch penibel nach den Vorgaben, die seit ca. 1910 (oder 1890?) die Solidität gleichwie Überraschungsarmut der größten der Parteien verbürgen:

Am 24. August kamen 69 Delegierte der ostholsteinischen SPD-Ortsvereine zu ihrem Kreisparteitag in Ahrensbök zusammen.
Ein Schwerpunkt waren die Vorstandswahlen. Mit 95 Prozent der Delegiertenstimmen wurde Niclas Dürbrook als Vorsitzender wiedergewählt. In den nächsten zwei Jahren stehen Beate Müller-Behrens, Gabriele Freitag-Ehler und Burkhard Klinke als Vertreter an seiner Seite. Unser Kreistagsabgeordneter Thomas Garken wurde mit dem besten Ergebnis aller Kandidaten in den Vorstand gewählt. Wir Sierksdorfer haben das wohlwollend wahrgenommen und gratulieren ihm zu dem guten Ergebnis.

Das sogar ohne Wohlwollen das beste war.

Einen weiteren großen Raum nahmen die Anträge ein, die an den kommenden Landesparteitag weitergeleitet werden. Den ÖPNV kommunalwirtschaftlich zu betreiben, die vollständige Abschaffung der KiTa-Gebühren, die Thematik Grundsicherung, die Weiterentwicklung der Ganztagsschulen im Bereich der Grundschulen, die Förderung des Schwimmunterrichts an den Schulen waren nur einige der ausgiebig diskutierten Anträge.

Die Förderung des Schwimmunterrichts dürfte einhellig befürwortet worden sein. Was die ausgiebige Diskussion sonst ergab, kann der Leser nur raten. Doch allenfalls ein Idiot nähme an, daß aus den Anträgen irgendwas wird, es sind ja bloß „Thematiken“. Nachdem abgearbeitet war, was die Landesparteispitze der Basis an Hausaufgaben vorgeschrieben hatte, kam das Dessert Surprise und wurde ebenfalls brav weggelöffelt:

Zu guter Letzt wurde das Duo Clara Geywitz und Olaf Scholz in einer Stichwahl von den Delegierten als Kandidaten für den Bundesvorsitz nominiert.

Wow, bzw. leckomio – zu guter Letzt! Wie mag das geklungen haben in Ahrensbök, als der Veranstaltungsleiter den „guten letzten“ Tagesordnungspunkt aufrief? Ich dichte mal:

Genossin‘n‘genossn, mir liecht nochn Antrach aus Sierksdorf vor – danke an die Genossin‘n‘genossn aus Sierksdorf! [Schwacher Applaus.] –, n Antrach wegen Parteivorsitz … Ich schau ma ebm … Also, hier steht, daß Genossin Klara Geywitz und Genosse Olaf Schlz für den Vorsitz der Bundes-SPD kandidieren wollen, so les ich das jetzt. [Vereinzeltes Klatschen.] Steht das hier so? Kann mal einer kuckn? [Pause mit seltsamen Geräuschen.] Doch!, ja, das steht hier so. – Okay! Genossin‘n‘genossn – die Genossn aus Sierksdorf schlagen die Genossn Schlz und Geywitz als Kandidatn für das … die … für den Parteivorsitz vor. Ich bitte um Hantzeichn. Moment …
Danke, alles klar! Fürs Protokoll: Genossin Geywitz und Genosse Schlz werden nach Stichwahl als Kandidatn für den Parteivorsitz nominiert. [Schwacher Applaus.] Danke, liebe Freunde, damit sind wir durch mit allem für heute! Oder? Schön. Wir habm draußen n Tisch mit Häppchen aufgebaut. Was zu trinken gips auch, glaupich. Also, wer will, kann sich jetz die Zeit nehm für politischen Klönschnack. Wir Sozis könn auch Party, nicht wahr?! Ja! [Freudloses Lachen.] Alle anderen, die jetz abhaun – kommt gut nach Haus und bis dann ma! Tschü-tschüs!

Aber wie kamen die ostholsteiner Sozen überhaupt zu der, hm, Ehre, den Wurmling Schlz und sein „Salatblatt“ (Geywitz) stichzuwählen? (Tolle Stichwahl übrigens, bei der nur ein Vorschlag zur Wahl steht – aber man soll es mit der innerparteilichen Demokratie echt nicht übertreiben.) Wurden in Schlzens Büro Würfel geworfen oder Dartpfeile auf eine Deutschlandkarte? Nö, natürlich nicht. Schlz tat, weil er‘s eilig hatte mit der Nominierung, das, was er seit Jahrzehnten in der Partei treibt: Er zog an Fäden, erinnerte an alte Gefälligkeiten und suchte die bräsigsten Genossen als Gehülfen aus.

***

Und nun kommt die Pointe, auf die ich seit x-tausend Zeichen hinauswill. Wäre ich ein Sensationsreporter, ich würde dafür einen Bonus erhalten; aber die Sensationen, die ich rapportiere, interessieren leider kein redigierendes Aas in der „freiesten Presse der Welt“ (Giovanni di Lorenzo). Also enthülle ich gratis. (Ich hätte dennoch nichts gegen einen Finderlohn, seufz.)

Die Sozen im Wahlkreis Ostholstein haben eine Genossin, auf die sie besonders stolz sind, die Goldschmiedin Bettina Hagedorn. Dank einem Spitzenplatz auf der SPD-Landesliste hockt sie seit 2002 im Bundestag und simultan im Haushaltsausschuß (eventuell weil sie sich mit Edelmetall und Geschmeide auskennt). Sie fiel in diesen 17 Jahren nie und niemand auf, erledigte artig den Papierkrieg sowie die Pflichttermine und hielt sich aus allen heiklen Debatten heraus, zumal den parteiinternen. Wenn sie doch einmal Stellung beziehen mußte, folgte sie stets den Plänen der Großen Vorsitzenden.

Ohne Widerspruch winkte sie durch, was die Zwingherrn der Fraktion verlangten: die Hartz-Infamien, die Kriegseinsätze, die großen Koalitionen – einfach alles, was die SPD auf den Schoßhund gebracht hat. Zwecks Darstellung einer eigenen Meinung „kämpft“ sie bis heute gegen die Fehmarnbeltquerung, ein Verkehrsprojekt, das schon tot geboren war, bevor es im Dezember 2018 vom Gericht der Europäischen Union für immer auf Eis gelegt wurde. Hagedorn ist zwar Mitglied der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, aber die nehmen jeden auf, auch Nato-Denkpanzer wie Niels Annen und Hartz-IV-Sanktionsverteidiger wie Michael Roth. Die Abgeordnete Hagedorn tut links, während sie linke Dinger dreht: Sie ist zweifellos eine mustergültige Sozialdemokratin.

Das blieb auch Schlz nicht verborgen. Als zumal auf sein Betreiben hin der neuerliche Pakt mit den Unionsparteien geschlossen und Schlz zur Roten Null vereidigt war, brauchte er eine Stellvertretung, die ihm bestimmt nie widersprechen würde. Also holte er Bettina Hagedorn im März 2018 als Parlamentarische Staatssekretärin ins Bundesfinanzministerium. Das war zugleich ein Zugeständnis an die nominell Linken der Fraktion. Die sich denn auch bis heute äußerst botmäßig verhalten, wenn Schlz seine bei Schäuble abgekupferten, durchaus antisozialen Etatpläne vorlegt bzw. von Staatssekretärin Hagedorn im Bundestag mit Argumenten verteidigen läßt, denen die CDU-Kollegen fraktionszwanglos applaudieren können.

Bettina Hagedorn hat, knapp vor der Verrentung, Schlz den Gipfel ihrer politischen Karriere (sowie einen prächtigen Pensionsanspruch) zu verdanken. Und weil sie wohl weiß, was sich bei solchen Geschäften gehört, läßt sie den Gönner nicht hängen, wenn er sie braucht. Und nun brauchte er sie, dringend, um seine Kandidatur zu legitimieren. Also brachte Hagedorn zum Ahrensböker Kreisparteitag am 24. August nicht nur einen jämmerlich schlichten, mit Selfies gepflasterten und auch sonst steineitlen „Rückblick auf die Wahlperiode ab Herbst 2017“ mit, sondern überdies einen „guten letzten“ Tagesordnungspunkt. Daß die Genossen im heimatlichen Bezirk den Schneid haben würden, sich der inzwischen annähernd weltberühmten (s. „Rückblick“) Parteifreundin zu verweigern, war etwa so wahrscheinlich wie sozialistische Politik mit einer SPD, in der Leute wie Schlz und seine Sekretärin etwas werden und bleiben dürfen. – Um aus Hagedorns 79 Seiten langer Selbstbeweihräucherung nur drei Abscheulichkeiten zu zitieren:

Es gibt absolut keinen Anlass, die „Schuldenbremse“ im Grundgesetz in Frage zu stellen. (S. 18)
Mit Kanzlerin Dr. Angela Merkel verstehe ich mich sehr gut. (S. 26)
Beim ersten Treffen (am Tag nach der Europa-Wahl) durfte ich Olaf Scholz im Vatikan […] vertreten.Papst Franziskus besuchte uns zu einer Sonderaudienz. Das war nicht nur sehr spannend, sondern fühlte sich auch ein bißchen ‚historisch‘ an. (S. 27 ff.)

***

Auf jeden Fall historisch – im Sinne parteigeschichtlicher Kontinuität – fühlt sich der Filz an, in dem Hagedorn eingewickelt ist. Wahrlich Tradition hat in der SPD das Taktieren mit Gefälligkeiten und Abhängigkeiten, wie es in den Details der Schlz‘schen Brachialkandidatur kenntlich wird.

Und was man wohl noch fragen darf –: Solch ein Statthalter des Status quo will die SPD erneuern? Solch ein Minibonaparte, der es nicht mal für nötig hielt, in Ahrensbök leibhaftig aufzutreten und um Unterstützung zu werben? Der eine kadavergehorsame Adjutantin – die sich bei solchen Manövern nichts und auch sonst nicht viel denkt – beauftragte, hörige Parteisoldaten auf Linie zu bringen? Dieser weder soziale noch demokratische Apparatschik soll die Sozialdemokratie retten? Mit denselben Methoden, welche die SPD pfeilgrad dahin brachten, wo sie heute steckt, nämlich im Arsch?

Wer Schlz das zutraut, muß bekloppt, ein ostholsteiner Sozi oder ein Hauptstadtkorrespondent sein.

Im Schlußteil werden die Einordner eingeordnet – und der Blogger wird verraten, auf wen er als kommenden Sozenpapst wettet.
Aber nur, wenn Sie diesen Blogpost in den asozialen Medien Ihrer Wahl fleißig teilen! Der Schmutz, der hier – und nur hier – steht, verdient es, verbreitet zu werden. Merci par avance.


Sonntag, 29. September 2019 0:23
Abteilung: Man schreit deutsh, Qualitätsjournalismus

8 Kommentare

  1. 1

    Wahrlich interessant… Das erste Mal, dass ich es tatsächlich etwas bedauere, um die asozialen Medien stets einen gro0en Bogen gemacht zu haben. Könnte man ihn nicht auch Fotzomat nennen, oder wäre das eine Beleidigung für die holde Weiblichkeit? Nein, ich glaube eigentlich nicht, zumal ich den Ausdruck dort mindestens genauso sparsam verwende, Aber es gibt sie eben doch, die weiblichen wie männlichen F*n.

    Na ja, das ist schon arg sexistisch. Besser: Fotznomat. Am besten: Schlz. KS

  2. 2

    Wiewohl ich grundsätzlich der Auffassung bin, daß es dem eigenen geistigen Wohl zuliebe besser ist, den hier porträtierten Scheißverein und seine Akteure einfach totzuignorieren, so las ich dennoch diese Philippika hier mit schizophrenem Genuß. Einerseits, weil sie mit amüsant zu lesendem sprachlichen Witz den vollen Kübel wohlverdienten Spotts über die inzestuöse Hinterzimmerpolitik dieses Nepotistenstadls schüttet. Andererseits liefert die Story jene Art von Investigation und Hintergrundaufklärung, die dem selbsterklärten Qualitätsjournalismus so völlig fehlt. Während sich jener in flacher und faktenfreier Hofberichterstattung ergeht, liest man hier die sarkastisch erzählte erhellende Geschichte von einem selbstherrlichen Soziopathen, der sich eine willige Frauenbegleitung rekrutiert und auf Basis von Gefälligkeitsschulden seiner Günstlinge beim tumben Claqueursvolk in der Prozinz das Plebiszit zur Selbstermächtigung ausstellen läßt. Mit diesem Plot produziert man andernorts 10-Teiler a la „Borgen“ fürs Fernsehen.
    Ich bin zwar nicht in den „sozialen Medien“ unterwegs, aber in einem beruflichen Umfeld, in dem Parteinarren aller Couleur die lukrativen Positionen unter sich ausschachern, während das angestellte Fußvolk dem Treiben verärgert und in Duldungsstarre zusieht. Ich werde dem Ruf des Autors folgen und diese Saga und ihre Botschaft dorthin weitertragen. Ein gerüttelt Maß an faktenbasierter Insubordination am Narrativ von den „Volksparteien“ und der „gelebten Demokratie“ schürt vielleicht den Unmut des Plebs und irgendwann jagen wir die ganze Bande von „Andenpakt“ bis „Seeheimer Kreis“, oder besser noch, die ganze Nomenklatura, dann hoffentlich zum Teufel.
    Achja: Diese eitle Selbstverherrlichung der Frau Hagedorn mit Eigenlobhudelei und fast 200 feschen Bildern ihrer selbst ist zwar wirklich fremdschämpeinlich, aber ich kenne solche Posershows durchaus schon aus dem Umfeld, in dem ich mich (leider) bewege. Die Dame ist absolut repräsentativ für diese politische selbstverliebte Filterblase, wo sich Soziopathie und Narzissmus wunderbar vereinen.
    Für den Fakteninhalt und die gelungene Präsentation ziehe ich meinen Hut. Exzellent, Sir! I will stay tuned!

    Der Autor bedankt sich für das Lob und Ihren Willen, das Wort zu verbreiten. Ich bin übrigens gottfroh, mit eitlen Nullen wie Schlz und Hagedorn nicht auch noch leibhaftig umgehen zu müssen. Sie haben mein aufrichtiges Mitleid. KS

  3. 3

    Grandios. Vielen Dank für die Recherche und die überaus gekonnte und amüsante Aufarbeitung.
    Vielleicht haben der Schlz und Gwtz ja mit der Hgdrn nebenbei noch einen Plan B klargemacht: Falls die Kandidatur nicht zum gewünschten Erfolg führt, dürfen sie in Ahrensblök eine Riesentierproduktionsanlage aufmachen. Die Gwtz machts Geflügel und der Schlz die Ferkel.

    Das wär schon möglich. Aber wie ich den Schlz kenne, will der die Alleswurst machen. – Merci fürs Lob! KS

  4. Ich bin kein Roboter
    Sonntag, 29. September 2019 23:07
    4

    Chapeau, was für ein herrlicher Text, ein Genuss!
    Danke!
    Vor allem beim Monolog „SPD-Sierksdorf“ hatte ich wahrlich ein „Theaterstück im Kopf“ *lach*

    Kommentare wie Ihrer geben mir das sehr schöne Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben. Vielen Dank! KS

  5. 5

    Ohje, jetzt habe ich mal Hgdrns Eigenlobhudel-pdf angeschaut. Das Porträtfoto!!! *schockemoji* Sie ist eine Slitheen!!! *superschockemoji*
    https://villains.fandom.com/wiki/Blon_Fel-Fotch_Passameer-Day_Slitheen

    Oh, ist das hinreißend! Wenn ich DAS Photo bloß vorher gekannt hätte! – Aber hinterher ist genauso komisch. Grazie mille! KS

  6. 6

    Ich hoffe, Sie haben jetzt nicht noch gemeiner gedacht als ich. Ich zumindest dachte bei Frau Hgdrn nicht an eine Slitheen in Originalgestalt, sondern an die körperfressermäßig von einer Slitheen gekaperte Margaret Blaine, gespielt von der wunderbaren Annette Badland.
    Die Slitheen-Episoden gehören übrigens zu den lustigsten Doctor-Who-Folgen, nicht zuletzt, weil die Aliens, wenn sie in menschlichen Körpern stecken, dauernd furzen müssen, hier liebevoll von einem Fan zusammengestellt:
    https://www.youtube.com/watch?v=4h95wKVz3-g

    Lieber Peter Remane – in „Doctor Who“ bin ich ganz schlecht. Das heißt, ich kenne mich so gut wie null in diesem Kosmos aus und habe deshalb tatsächlich noch gemeiner gedacht als Sie. – Die Slitheen-Kompilage freilich erhellt mich (und hat außerdem schön primitive Gags); und ich kann nur sagen: Ich finde die humanoide Slitheen (Annette Badland) um einiges menschlicher als Hagedorn. Um vieles! KS

  7. 7

    Mir liegt ein Schreiben eines SPD-Ortvereinsvorstands vor, der auf explizites Bitten der orientierungslosen und überforderten Wahlschafe im Ortsverein diesen eine Empfehlung ausspricht. Die Basis will wissen, was sie wählen soll und der Vorstand erwägt:
    1. Die Kandidaten sollen für einen klaren sozialdemokratischen Kurs stehen und diesen im politischen Amt bewiesen haben.
    2. Die Kandidaten sollen bodenständig kommunalpolitisch verankert sein. Keine Theoretiker!
    3. Sie sollen Ost und West des Landes glaubhaft repräsentieren.
    Summa summarum mündet das in die Empfehlung für das Duo Pistorius/Köpping. Unabhängig von der Frage, was man von den Kriterien hält und für wie richtig, glaubwürdig und ernsthaft vertreten sie einem erscheinen mögen, steht dieses Denkmuster vermutlich für die Befindlichkeit des neoliberal havarierten Saftladens. Und es paßt so wunderbar zum Geiste des obigen Sitzungsprotokolls der „SPD-Sierksdorf“. Hier können Familien Kaffe kochen. Und achja, den empfohlenen Vorsitzenden wählen.
    Ich werfe also mal coram publico einen Tip in die Runde: Pistorius/Köpping. In der Gemütslage der SPD sind das etablierte, bedeutende Leute, die auch was hermachen.

    Sozialdemokraten, die nur auf Befehl eine Wahl treffen mögen – es ist ein Elend & Schande mit dieser SPD, nicht zu sagen. Danke für Ihren Bericht aus den Parteiinnereien! – Ich glaube, daß Sie mit Ihrem Tipp sehr gut liegen. Ich setze trotzdem auf ein anderes Favoritenduo. KS

  8. 8

    Hammergeil:

    https://www.youtube.com/watch?v=imVqF8Wrpk0

    Lieber Altautonomer, ja, stimmt, das haben Herr Böhmermann und seine Alliierten ziemlich gut hinbekommen – ABER, bitte!, wenn Sie mal wieder hier etwas verlinken resp. empfehlen wollen, dann schreiben Sie mindestens einen ganzen Satz zur Begründung. „Hammergeil“ ist mir und auch dem Admin zu wenig. Dies ist eine freundliche Mahnung. Peace! KS

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