Bored beyond belief (3): Endlich Sommer!

Beim Wettsingen an diesem Mittag hatte Dagmar den Amselmann mit seinem Fimmel fürs Atonale und Lothar, das Rotkehlchen, das lieber Robin genannt werden wollte, eindeutig in die Schranken verwiesen. Nein – sie hatte sie fertig gemacht. Plattgebügelt. Zer-schmet-tert! Ein Bad in der Sonne hatte sie sich mehr als verdient.

   Eine Weile plierte die Singdrosselin aus dem nackten Geäst der schiefen Kiefer nach dem nettesten Platz auf dem Rasenfleck. Dann flatterte sie hinab aufs Gras, dem es leider gar nicht gut ging, weil die Kiefer tod-
krank war und pfundweise saure Nadeln abwarf.

   Singdrosseln, zumal die Weibchen, hegen als Hobby die Architektur, aber Dagmar, die auf Traditionen pfiff – mit sehr schönen Tönen –, interessierte sich mehr für Botanik. Doch weil sie auf Strauchgewächse spezialisiert war, konnte sie der FRAU, die oft ihre Not über die Giftnadeln klagte, keinen Rat erteilen. Ja, wenn es in dem kleinen Garten Himbeeren oder wenigstens einen Forsythienstrauch gegeben hätte! Da hätte Dagmar Wunder bewirken können.

   Im Moment freilich war ihr das Botanische egal. Sie blinzelte in die Junisonne und plusterte sich auf, damit es unter den Federn ange-
nehm warm würde. Weit weg, vielleicht in der Eichen-dorffstraße, trällerte eine andere Singdrossel etwas Hübsches, allerdings komplett Belangloses. War das Herbert, ihr Onkel? Oder Johann, der Vater ihrer Lieblings-
cousine Steffi?

   Weil Dagmar im Sonnenschein, mild von einer Nordwestbrise gefächelt, schläfrig geworden war, fiel ihr erst nach einer langen Weile auf, daß der Papa einer Cousine natürlich auch ein Onkel ist. Aber Steffi hatte ihr gesteckt, welch ein pedantischer Spießer Johann war, und damit hatte Dagmar – als große Künstlerin ein ebenso großer Freigeist – jedes Recht der Welt, diesen Onkel einfach zu vergessen.

   Sie nickte ein und träumte mit offenen Augen. Eine Heerschar von Ornitho-
logen hatte sich unter der alten Eiche versam-
melt und erwartete ehrfürchtig ihren Auftritt: Dagmar, das erste singende Singdrossel-
weibchen! Der Amselmann, dieser eitle Geck, zierte sich freilich noch, seinen Bühnenast für sie zu räumen. Nun begannen die Vogelkundler zu zischen und zu zetern, einige sammelten sogar Eicheln auf und warfen damit nach ihm. Der Amselmann nahm endlich Reißaus und hielt beim Abflug vorsichtshalber den Schnabel. Kaum war er verschwunden, schwebte Dagmar wie eine Feenkönigin aus der Baumkrone herab auf den Bühnenast. Sie verneigte sich anmutig und eröffnete ihr Konzert mit einem zweitaktigen Leitmotiv in A-dur, das …

   Ein dumpfes Plumpsen weckte Dagmar aus dem Tagtraum. Nur wenige Zentimeter neben ihr war ein Kiefern-
zapfen herab-
gestürzt, ein riesiges Ding, halb so groß wie sie selbst. Die Drosseldame vergaß vor Schreck, daß sie fliegen konnte, und rannte zum Rhododendron, um nach Deckung zu suchen. Ihr Herz raste geradezu – im Sechzehnteltakt, erkannte die Komponistin in ihr.

   Und dann hörte sie das Gelächter. Sie sah hinauf zur schiefen Kiefer und entdeckte Ulf, das Eichhörnchen mit dem schäbigen Charakter, und Rotkehlchen Lothar. Diese Halunken! Lothar war natürlich viel zu schwächlich, um mit Kiefernzapfen zu werfen. Aber ein Eichhörnchen, zumal einen Rüpel wie Ulf, zu Schandtaten anzustiften, war Lothars leichteste Übung. „Ihr blöden Wichser!“ wollte Dagmar schreien, doch sofort wurde ihr klar, daß sie den beiden damit bloß einen Gefallen getan hätte. Eine wahre Künstlerin, dachte sie, muß über der Eifersucht und der Ignoranz des Pöbels stehen. Und sie würde bestimmt eine Gelegenheit finden, sich zu rächen.

   Also schüttelte die Singdrosselin ihr Gefieder, breitete die Schwingen aus und flog mit einem hinreißenden Triller, der das Gegacker von Lothar und Ulf mühelos übertönte und den man bestimmt noch im Hirschpark vernehmen konnte, hinauf in den Sommerhimmel.

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