Archiv für die Abteilung 'Erzählungen'

Director’s Cut (1): Das letzte Bild

Sonntag, 24. Juni 2012 23:30

Die Serie „Director‘s Cut“ versammelt Texte von mir, die bereits vor Jahren, aber nie in ihrer ursprünglichen Form erschienen sind. Hier sind sie endlich so zu lesen, wie sie mal gedacht waren, bereichert um Szenen oder Exkurse, die einst an den engen Grenzen des Layouts scheiterten, beschnitten um Sätze und Formulierungen, die dem Autor heute eher peinlich sind. Für jede Neupublikation gibt es einen Grund – heute lautet er selbstverständlich Europameisterschaft.

 

Für Fynn

Oma Heidi hatte Martin heimlich 20 Euro für die Kirmes zugesteckt. Doch außer einer Fahrt mit dem Autoscooter und einem großen Erdbeersofteis gönnte er sich dort nichts. Er brauchte das Geld für etwas Wichtigeres – wichtiger sogar als die Wilde Maus und das Augenschmelzen. Dabei foppte man mit Sonnenblitzen aus kleinen Spiegeln die Leute am Schießstand: ein Heidenspaß, auf den Martin sonst nie verzichtet hätte. Zumal an diesem Nachmittag keine Wolke am Himmel stand. Aber in gewisser Weise ging es um Leben und Tod, und damit spaßt ein Zehnjähriger ebenso wenig wie ein Erwachsener. Während seine Freunde Sven und Jens-Peter nach taktisch günstigen Plätzen suchten, huschte Martin durchs Gewühl davon.

   In der Tankstelle an der Möllner Landstraße schob sonntags Herr Beltz Dienst, ein grimmiger alter Mann mit pechschwarzen Haaren und Spitzbart, vor dem Martin normalerweise gehörig Schiß hatte. Aber nicht heute: Mit einem Vermögen von 17 Euro im Brustbeutel kam der Junge sich unantastbar vor. Martin baute sich vor der Kasse auf, Beltz schaute herab und fragte: „Schon wieder Sammelbilder?“ Martin nickte, und der Tankwart reichte ihm den Karton mit den Stickertüten herunter: „Ist ja hoffentlich dein Geld, das du verschwenden willst.“

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Bored beyond belief (3): Endlich Sommer!

Freitag, 22. Juni 2012 15:28

Beim Wettsingen an diesem Mittag hatte Dagmar den Amselmann mit seinem Fimmel fürs Atonale und Lothar, das Rotkehlchen, das lieber Robin genannt werden wollte, eindeutig in die Schranken verwiesen. Nein – sie hatte sie fertig gemacht. Plattgebügelt. Zer-schmet-tert! Ein Bad in der Sonne hatte sie sich mehr als verdient.

   Eine Weile plierte die Singdrosselin aus dem nackten Geäst der schiefen Kiefer nach dem nettesten Platz auf dem Rasenfleck. Dann flatterte sie hinab aufs Gras, dem es leider gar nicht gut ging, weil die Kiefer tod-
krank war und pfundweise saure Nadeln abwarf.

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Abteilung: Bored beyond belief, Erzählungen, Timmis Freunde, Unerhört nichtig | Kommentare (0) | Autor:

Timmi und die Arkonigel (2)

Sonntag, 17. Juni 2012 0:15

Was bisher geschah.

Etwas ärgerlich weckte ihn Konrad. „Du bist mir ein feiner Komplize“, sagte er, und seine Piepsstimme klang erschreckend. (Nun ja, vielleicht für eine andere Maus.) „Was hast du mitgebracht?“ fragte Timmi, blitzschnell hellwach. – „Erst den Käse!“ – „Nein“, sagte Timmi, „erst das Buch!“ – „Den Käse!“ – „Das Buch!“

   So ging es einige Zeit und immer lauter hin und her, bis der Amselmann, der in der alten Eiche an der Straße wohnte, sich mit einem Zorngesang meldete, weil die Kraucher einen solchen Krach veranstalteten. Andere, ernsthafte Bürger müßten früh raus und hätten ja wohl verdient, in der Nacht ruhig schlafen zu dürfen! Konrad und Timmi pfiffen beziehungsweise schnauften zurück, der feine Herr solle bloß den Schnabel halten, es sei ja kaum auszuhalten, was er in letzter Zeit gesungen habe. Denn der Amselmann hatte kürzlich ein Faible für die Zwölftonmusik entdeckt, und mit solchen Tönen sind einfache Säugetiere maßlos überfordert.

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Abteilung: Erzählungen, Timmi und die Arkonigel | Kommentare (2) | Autor:

Timmi und die Arkonigel (1)

Samstag, 9. Juni 2012 13:00

Erstes Kapitel
In dem Timmi mit Konrad verhandelt und einige Störungen passieren

Wie jedermann weiß, können Igel von Geburt an lesen, und sie tun das sehr gern. Sie haben auch viel Zeit dafür, denn mit dem Schreiben tun sie sich schwer. Manche sagen, das liege an der Phantasielosigkeit der Igel, aber das ist eine Lüge und außerdem eine Gemeinheit. Es ist vielmehr so: Igel haben sehr dreckige Pfoten, das kommt von ihrer Jagd auf Würmer und Käfer, und außerdem liegen an den unmöglichsten Stellen Mäuseköttel. Sobald sie etwas niedergeschrieben haben, schämen sie sich gleich, weil überall auf dem Papier Flecken von Graswurzeln und faulem Laub zu sehen sind. Dann knüllen sie den Fetzen schnell zusammen und fressen ihn auf. Igel haben ziemlich oft Bauchschmerzen.

   Warum Igelbabys kaum die Äuglein öffnen und sogleich jeden Buchstaben lesen können – sogar die Hieroglyphen aus China, die aussehen, als würden sich in ihnen weitere geheime Zeichen verstecken, die allein dem Kaiser in Peking und seinen Mandarinen bekannt sind –, weshalb also die stachligen Gesellen ein Naturtalent für Lettern haben, ist nicht bekannt. Die Igel könnten vielleicht was dazu sagen. Aber sie reden eher selten, und wenn doch, dann klingt das wie ein dicker Mann, der mit einem Sonntagsbraten im Bauch auf dem Sofa eingeschlafen ist und bei jedem Atemzug schnorchelt vor Behagen. Mit solchen Geräuschen können Tierforscher nicht viel anfangen. Darum zucken sie etwas beleidigt mit den Achseln, wenn einer sie nach den kleinen Leseratten, Entschuldigung: -igeln fragt.

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Abteilung: Erzählungen, Timmi und die Arkonigel | Kommentare (0) | Autor: