Grundgesetzleugner. Eine Revue (3): Entr’acte

 

Die Verständigung der Menschen geschieht im Kauderwelsch der Politik;
der Wille der Menschen beugt sich unter abstrakte Paragraphen;
das Rückgrat der Menschen paßt sich verkrümmten Uniformen an.
Erich Mühsam: „Appell an den Geist“ (1911)

Ein „Abfall“-Leser, der mein Blog nicht mehr mag, weil ich seiner Meinung nach „abgedreht“ bin, fragt zum Abschied, wie, bitteschön, ich mir einen angemessenen Umgang mit der Corona-Seuche vorstelle. Nun ja: nicht so.

Nicht mit Zwangstests und Gesichtslappenpflicht für kerngesunde Kinder. Nicht mit „Maßnahmen“, auf deren verläßliche, in Feld- und Kohortenstudien erfolgte Evaluierung die Republik seit einem Jahr vergeblich wartet. Nicht mit der Entmündigung und Pauschalverdächtigung der Staatsinsassen. Nicht mit Panikpornos, Schwarzer Pädagogik, Hypermoral, Kriegsrhetorik und Hysterie. Nicht mit einer „Solidarität“, die zu unsolidarischem Verhalten ermuntert, Umgangsregeln, die den Umgang untersagen, und Durchhalteparolen, die vor lauter Widersinn bersten.

Denn „Abstand halten heißt“ eben nicht „zusammenhalten“, sondern: Abstand halten. „Wer sich selbst schützt, schützt“ nicht „andere“, sondern: sich selbst. „Social distancing“ ist das Gegenteil von: sozial. Ein Virus kann nicht „besiegt“, es kann im besten Fall abgewehrt werden. Und wer bei einer Erkrankung der Atemwege den Befehl erläßt, „die Pobacken zusammenzukneifen“, muß den Arsch gewaltig weit offen haben.

Derselbe Seuchenfeldherr beschied auch, daß Kritik an den „Maßnahmen“ Verrat sei, Lebensfreude ein Verbrechen, blinder Gehorsam hingegen erste Bürgerpflicht:

Das alles geschieht nur, weil wir Menschen uns nicht mehr an diese Regeln halten. Und es ist einfach wirklich rücksichtslos und auch fahrlässig, wenn man wilde Partys feiert in irgendwelchen Großstädten und vielleicht zu Tausenden dort zusammen ist.“ […]
Diese Regeln werden wir noch monatelang einhalten müssen“, so Lothar Wieler: „Die müssen also der Standard sein. Die dürfen nie hinterfragt werden. Das sollten wir einfach so tun.“
Deutschlandfunk, 28.7.2020

Mit vernünftiger, nüchtern erwogener Therapie einer Epidemie hat das alles nichts zu tun, vielmehr mit Verhöhnung des Bürgers und seiner Rechte, mit Inkompetenz plus Machtbesoffenheit, mit galoppierendem Autoritarismus und überschnappender Propaganda. Eine Gesellschaft, die seit mehr als einem Jahr behandelt wird, nein: die sich seit mehr als einem Jahr „einfach so“ behandeln läßt, als gäbe es – im bösen Sinn Margaret Thatchers – keine Gesellschaft, sondern nur Willige oder Querulanten, Ergebene oder Defätisten, Gläubige oder Sünder, ist in der Tat nicht länger eine Gesellschaft; sie ist allenfalls eine Masse atomisierter, buchstäblich gesichtsloser, weil maskierter Subjekte, die sich fügen, doch nicht verbinden sollen.

Unter dem Vorwand, Leben zu retten, maßen Regenten und Ämter sich je mehr Rechte an, je weniger sie den Objekten ihres Handelns lassen. Ob die Amtswalter tatsächlich, nachweislich Leben retten, wenn sie Gesichtslappen auf Parkplätzen, nächtliche Ausgangssperren, Besuchs- und Berufsverbote verhängen, möchten sie gar nicht und soll auch sonst keiner wissen, denn die Weisheit der Obrigkeit darf nie hinterfragt werden: Welcome back to the 17th century!

Wo aber die Staatsgewalt sich anmaßt, noch den letzten Rest Privatleben der ungefragt Verstaatlichten zu regeln, wo die Würde des Menschen von einem universalen Wert zum Konjunktiv verkommen ist, da sind die pseudoliberalen, scheinlinken Blender sogleich zur Stelle, die Speichellecker des Status quo, diese seit Anbeginn der Zivilisation immergleichen Modeschwätzer, und unterbreiten der Herrschaft Ideen zur weiteren Anmaßung.

Der Philodoof Richard Precht zum Beispiel macht derzeit Furore mit seiner Wahnvorstellung eines Staates, in dem die Untertanen zwei „soziale Pflichtjahre“ absolvieren müssen, eines nach Schulabschluß, eines während der Rente. Denn das treibe den Leuten die Flausen aus und bewahre sie vorm Bösen:

Hat aber der neue Reichsarbeitsführer Precht jemals auf einer Intensivstation gearbeitet? Und falls nicht – täte er es, am besten ab morgen, um als gutes Beispiel voranzuschreiten?

Selbstverständlich nicht, denn dann hätte der bigotte Schmock ja keine Gelegenheit und Zeit mehr, seinen nationalsozialen Schwachsinn zu vermarkten.

***

Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich mich irre; ich irre durch jeden Tag. So aber geht’s auch jedem anderen Menschen, und deshalb erwarte ich von den Lockdown-Regimentskommandanten mindestens den Willen, sich mit dissenten Argumenten ernsthaft und eingehend zu beschäftigen. Die pauschale Diffamierung aller „Maßnahmen“-Kritiker als „Coronaleugner“, „Covidioten“, „Coronazis“ ist kein Ausweis von Klugheit, schon gar nicht ein Argument, sondern blanke Ideologie, pure Hetze.

Wenn ich Lockdown, Testzwang und Maskenpflicht als „Voodoo-Politik“ bezeichne, habe ich Gründe dafür, die ich mir nicht einbilde, sondern den vorliegenden Daten entnehme. Zum Beispiel diesem Diagramm, das die Covid-19-Sterblichkeit in Schweden und Deutschland vergleicht sowie den Einfluß von Gesichtslappen und Visagentüten auf An- oder Abschwellen der Morbidität:

Quelle: Twitter/@ianmSC

Meine Skepsis gegen die „Maßnahmen“ ist nicht aus der heißen Luft in meinem Schädel gegriffen. Ich habe belastbare Gründe für mein Querulantentum. Ich polemisiere, weil mir die Argumente der Laptop-Lockdowner und Totenkerzenhalter fadenscheinig, unwissenschaftlich, paradox vorkommen, nicht weil ich so gern polemisiere. (Viel lieber lobe und preise ich, dergleichen läßt mich auch ruhiger schlafen. Zorn ist erheblich anstrengender als Freude.)

Doch selbst wenn meine Skepsis komplett unbegründet wäre – was kann ich denn anrichten, indem ich dem amtlich zertifizierten Narrennarrativ widerspreche? Was kann ein unzitierter Nischenblogger wie ich mit seiner Polemik schon ausrichten? Ich habe weder die Macht noch die Masse hinter mir, um die Realpolitik zu beeinflussen. Ich bin, was ich immer war: ein Repräsentant der Ohnmacht, und kein Wort, das trifft.

Jene aber, die „Zero Covid“, sprich: einem Lockdown, totaler und radikaler, als ich es mir vorstellen mag, das Wort reden, sind Kollaborateure der Macht, und sie erleben täglich die Erfüllung ihrer Wünsche. Daß sie die Staatsautorität beschwören und gar nicht genug Zwang und Verbot haben können, unterscheidet sie und mich in der Tat fundamental. Daß sie aus ihrer Sektiererverblendung heraus eine ungebildete, amusische, starrsinnige, gedankenferne Großkapitalmagd wie die Katastrophenkanzlerin mit solchen Twitter-Hashtags idolisieren –

daß sie nicht mal ins Grübeln geraten, wenn ein skrupelloser Vollblutpopulist wie Markus Söder sich ihre Forderungen aneignet, macht die „Zero Covid“-Fanatiker zu Knechten. Und mich zu ihrem Verächter. Aber irgendwelche Effekte hat meine Resistance nicht und wird sie nie haben. Mein Blog kommt, wenn’s hoch kommt, auf 500 Leser. Ein Coronafrontbericht der Tagesschau erreicht Millionen. Wo oder wie oder wem also wäre ich, im Ernst, gefährlich? Ich bin nicht mehr als ein Witz auf Kosten des Hauses.

***

Jedesmal wenn ich meine Opposition gegen das Seuchenregime im „Abfall“ bekunde, sorge ich mich, von den Protonazis der AfD zitiert zu werden; mir käme das vor wie eine Besudelung. Ich will weder mit den organisierten „Querdenkern“ noch mit Komplottrührern etwas zu tun haben. Daß die Schurken Ähnliches fordern wie ich, macht mich nicht zum Schurken, denn deren und meine Motive sind nicht mal entfernt identisch.

Ich halte sämtliche Verschwörungstheorien betr. SARS-CoV-2 für Blödsinn. Ich halte Covid-19 für eine Krankheit, die viele, vor allem alte Menschen stark gefährdet. Ich halte Impfungen, sofern der Impfstoff etwas taugt, für sinnvoll. Ich halte Hygiene, Vorsicht und Selbstbeschränkung in Zeiten einer Epidemie für unerläßlich.

Aber ich halte nichts von Angstmacherei, sinnfreien Verboten, von Diskriminierung und Scheinheiligkeit. Ich halte nichts von Leuten, die die faktische Ausschaltung des Grundgesetzes leugnen und von einem obersten Grundrecht phantasieren, welches besagen soll: Niemand darf sterben. Ich halte nichts von Typen, die der Herrschaft Carte blanche zum Kujonieren erteilen und noch den ärgsten Übermut der Ämter damit schönschwafeln, der Unfug diene dem „Bevölkerungsschutz“. Ich halte nichts von Figuren, die ihre Panik vor einer Ansteckung zur Staatsraison erklären, ohne geradeheraus zu sagen: „Ich habe einen Riesenschiß um mein Leben, und nach meiner Furcht hat sich alles zu richten.“

Die Heidenangst vor dem „neuartigen Coronavirus“ teile ich nicht. Trotzdem respektiere ich jeden, der zugibt, sich vor der Krankheit so sehr zu fürchten, daß er alle möglichen Schikanen in Kauf nimmt, um ihr zu entgehen. Sofern er nur zugibt, daß es ihm allein um die eigene Haut geht, sofern er sich bloß nicht als Retter der Menschheit aufspielt!

Jene jedoch, die ihre durchaus nicht altruistische, ihre durch und durch egoistische Angst als Basis eines neues Kategorischen Imperativs setzen und den Coronatoten Kerzen anzünden, an denen sich allein die Kerzenhalter wärmen (die Leichen können es ja nicht) – diese Meßdiener des Todes verstehe ich, so wie ich die Verharmloser des Virus verstehe. Doch genau deshalb mißtraue ich zutiefst ihrem plakativen, primitiven Moralismus.

Wie soll man mit jemand sachlich debattieren, der als Gesprächsbedingung einfordert, seine Dogmen ohne Vorbehalt zu akzeptieren? Der sich selbst genehmigt, mit Invektiven und Diffamierungen en gros zu operieren, aber jeglichen Widerspruch, gleich welcher Qualität oder Provenienz, sofort als „Haßrede“ abtut? Der die Fehler der eigenen Propheten als „natürlichen Prozeß der Wissenschaft“ kleinquatscht, die Irrtümer anderer jedoch als „Beweis“ für deren Inkompetenz hochstapelt?

Es ist möglich, daß ich schiefliege, daß die Schikanen, die ich Voodoo-Politik nenne, die Epidemie tatsächlich eindämmen. Weil aber, wie schon erwähnt, auch nach mehr als einem Jahr Stand-by des Grundgesetzes kein valider Beweis für die Nützlichkeit der „Maßnahmen“ vorliegt, erlaube ich mir, Sinn und Verstand des Lockdown-Diktats anzuzweifeln und Ablehnung zu äußern. Meine Sorge, auf dem falschen Fuß zu stehen, ist eher gering.

Es gibt mittlerweile zahlreiche solide Studien über die Verheerung, mit der die Voodoo-Politik einhergeht, über die Verwüstung der Menschen und ihrer Kultur, über die Grausamkeit zumal, unter der die Jüngsten zu leiden haben (und zwar tausendmal mehr als irgendsoein alter Sack wie ich). Die Brutalität, die Kindern seit Ausbruch der Seuche angetan wird, herunterzuspielen oder gar nicht erst sehen zu wollen, ist ein Schandmal aller Lockdown-Apostel, und es wird ihnen anhaften, so lange sie die Schändlichkeit ihres Tuns nicht einsehen.

Was soll denn aus Kindern werden, denen man immer und immer wieder einredet, sie könnten durch „Nachlässigkeit“, das heißt, durch normales kindliches Verhalten ihre Eltern oder Großeltern ermorden? Was wird aus Kindern, denen man Isolation als Gemeinschaftspflicht lehrt und den Wunsch nach lebendiger Nähe als Todsünde? Die ihre Natur verleugnen müssen zu einem Zweck, der durch Verleugnung der Natur niemals erfüllt werden kann? Es werden aus solchen Kindern vermutlich keine glückliche, gesellige, mündige Menschen. Sondern Abstandhalter, sozial Entfernte, die nie hinterfragen und Nachschlag verlangen, wenn sie Bullshit zu fressen kriegen.

Jener Leser, der mich nimmer lesen mag, unterstellt mir, ich sei „abgedreht“. Das Gegenteil stimmt. Ich stehe, wo ich seit Jahrzehnten stand, und beobachte traurig bis entsetzt, wie die Welt um mich sich verdreht. Wie sich Leute, die ich mal für radikale Linke erachtete, sich als autoritätssüchtige Eiferer entlarven. Wie sie sich selbst verraten.

Der große Dichter und Anarchist Erich Mühsam hatte das erste, er soll auch das letzte Wort haben:

Welche Ansicht der Mensch von den Dingen der Menschen haben darf, ist vom Staate abgestempelt. Einzelne Einrichtungen des Staates, besondere Maßnahmen darf er kritisieren, benörgeln, beschimpfen. Aber wehe dem, der der Fäulnis der Gesellschaft in die Tiefe leuchtet. Er ist verfemt, geächtet, ausgestoßen. An Mitteln fehlt es den Philistern nicht, ihn unschädlich zu machen: sie haben ihre „öffentliche Meinung“, sie haben die Presse. Wohl eifern auch die Organe der verschiedenen Parteien gegeneinander […]. Aber darin sind sie einig: der freie Gedanke, das freie Wort, die freie Sehnsucht darf keine Stätte haben in ihrem Revier. Ein breiter Graben zieht sich durch ihrer aller Lager; und in dem fließt der Strom, mit dem wir schwimmen müssen.


Wird fortgesetzt.


Dienstag, 27. April 2021 18:01
Abteilung: Man schreit deutsh, SARS-CoV-2, Selbstbespiegelung

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