Man schreit deutsh (1): Die Bier-Bewegung
Hat das ZDF die Übertragungshoheit für den EM-Spieltag inne, ist dem Dreck nicht zu entkommen. Nein, ich meine nicht die Müller-Hohenstein mit ihrem schaumweinsauren Dauerfrohsinn oder ihren mühsam die Nullworte zwischen den Bulldozerkiefern zermalmenden Kompagnon Kahn, obwohl die Zumutung durch dieses dämonische Duo eine der ärgsten ist. Der echte Dreck kommt vom Megasponsor Bitburger und versammelt so ziemlich alles, was es mir unmöglich macht, mich über Siege der deutschen Nationalmannschaft zu freuen. Obwohl ich gegen dieses Team inzwischen, nach drei Jahrzehnten Abscheu, gar nichts mehr habe – polyglott und arschgeigenarm, wie es sich heuer präsentiert, mindestens eine Million Lichtjahre entfernt von Knüppeln wie Andreas Brehme und Hans-Peter Briegel, von Unsportsmännern wie Harald „Toni“ Schumacher und Paul Breitner.
In dieser Mannschaft läuft niemand herum, den ich hassen könnte oder anspucken möchte, und wenn sie gewinnt, dann nicht aus Dusel oder dumpfem Wahn, sondern einfach, weil sie es draufhat. Aber zwischen meine Sympathie für das Spiel, das Joachim Löw ihnen beigebracht hat, und für die freundlichen Auskünfte, die die Spieler erteilen, stellt sich weiterhin das Gehabe der Fanatiker, das Dauergekeif eines Béla Réthy, das Schwarze, das Rote und das Goldene. Und genau darauf, aufs Eklige am deutschen Fußball, hebt der EM-Werbespot von Bitburger ab.
Er beginnt mit einer Rauchschwade in schwarzrotgold, durch die zwei junge Männer springen, als wären sie ihre Urgroßväter beim Sturmlauf auf Verdun. Als Musiksurrogat ertönt etwas, das Otto Waalkes mal „Uriniengesang“ genannt hat – ein spätromantischer Orchesterbrei mit wortlosem Jodelalt in der Oberstimme. Die Melodie tut auf getragen und erhaben, ist aber bloß derselbe postimpressionistische Ramsch, aus dem tonale Imperialisten wie Richard Strauß und Edward Elgar die meisten ihrer Stücke zusammengeklebt haben. Nun legt ein Sprecher los, der sehr nach Rolf Schult klingt, der verdienten deutschen Stimme von Robert Redford, Anthony Hopkins und Patrick Stewart. Aber es ist nur Schults Sohn Christian.
„Wenn aus Vorbereitung Begeisterung wird“, hebt er an, und dazu sehen wir sieben biersaufende junge Männer und eine Frau, die sich vor lauter Begeisterung auf die nackten Bäuche (das Fräulein aufs T-Shirt) die Buchstaben „MARIO VOR“ gemalt haben. Ob Gomez deshalb so gut trifft? Hoffentlich nicht. Nun sehen wir die Nationalmannschaft die Fallersleben-Hymne schmettern, und Schult fährt ergriffen fort: „Wenn aus elf Mann der größte Chor der Welt wird“. Schnitt auf die – selbstverständlich schwarzrotgold beklecksten – Zuschauer im Stadion, denen Haydns Melodie so leicht aus den Kehlen herausgurgelt wie zuvor das Bitburger hinunter.
„Der größte Chor der Welt“ ist natürlich nicht quantitativ gemeint – haben etwa die Polen ein Heimspiel, blöken mindestens genauso viele Patridioten ihre Hymne mit –, sondern qualitativ: Nichts ragt höher als das Lied der Deutschen, keine singende Truppe beeindruckender. Und wehe jedem, der da nicht mittun mag: „Wenn aus zuschauen Farbe bekennen wird“, knarrt Schult, und jetzt springen viele tausend Massenmännchen auf, die sich in Schwarz oder Rot oder Gold haben tunken lassen, und bilden aus ihren Körpern eine tribünengroße Deutschlandfahne. Diese Choreographie der Leiber zu stören, wird mindestens mit Bierentzug bestraft, eins auf die Fresse gibt‘s selbstverständlich gratis dazu.
In der folgenden Szene, zusammengesetzt aus lauter im Studio generierten Großaufnahmen, ist eine dynamisch von Özil vorgetragene Attacke zu besichtigen und endlich auch der Feind. Er trägt orange, was sonst. Özil paßt auf Klose, Klose schlenzt auf Müller, und der brezelt den Ball volley ins Tor der Moffen. Schult schmiert noch mehr Pathossalbe auf die Stimmbänder und spricht den zentralen Satz des Spots: „Wenn aus einer kleinen Bewegung ein Ruck durch Deutschland geht.“ Schnitt auf frenetische Deutsche im Stadion, in der Kneipe, beim Public viewing, in der Kommentatorkabine, im Wohnzimmer, und dazwischen ein wie tollwütiig seinen Jubel herausbrüllender Thomas Müller – zu dem diese Grimasse gar nicht paßt, aber vielleicht verträgt der junge Mann einfach kein Bitburger.
Das also ist aus dem berühmten „Ruck“ geworden, den Bundespräsident Roman Herzog 1997 mit diesen Worten einforderte: „Durch Deutschland muß ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen.“ Der politische Teil ist abgearbeitet – alle, die nichts hatten, haben jetzt noch weniger, alle, die sowieso Opfer des Kaputtalismus sind, durften was opfern, alle, die keine Macher sind, wurden mitgemacht. Nun ist der Überbau an der Reihe: Alle müssen sich anstrengen, damit die deutsche Nationalmannschaft den Feind aus dem Turnier ballern kann, alle sind angesprochen, die dritte Strophe mitzubrüllen, alle müssen das Opfer bringen, sich wie Vollpfosten zu kostümieren und zu bemalen, weil es jetzt um den Besitzstand eines EM-Titels geht.
Aber wie immer, sobald die weit mehr an Profit als ideellen Werten – zu denen auch der nationalistische Dumpfrausch zählt –, die viel inniger an Manipulation der Portemonnaies als an Stärkung der Untertanenseele interessierte werbetreibende Industrie so tut, als ginge es ihr um was Höheres denn um profanen Absatz, verwandelt sich der Betrug zum Schluß in eine Groteske, schlägt der Appell an die Volksgemeinschaft um in blanken Blödsinn, und der lautet so: „Wenn aus Bier Bitburger wird.“ So viel respektive wenig halten der Braukonzern und seine Reklamestrategen tatsächlich von den nationalistischen Maskeraden und Gefühlsausbrüchen der Deppen in den Stadien und auf den Fanmeilen: nichts als Begleitsymptome des Alkoholkonsums. Da gehört schlechtes Deutsch einfach zum guten Ton, wie stets, wenn‘s sehr deutsch wird, denn nimmer „geht“ aus einem Ruck eine Bewegung heraus, nicht mal durch deutsches Land.
Das wiederum ist das Schöne an der Dialektik der Massenverblödung: Gerade wo die Lüge besonders dick aufgetragen wird, offenbart sich in ihr eine Wahrheit. Sofern nämlich das Anmalen, das Auftakeln, das Absingen und das Aufspringen bloß dazu dienen, das Biertrinken zu befördern, sofern der „Ruck“, den ein Müller-Tor auslöst, in einer deutschlandweiten Bewegung Richtung Tresen beziehungsweise Kühlschrank besteht, sofern also die Nationalbesoffenheit gar nicht zu haben ist ohne Bierrausch, kann man sich schon denken, was an der chauvinistischen Droge dran ist: ein Mundgeruch, ein Blähbauch, ein Kopfweh.
Und wenn man sich die Hansnarren genauer ansieht, die sich dicke fühlen, nur weil sie ihrer Mannschaft beim Siegen zusehen und sich fürs Zugucken bemalt und verkleidet haben, wenn man diese armen Trottel hört, wie sie ernsthaft behaupten, sie hätten den ebenso klugen wie coolen Spielern Joachim Löws durch ihr Gebrüll geholfen zu gewinnen – wenn man das sieht und hört, dann weiß man auch, woher die Bitburger-Werbestrategen die Inspiration genommen haben für ihren Spot. Und verachtet die Strategen umso mehr für ihren Zynismus.
Inzwischen schaltet die Regie zurück zu dem Humorlosen und zu der Überdrehten auf Usedom, die man sich nicht mal mit einem 24er-Kasten Bitburger erträglich bechern könnte. (Warum aber das Talmipathos der Reklame und die seltsame Entscheidung des ZDF, seine gigantische Showbühne Hunderte Kilometer von den Spielorten entfernt zu errichten, gut zusammenpassen, erklärt sehr lesenswert Christopher Keil in der Süddeutschen.) – Bitte ein Flens!
Montag, 18. Juni 2012 15:20
Niemals, einst verehrter Herr Sokolowsky,
werden Sie eine deutsche Nationalmannschaft mögen können wollen. Egal welche Bierwerbung grade in Mode ist.
Grüße von Weitem
Aber die aktuelle Truppe gefällt mir wirklich ganz gut – die kann ich sogar mögen, ohne ein Bier zu trinken. Es kostet mich übrigens nicht unerheblich Überwindung, das öffentlich zuzugeben. KS
Montag, 18. Juni 2012 16:38
Danke,
man kann auch ohne Fahnen Schwäche zeigen …
ML