Alfred Brehm beschreibt den Dachs

DACHS (MELES TAXUS) […] Er lebt einsam in Höhlen, welche er selbst mit seinen starken, krummen Krallen auf der Sonnenseite bewaldeter Hügel ausgräbt, mit vier bis acht Ausgängen und Luftlöchern versieht und innen aufs bequemste einrichtet. Die Haupt-wohnung im Baue, der Kessel, zu welchem mehrere Röhren führen, ist so groß, daß er ein geräumiges, weiches Moospolster und das Thier selbst nebst seinen Jungen aufnehmen kann. […]

   Vorhölzer, welche nicht weit von Fluren gelegen sind, ja sogar unbewaldete Gehänge mitten in der Flur werden mit Vorliebe zur Anlegung dieser Wohnungen benutzt; immer aber sind es stille und einsame Orte, welche der Einsiedler sich aussucht. Er liebt es, ein beschauliches und gemächliches Leben zu führen und vor allem seine eigene Selbständigkeit in der ausgedehntesten Weise zu bewahren. […]

   In diesem Baue bringt der Dachs den größten Theil seines Lebens zu, und erst, wenn die Nacht vollkommen hereingebrochen ist, verläßt er ihn auf weitere Entfernung. In sehr stillen Waldungen treibt er sich während des Hochsommers auch wohl schon in den späteren Nachmittagsstunden spazieren gehend außen umher, und ich selbst bin ihm in der Nähe von Stubbenkammer auf Rügen am hellen, lichten Tage begegnet; solche Tagesausflüge gehören jedoch zu den Ausnahmen. […]

   Zur Zeit der Paarung lebt der Dachs mit seinem Weibchen gesellig, jedoch immer nur in beschränkter Weise; den ganzen übrigen Theil des Jahres bewohnt er für sich allein einen Bau und hält weder mit seinem Weibchen noch mit anderen Thieren Freundschaft. In alten, ausgedehnten Bauen drängt sich ihm zwar der Fuchs nicht selten als Gesellschafter auf; beide Thiere aber bekümmern sich wenig um einander, und der Fuchs haust sodann regelmäßig in den oberen, der Dachs in den unteren Röhren und Kesseln. […]

   Die Bewegungen des Dachses sind langsam und träge; der Gang erscheint schleppend und schwerfällig; nicht einmal der schnellste Lauf ist fördernd: man behauptet, daß ein guter Fußgänger Grimbart einholen könne. Das Thier macht einen eigenthümlichen Eindruck. Anfänglich meint man, eher ein Schwein vor sich zu sehen als ein Raubthier, und ich meine, daß schon eine gewisse Vertrautheit mit seiner Gestalt und seinem Wesen dazu gehört, wenn man ihn überhaupt erkennen will. An das Schwein erinnert auch seine grunzende Stimme. […]

   Merklichen Schaden verursacht der Dachs in Europa nicht, jedenfalls niemals und nirgends so viel, daß der Nutzen, welchen er durch Wegfangen und Verzehren von allerlei Ungeziefer im Walde und in der Flur uns bringt, jenen nicht reichlich aufwiegen sollte. Unter allen Mardern ist er der nützlichste und ein Erhalter, nicht aber ein Schädiger des Waldes: der Forstmann, welcher ihn zu vernichten sucht, sündigt also an sich selbst und an dem von ihm gepflegten Walde. […]

   Zu Ende des Spätherbstes hat sich der Dachs wohl gemästet. Jetzt denkt er daran, den Winter so behaglich als nur irgend möglich zu verbringen und bereitet das wichtigste für seinen Winterschlaf vor. Er trägt Laub in seine Höhle und bettet sich ein dichtes, warmes Lager. Bis zum Eintritte der eigentlichen Kälte zehrt er von dem Eingetragenen. Nun rollt er sich zusammen, legt sich auf den Bauch und steckt den Kopf zwischen die Vorderbeine (nicht, wie gewöhnlich behauptet wird, zwischen die Hinterbeine, die Schnauzenspitze in seiner Drüsentasche verbergend) und verfällt in einen Winterschlaf. Dieser aber wird, wie jener der Bären, sehr häufig unterbrochen. Bei nicht anhaltender Kälte oder beim Eintritte gelinderer Witterung, besonders bei Thauwetter und in nicht sehr kalten Nächten, ermuntert er sich, geht sogar zuweilen nachts aus seinem Baue heraus, um zu trinken. Bei verhältnismäßig warmer Witterung verläßt er schon im Januar oder spätestens im Februar zeitweise den Bau, um Wurzeln auszugraben und, wenn ihm das Glück wohl will, auch vielleicht ein Mäuschen zu überraschen und abzufangen. Dennoch bekommt ihm das Fasten schlecht, und wenn er im Frühling wieder an das Tageslicht kommt, ist er, welcher sich ein volles Bäuchlein angemästet hatte, fast klapperdürr geworden. […]

   Man fängt den Dachs in verschiedenen Fallen, gräbt ihn aus und bohrt ihn, scheußlich genug, mit dem sogenannten Krätzer an, einem Werkzeuge, welches einem Korkzieher in vergrößertem Maßstabe ähnelt, treibt ihn durch scharfe Dachshunde aus seinem Baue und erschießt ihn beim Herauskommen. Nur wenn er sich in seinem Bau verklüftet, d.h. so versteckt, daß sogar die Hunde ihn nicht auffinden können, ist er im Stande, der drohenden Gefahr sich zu widersetzen; denn seine Plumpheit ist so groß, daß ihm eine Flucht vor dem Hunde nichts helfen würde. Er sucht sich deshalb, wenn er in seinem Bau verfolgt wird, gewöhnlich dadurch zu retten, daß er still, aber mit großer Schnelligkeit sich tiefer eingräbt und hierdurch wirklich oft genug den ihm nachgehenden Hunden entzieht. […]

   Alt eingefangene, beim Ausgraben ihrer Baue erbeutete Dachse sind geradezu abscheuliche Thiere, jeder Behandlung oder Erziehung unzugänglich, faul, mißtrauisch, tückisch und bösartig. Sie rühren sich bei Tage nicht und kommen nur des Nachts zum Vorscheine, fletschen bei jeder Gelegenheit die Zähne und beißen den, welcher unvorsichtig sich ihnen nähert, in gefahrdrohender Weise. […]

   Der Nutzen, welchen der getödtete Dachs bringt, ist ziemlich beträchtlich. Sein Fleisch schmeckt süßer als Schweinefleisch, erscheint aber manchen Menschen als ein wahrer Leckerbissen. Die wasserdichten, festen und dauerhaften Felle, von denen, nach Lomer, jährlich 55.000 Stück im Werthe von 123.000 Mark auf den Markt kommen, werden zu Ueberzügen von Koffern und dergleichen verwendet; aus den langen Haaren, namentlich aus denen des Schwanzes, verfertigt man Bürsten und Pinsel; das Fett gebraucht man als Arzneimittel oder benutzt es zum Brennen.”

Alfred Brehm: Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 144-155

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Sonntag, 10. Juni 2012 14:54
Abteilung: Selbstbespiegelung, Unerhört nichtig

3 Kommentare

  1. 1

    Wo Brehm, oder zumindest sein Informant, irrte: „Man behauptet, daß ein guter Fußgänger Grimbart einholen könne.“ Letztes Frühjahr ist mir beim Radfahren ein Dachs begegnet. Schnurgerades Sträßchen, der Dachs mittendrauf, dann schnell die Böschung runter, als er mich bemerkt, und, so zwei-, dreihundert Meter, bis sich endlich Deckung fand, parallel zur Straße langgewetzt: in meinem Radeltempo von ca. 23 km/h auf ebener Strecke ohne Gegenwind. Das müßte schon ein sehr guter Fußgänger sein, der den einholt.

    Vielleicht hat Brehm den Meister Grimbart nur beim Futtersuchen beobachtet? Oder einfach mal geraten resp. geflunkert? – Um das Wettrennen mit dem Dachs beneide ich Sie inbrünstig! KS

  2. 2

    Ja, das mit dem Dachs war ein sehr erhebendes Erlebnis, davon war ich den ganzen Tag high. Das betreffende Sträßchen ist keineswegs eine idyllische, abgelegene Angelegenheit; keine 100 Meter entfernt verläuft parallel eine lärmende, vierspurige Schnellstraße, rundherum sind Wiesen und Felder, die mehr zur Gülleverklappung als zum Anbau von irgendwas zu dienen scheinen. Und um halb elf Uhr morgens rechnet man sowieso nicht mit einem Dachs, denn wie Brehm, diesmal korrekt, bemerkt: „Tagesausflüge gehören zu den Ausnahmen.“ Deshalb war das auch das bisher einzige Mal, daß ich Meister Grimbart in freier Natur begegnet bin.
    Was man mit dem Fahrrad auf demselben Sträßchen öfter erleben kann, sind Nahkontakte mit dem Rotmilan. Immer im Herbst werden direkt am Straßenrand knapp zwei Meter lange Stecken in die Erde gerammt, damit man die Straße auch bei viel Schneefall noch findet. Auf diesen sitzt gerne der Rotmilan; ob er von dort konzentriert nach Mäusen späht oder einfach nur über das Leben und das Rotmilansein sinniert, entzieht sich meiner Kenntnis. Zumindest auf die Straße achtet er nicht besonders, denn es geschieht recht häufig, daß er mich, heranradelnd, erst bemerkt, wenn ich schon direkt neben ihm bin, und dann, höchstens zwei Meter entfernt von mir, losfliegt. Interessanterweise klappt das nur, wenn er mich genauso überrascht wie ich ihn. Wenn ich ihn schon zwanzig oder dreißig Meter vorher bemerke, sieht er mich auch und schwirrt zeitig ab.

    Lieber Peter Remane, Sie legen es offenbar darauf an, mich RICHTIG neidisch zu machen auf Ihre Naturerlebnisse! Sie erzählen sie aber auch zu schön. Dafür (vor Mißgunst zähneknirschend) Dank. KS

  3. 3

    Wenn ich schön plastisch den Gülleduft schilderte, der dort regelmäßigst die Luft verpestet, wären Sie bestimmt weniger neidisch … Dafür erröte ich, wenn Sie mein Schreiben so loben. Es ist durch Ihres inspiriert!

    Womit wiederum Sie mir ein wenig Farbe auf die falben Wangen zaubern. – Der Güllegestank läßt Ihre Geschichte noch ein wenig phantastischer erscheinen, das hätten Sie getrost schon früher erwähnen dürfen. Anders als Sie glauben, wächst mein Neid bei der Vorstellung (hat allerdings bloß mit dem Anblick des wetzenden Dachsen zu tun). KS

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