Nullenquartett (1): Bernard-Henri Lévy



Zurecht haben sich einige Freunde des „Abfall“ bei mir beschwert, daß hier seit vielen Wochen ein Stillstand herrscht wie im Kopf von Annalena Baerbock.
Wohl habe ich für meine Bloglosigkeit Gründe, die mehr sind als Ausreden, aber das ändert nichts am Zustand. Und ich bin ja selber nicht glücklich damit. Um wieder etwas Leben in die Bude zu bringen, habe ich deshalb aus dem Manuskriptarchiv vier polemische Porträts, besser: Vignetten gekramt, die in den vergangenen zwanzig Jahren entstanden und mir, wie ich glaube, wohlgeraten sind. Sie liefern außerdem den Nachweis, daß – Kim von der Kimme hin, Luisa Schlaubauer her – die qual.mediale Aufblähung nichtiger Figuren zu Personen von welthistorischem Rang keine Erfindung unserer Neuestzeit, sondern seit je der Normalfall ist und die Angesagtheit eines Kopfes in direktem Zusammenhang mit seiner Hohlheit steht. Immer.
Den Anfang macht eine Glosse, die ich für KONKRET
5/2011
verfaßte. Einige neunmaldumme Lumpen aus der „Bahamas“-Rumpelkammer unterstellten mir seinerzeit antisemitische Motive. Sie, liebe Leserin, werter Leser, dürfen raten, wie die Spinner ihren Vorwurf begründeten – ich bin gespannt, ob Sie was finden werden.
K. S.

***


Ein Bombentyp

Wichtigtuerei ist ein unschöner Charakterzug, an Häßlichkeit nur übertroffen von Heuchelei und Rechthaberei, aber der eine kommt selten ohne die anderen. Der Freundeskreis des Wichtigtuers zeichnet sich durch Überschaubarkeit aus, denn er hat keine Freunde im engen Sinn, bloß Claqueure und Groupies. Ein Vertrauter, der ihm die Meinung geigt, fehlt weit und breit. Aber das macht dem Wichtigtuer nichts aus, denn er kennt ja nur eine Meinung, die zählt, und zwar die eigene. Daß er grundsätzlich eine Ansicht vertritt, die von den meisten geteilt wird, irritiert ihn übrigens nicht, geht er doch davon aus, die Masse richte sich nach seiner Pfeife aus, statt er, der Pfeifenheini, sich nach ihr.

Der Wichtigtuer du jour heißt Bernard-Henri Lévy. Man dürfte ihn selbst dann nicht für einen Philosophen halten, wenn er täte, was er nicht kann, nämlich schweigen. Trotzdem hält sich die Mär, dieser Quatschkopf, der im Leben noch keinen Satz geschrieben hat, der es wert wäre, disputiert zu werden, sei ein tiefer Geist. Es schadet ihm nicht einmal, daß er eine Satire von einer wissenschaftlichen Arbeit nicht zu unterscheiden vermag. In seinem Pamphlet Vom Krieg in der Philosophie entlieh er eine Attacke gegen Kant aus einem Buch, das offensichtlich purer Nonsens ist. Pah!, sagte Lévy, die Richtung stimme, er „erbeute Zitate ohnehin nach Piratenmanier“, und so kam er nicht mal auf die Idee, sich zu genieren. Freuds weise Erkenntnis, Schamverlust führe pfeilgrad in den Schwachsinn, manifestiert sich in Lévy paradigmatisch.

Die Triumphpose eines Trottels imponiert der Meinungsmaschine, die einen wie ihn so dringend braucht wie der Brechdurchfall den Zwieback. Zur Medientauglichkeit trägt er sein Mögliches bei: Der ungezähmte Schopf demonstriert wahlweise Löwenmut oder die übermenschliche Kraft eines Samson, und weil ihm ständig der Kragen platzt, trägt er das blütenweiße Hemd aufgeknöpft bis zum Nabel der Welt. Einem groben Mißverständnis zufolge, an dem er eifrig mitwirkt, gilt Lévy als Linker. Dabei ist er nichts weiter als ein sentimentaler Schwätzer, der „das Unrecht“ bekämpft, sofern man ihn dabei nur photographieren kann. So geschehen auch, als er im libyschen Bengasi Kontakt mit selbsternannten „Rebellenführern“ aufnahm und ihnen ein Rendezvous mit Frankreichs Präsident Sarkozy vermittelte. Der bekam den Vorwand, den er seit Wochen gesucht hatte, um den Menschenretter zu spielen und seine neokolonialen Projekte voranzutreiben, und zugleich dank Lévy das Ethikzertifikat, ohne das Kollateralschäden eventuell beim korrekten Namen genannt werden, und der lautet Mord.

Übrigens darf man annehmen, daß Sarkozy insgeheim genauso denkt wie sein Berater Henri Guaino, der gelegentlich verlauten ließ, „BHL“ sei „nichts weiter als ein kleiner prätentiöser Idiot“. Welcher sich nun brüstet, einen Krieg angezettelt zu haben, obwohl er kein Jahr zuvor im „Spiegel“ greinte: „Ein Krieg kann niemals ein Erfolg sein.“ Aber auf ein funktionierendes Gedächtnis kann der Wichtigtuer viel leichter verzichten als auf die Presse, ohne die er das Nichts wäre, das aus ihm quakt.


Freitag, 21. Oktober 2022 0:25
Abteilung: Director's Cut, Qualitätsjournalismus, Undichte Denker

8 Kommentare

  1. 1

    Ich bin auch für die Impfpflicht. Mit Sokolowsky. Danke für die Spritze, freue mich schon auf den nächsten Booster.

    Für die Nebenwirkungen übernehme ich, wie Pfizer und Moderna, natürlich keine Verantwortung. KS

  2. 2

    Ich habe mich vage erinnert, daß Levy auch in Tanger ein Haus hat und habe mal nachgeschaut, ob das stimmt:
    https://www.bloomberg.com/news/articles/2017-07-03/bernard-henri-l-vy-puts-7-million-tangier-mansion-on-the-market
    Ja, hatte er: Und wenn man dort in sein Innenleben sieht, hat man das, was Renzo Piano als „Purismus ist etwas für Feiglinge“ bezeichnet, also noch nichtmal Mut zum orientalischen Schnick-Schnack, der sonst solche Villen in Marokko dominiert.
    In dem Interview sagt er aber auch, er lebe hauptsächlich an drei Orten in der Welt – NewYork – Paris – Marrakech – und das hat er gemeinsam mit so ziemlich allen in Marokko extrem verhassten Reichen und Schönen. Dazu ein kleiner Exkurs: „Schwul“ ist man in Marokko auch dann, wenn man nicht schwul ist, sondern „hintenrum“, „link“ und irgendwie nicht ganz koscher, was die Sexualität angeht und dazu: reich. Dann zeigt man auf so jemanden: „Hey guck mal, da geht der Bernhard Levy!“ und das Gegenüber stösst einen an und zischt: „Du hast mit ihm nichts zu tun, das ist ein Schwuler!“
    Ich kenne keinen Reichen und Schönen, der andere Gründe als sexuelle Ausbeutung der Einheimischen im Sinn hat, um sich in Tanger oder Marrakech langfristig einen Haushalt zu leisten. Auch das Lesevergnügen mit Roland Barthes Essays lässt rapide nach, wenn man den kleine-Jungen-Schilderungen in seinem Tagebuch folgt: Sie denken ja wirklich, daß das „dem Araber“ tatsächlich Vergnügen bereitet: Exakt derselbe Schmarrn, der uns in den 68ern von pädophilen Linken verkauft worden war. Als Jude hätte Levy maximal in Esssaouira im jüdischen Viertel eine für einen Einheimischen seriöse Existenzberechtigung. Dort wird seit 10 Jahren das ehemals jüdische Viertel (die Mellah) renoviert und von israelischen Auswanderen zurückgekauft. Also im Sinn der Ahnen und Urahnen: Das geht immer. Aber nicht im „Bordell Marrakech und Tanger“.
    Man kann in Marokko in einer anständigen Familie noch nichtmal sagen, daß man dort nur auf der Durchreise gewesen war. Paul Bowles schreibt dazu: „Sie wissen über uns alles, wir wissen über sie nichts“. Herzlich Josi
    P.S.: Entgegenstehende Äusserungen der betreffenden Reichen und Schönen a la: „ich bin eng befreundet mit Mohammed und Ibrahim, sie kaufen meinem Hund täglich 22 kg Fleisch und helfen mir bei meinem nächsten Hauskauf-Deal, das sind sooo lieebe Menschen!“ kann man getrost ignorieren: Marokkaner wissen, was sie sagen müssen, sie sind die „weltbesten Psychologen“(O-Ton einer Freundin, die seit 38 Jahren bei internationalen Konferenzen übersetzt).

    Liebe Josi, das ist eine Ergänzung zu meiner Lévy-Polemik, wie ich sie mir gewünscht habe, danke! – Gewisse Vollhonks werden nun natürlich auch Sie als Antisemitin verbuchen, um sich nur nicht mit Ihren Anmerkungen zu reichen Weißen in Marokko befassen zu müssen. KS

  3. 3

    Tja, die Bahamas … Nennt man diese Richtung nicht mittlerweile „rechtsantideutsch“, was man wiederum, da „rechts“ und „anti“ zu kürzen geht, auf „deutsch“ reduzieren kann? Und zur höheren Ehre des Vaterlands schaffte es in der Ausgabe 88 ein Jonas aus Kassel, eine, die ihren Mördern entkam, als „ideale Auschwitzüberlebende“ für ein „sich als Antirassismus gebendes Islamappeasement“ zu beschimpfen, die „keinen Begriff vom Antisemitismus“ habe. Ganz im Gegensatz zum Jonas, der mit seiner Lehrstunde den Traum aller wieder gut gewordenen Deutschen erfüllte: den Opfern klar machen, dass sie nichts gelernt haben.

    Lieber Thomas Schweighäuser, danke für diesen Hinweis auf einen weiteren rechten Ausfall der „Bahamas“-Strandräuber! – Und an mein liebes Publikum abermals der dringende Aufruf: Lesen Sie Schweighäusers vorzügliches Weblog „Angenehm und widerwärtig zugleich“! Dieser Autor hat Ihre Zeit verdient, und er dankt es Ihnen mit brillanten Texten. KS

  4. 4

    Werter Herr Sokolowsky,
    das mit dem Antisemitismus sollte ja eigentlich nicht schwierig sein: Sie schreiben negativ über einen Juden. Und dann hat er auch noch Geld! Damit unterstützen Sie sofort das uralte und natürlich immer falsche Klischee des bösen, reichen Juden.
    Krieg ich jetzt ’nen Kex?

    Nur einen aus ungesäuertem Teig. Denn die „Beweisführung“ meiner Verleumder war NOCH hanebüchener als Ihre. KS

  5. 5

    Lieber Herr Sokolowsky,
    Lévy steht als Franzose und Jude für die Aufklärung, gegen die Sie urteutonische Ressentiments hegen? Erschwerend kommt Ihr Sozialneid auf des Philosophen-Fabios aufgeknöpftes Hemd hinzu, aka verkürzte Kapitalismuskritik?
    Was habe ich gewonnen, einen Welt-Volontariatsplatz?

    Zum Glück haben Sie nicht gewonnen. Bei der „Welt“ sind mittlerweile mehr „antideutsche“ Superdeutsche unterwegs als im „Bahamas“-Sumpfgebiet, und es gibt Gegenden, in denen man sich als integrer Mensch wirklich nicht aufhalten sollte.
    Doch ehe Sie, lieber Benjamin Schett, oder andere „Abfall“-Kunden weiterraten, plaudere ich jetzt aus, was mir als „antisemitischer Topos“ unterstellt ward: „Der ungezähmte Schopf demonstriert (…) die übermenschliche Kraft eines Samson“. Man muß schon einen Riesenknall haben (und eine Menge sublimierten Judenhaß), um auf so was als Indiz zu kommen. KS

  6. 6

    Lieber Herr Sokolowsky
    Ein selbst für einschlägige Verhältnisse bemerkenswert stark gequirlter Quark, danke für die Auflösung!
    Ob der Autor den ungezähmten Schopf per se für einen antisemitischen Topos hält oder den Verweis auf eine biblische Figur? Bzw. hätten Sie anstelle von Samson auf den ungezähmten Schopf von Aquaman verwiesen, dann wäre alles ok gewesen oder immer noch strukturell antisemitisch?
    Wollte man eine Antwort finden, man müsste wahrscheinlich nach Konsum einiger schwerer Getränke einen halben Tag lang den eigenen Kopf an die Wand hämmern und sich gleichzeitig aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus der Dialektik der Aufklärung vorlesen lassen.

    Lieber Benjamin Schett, eine nüchterne Antwort geht auch: Um mißliebige Autoren zu denunzieren, ist solchen Halunken keine Lüge und keine Unterstellung zu, wie soll ich sagen?, haarsträubend. KS

  7. 7

    Hallo Herr Sokolowsky,
    eine per Zufall entdeckte Ergänzung, die zeigt, dass Herr Lévy nicht erst in jüngerer Vergangenheit zum „Trottel in Triumphpose“ geworden ist, sondern schon viel früher:
    https://www.liberation.fr/checknews/2019/03/14/bhl-a-t-il-mis-en-scene-une-interview-dangereuse-a-sarajevo-en-1992_1714399/
    Kurz: BHL fährt als Reporter nach Sarajevo und inszeniert sich selbst als in Gefahr von Scharfschützen schwebend, während er sich in einer Sicherheitszone aufhielt.

    Lieber JonasA, danke für dieses Fundstück! Ihnen sollte aber klar sein, dass Sie ab sofort ein Antisemit sind, weil Sie BHL dabei erwischt haben, wie er sich hemmungs-, skrupel- und hirnlos als Retter der Welt vermarktet. KS

  8. 8

    Lieber Kay Sokolowsky,
    den Philosophensimulanten Levy sah ich neulich in einer Arte-Doku in der er sich für den Frieden in der Ukraine aufblähte. Unerträglich dessen stutzerhaft-trauerklötiges Gebaren und ein eindimensional-platter Sermon, der darauf schließen ließ, Analyse all dessen, das zu dieser Malaise führte, ist nicht so sehr seins; hingegen, maßgeschneidert durchs Kriegsgebiet zu latschen und nur das Nachpudern nicht vergessen, schon eher.
    Das ist halt allen Etappenhengsten gemein: Vorne steht die Infanterie mit massig Toten, und im Hinterland eruieren sie stündlich die Einschaltquoten ihrer Durchhalteparolen; dann zum Geschäftsessen.
    Dann doch lieber Balzac lesen.

    Oder – in diesem militanten Kontext – die Borodino-Kapitel in Lew Tolstois „Krieg und Frieden“. Sofern man das noch lesen darf, ohne sich verdächtig zu machen – der Autor ist schließlich ein RUSSE. Wird Zeit, daß die Bundesregierung hier einen Lektüreleitfaden veröffentlicht, man kennt sich ja nicht aus. KS

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