Round midnight: Was von Westerwelle bleibt

Beim Kombüsendienst am Abend höre ich das hier in den Nachrichten des Deutschlandfunks:

… Guido Westerwelle im Alter von 54 Jahren verstorben. Er lebte mit seinem Mann in …

„Mit seinem Mann“ –: Diese Formulierung, unbefangen geäußert in einem gewiß nicht gegenkulturellen Medium, zählt zu den wenigen, den echten Fortschritten der neuesten Zeit.

Zur Entspannung beim Umgang mit Homosexualität (jedenfalls in Westeuropa), hat der schwule Vizekanzler Westerwelle, so gut er es verstand, offenbar etwas beigetragen. Nämlich als Inspiration zu einer unverklemmten Radiomeldung; und dafür darf man sich des Menschen gern erinnern.

Ohne je zu vergessen, wie der Politiker – vielleicht zum Ausgleich, vielleicht um die Philister unter den Klienten zu beruhigen – degoutante Kreativität entfesselte, wo es galt, arme Schlucker zu diffamieren („spätrömische Dekadenz“) oder den Förderern seines Wahlvereins Dank zu erstatten auf Kosten der Allgemeinheit („Hotelsteuer“).

Ein Mensch – das nehme ich an, weil ich weiterhin generös gegen den Guidomobilmann gestimmt bin –: Ein Mensch kann in seinem Leben maximal einen einwandfrei idealistischen Kampf führen, und er vergißt, ich kenn mich da aus, darüber viele entscheidende Dinge. Das macht den guten Kampf allerdings nicht schlecht.

PS. Vielleicht bin ich auch deshalb so nachsichtig mit Westerwelle, weil einer wie er, neben Wirsinddasvolksvertreter wie Höcke oder Gauland gestellt, die erste Wahl wäre: ein Liberaler nicht zuletzt im Umgang mit dem politischen Gegner. Und ich werde die Ahnung nicht los, daß wir gelernten Guido-Spötter bald schon alle die alte Westerwelle-FDP vermissen werden; und zwar um so schmerzlicher vermissen, je schamferner und gemeiner deren Nachfolgeorganisation AfD sich spreizt.

2 Kommentare

  1. 1

    Als Mensch ruhe er in Frieden. Als Politiker war er Personal, aber nicht meins. Das Personal sollen mal die beurteilen, die es sich halten. Ich mach mich doch nicht zum Gysi und spiele den Kaplan.

    Was Gysi – wenn ich noch lesen kann – aber auch nur deshalb getan hat, weil er W. etwas näher kannte als Sie und ich. KS

  2. 2

    Daß Guido Westerwelle die Zugehörigkeit zu seinem Mann so offen zeigte, bewies Rückgrat, aber ich fand’s eigentlich nie sonderlich bemerkenswert. In dieser Hinsicht ähnlich offen trat zum Beispiel ja auch der bekennende Männerfreund Ernst Röhm auf, und das in einer wesentlich weniger liberal geprägten Umgebung. Aber dieser Herr war – und das ist möglicherweise ein Widerspruch, da streiten sich die Gelehrten noch – gleichzeitig auch ein bekennender Nazi; Westerwelle dagegen war ein bekennender bürgerlich-liberaler Demokrat. Und wenn er seine liberalen Werte einigermaßen glaubwürdig vertreten wollte, dann blieb ihm kaum anderes übrig als to come out of the closet. Ich kann mir allerdings schon ganz gut vorstellen, daß der FDP-Mann dafür in seiner weniger liberal gesinnten politischen Umgebung einiges an Häme zu ertragen hatte. Auch wenn die wohl eher hinter seinem Rücken als offen geäußert wurde. Denn diesem machtbewußten Mann dämlich beziehungsweise homophob zu kommen, werden nur wenige Hohlköpfe gewagt haben. Zur Entspannung im Umgang mit schwulen Männern hat Westerwelles öffentliches Beispiel jedenfalls wohl wirklich einiges beigetragen. Und das rechne ich ihm wie du hoch an.
    Für das meiste, was ich ihn sonst so frisch und fröhlich vom freidemokratischen Podium krähen hörte, hab ich ihm natürlich mehr als einmal die Pest an den Hals gewünscht. Als er sie dann wirklich dort hatte, tat er mir leid. Er krähte ja nun nicht mehr, und sein Gesicht sah am Ende nicht nur todkrank und elend müde aus – das hab ich natürlich nur in den Medien gesehen –, sondern es hatte auch seine Machtmenschen-Maske verloren. Durch sein Leiden erschien mir der Mann auf einmal so menschlich wie nie vorher. Das mag ziemlich sentimental klingen, aber so hab ich’s empfunden.
    Und jetzt frag ich mich, ob ich wohl ähnlich sentimental empfände, wenn Höcke, Gauland & Co plötzlich und unerwartet von irgendwas Unheilbarem dahingerafft würden. Ich fürchte, daß sich da mein Mitgefühl in äußerst engen Grenzen hielte; es wäre wahrscheinlich ähnlich gering wie das fürs frühe Hinscheiden eines ihrer Vorgänger. Und mit dem mein ich nun nicht den Mann Guido Westerwelle, sondern den schwulen SA-Chef und Hitler-Duzfreund. Denn daß du in deinem freundlichen Nachruf die bräunlichen Pestbeulen von der AfD quasi im Vorbeischreiben zur Nachfolgeorganisation des ehemaligen Guidomobilisten-Vereins befördertest, finde ich, nun ja, mindestens so stark wie meinen möglicherweise etwas wackeligen Röhm-Westerwelle-Vergleich.

    Noch ein Gutes über Guido W.: Er war nicht Christian Lindner. KS

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