Soko knows best

Es gibt zwei Kategorien von Menschen – die einen sind Besserwisser, die anderen wissen es besser. Zu welcher Kategorie ich mich selber zähle, können Sie, liebe Leserin, werter Leser, sich sicherlich vorstellen. Ich kann aber auch belegen, warum ich so furchtbar schlau bin. (Jedenfalls in Angelegenheiten der Trivialpolitik.)

Wie ich bereits bei anderer Gelegenheit ausführte, striche ich ein hübsches Taschengeld ein, wären Wetten auf Parteienpersonal legal. Wo amtlich zertifizierte Qual.journalisten sich – aus Dummheit und/oder Vermessenheit – regelmäßig mit Schmackes vertun, wenn es um parteipolitische Casting-Shows geht, liege ich in der Regel goldrichtig.

So nun auch im Fall eines Mannes, der so gerne König wäre, der immer & immer wieder die Fresse weit aufreißt und sich dabei immer & immer wieder verschluckt, kurz, Friedrich Merz.

Warum Pommfritz der Krosse niemals CDU-Vorsitzender und mithin nie Bundeskanzler würde, schrieb ich vor zwei Monaten für KONKRET auf. Und weil mein Aufsatz nicht bloß artig gelungen, sondern ein Dokument meiner analytisch-prognostischen Superkräfte ist, wiederhole ich mich bzw. den Artikel hier mit einer Eitelkeit, die mir sehr wohl, den „Hauptstadtjournalisten“ und zumal dem Merz jedoch bestimmt nicht zusteht.

Außerdem mag ich mir nicht die Gelegenheit entgehen lassen, ein Aufmacherbild ins Blog zu stellen, das einerseits mehr sagt als tausend Worte, andererseits komischer ist als alles, was „Titanic“ zur Zeit veröffentlicht.

Der Titel des folgenden Stücks stammt übrigens nicht von mir, sondern vom KONKRET-Redakteur Philipp Schmidt. Ich könnte schwarzgrün werden vor Neid, daß mir das nicht einfiel!

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Vor-Merz
Die Corona-Seuche hat auch erfreuliche Aspekte, wenigstens für die CDU. Wären Medien und Publikum nicht so bang mit Infektionsrekorden und Lockdown-Syndromen beschäftigt, hätten sie eventuell Muße, sich über ein echtes Volksparteitheater zu belustigen. Sie würden womöglich merken, daß die Union alles andere als uniert und mit dieser Sache namens Basisdemokratie arg überfordert ist. Und sie könnten sich sogar fragen, ob eine Partei, die es seit einem Dreivierteljahr nicht schafft, ihre eigene Führung neu zu regeln, in der Lage ist, einen Staat zu dirigieren.

Am 10. Februar kündigte Annegret Kramp-Karrenbauer an, ihr Amt als Bundesvorsitzende der CDU aufzugeben. Sie hatte in den Monaten zuvor schon einige Male damit gedroht, die Brocken hinzuwerfen, doch diesmal meinte sie es ernst. Ihr blieb auch nichts anderes übrig. Nachdem sie dem Thüringer Landesverband in einer langen Nachtsitzung nicht hatte ausreden können, mit dem Faschisten Björn Höcke zu paktieren, mußte die Ex-Vorsitzende Angela Merkel bloß ein paar Worte nuscheln, und schon spurten die Provinzfürsten. Für eine Partei, in der es auf den Charakter nur ankommt, wenn er autoritär ist, war Kramp-Karrenbauers offenbarer Mangel an Autorität nicht länger tragbar. Dkeine der Charaktermasken im CDU-Präsidium die Chefin wenigstens der Form halber zu bleiben bat, fügte zur Blamage noch die Beleidigung. Selbst Kramp-Karrenbauer, deren einziges Talent die Selbstüberschätzung ist, konnte diese Demontage nicht ignorieren.

Allerdings mochte sie nicht sofort zurücktreten. Statt dessen wollte sie ihr Mandat kommissarisch erfüllen, bis ein Nachfolger gewählt sei. Die Kandidaten sprangen schneller vor die Kameras, als ein typischer Bandwurmsatz Kramp-Karrenbauers dauert. Neben Friedrich Merz, der ihr 2018 beim Kampf um den Bundesvorsitz knapp unterlegen war, meldeten auch Armin Laschet und Norbert Röttgen Ambitionen an. Auf einem Bundesparteitag am 25. April sollte der neue Anführer gekrönt werden.

Und dann kam Corona. Mitte März wurden sämtliche Großveranstaltungen auf unbestimmte Zeit untersagt; an einen Rudelbums mit tausend Delegierten war nicht mehr zu denken. Das CDU-Präsidium beschloß, den Konvent in den Dezember zu verschieben – was Kramp-Karrenbauer eine gewisse Genugtuung verschaffte, denn ihre regulär zweijährige Amtszeit wäre in diesem Monat ohnehin abgelaufen. Auch die Bewerber schienen nicht unglücklich mit dem neuen Termin zu sein. Immerhin bekamen sie jetzt reichlich Zeit, die Ortsverbände zu bearbeiten und gegen die Konkurrenten zu intrigieren. Keiner nahm sich aber Zeit zu überlegen, was zu unternehmen sei, falls die Pandemie im Dezember weiterhin wüten würde.

Die abermalige Teil-Quarantäne, unter der Deutschland seit Anfang November steht, stellte die Inkompetenz beziehungsweise Bräsigkeit des CDU-Vorstands entsprechend bloß. Am 26. Oktober trat Generalsekretär Paul Ziemiak vor die Presse und verkündete, daß „die Lage“ erstens „sehr ernst“ sei und zweitens der Parteitag am 4. Dezember ausfallen müsse. Einen neuen Termin nannte er nicht; darüber wolle der Vorstand am 14. Dezember oder vielleicht einen Monat später entscheiden. „Es besteht Einigkeit darüber, daß ein Präsenzparteitag die beste Variante wäre“, sagte Ziemiak und spekulierte über den März 2021. Wäre auch dann keine Versammlung möglich, solle ein digitaler Konvent stattfinden. Da das Parteiengesetz eine Online-Abstimmung über den Vorsitz nicht erlaubt, müßte es zuvor geändert werden, andernfalls sei eine Briefwahl denkbar. Kurz – die Verantwortlichen hatten zwar sieben Monate, um den Ernstfall zu planen, aber gemäß dem politischen Credo der ewigen Kanzlerin tatenlos abgewartet und Alternativen ignoriert.

Laschet, der geschmeidige Wunschkandidat der Merkel-Fraktion, nahm die Angelegenheit klaglos hin: „[In] einer solchen Zeit, wo man den Menschen zumutet [], das Haus nicht mehr zu verlassen“, sei ein Parteitag mit leibhaftig Anwesenden undenkbar. Norbert Röttgen nannte die Absage „bitter“, wollte aber gleichfalls nicht mosern. „Mit dem Beschluß des Bundesvorstands wird die CDU ihrer Verantwortung in der Pandemie gerecht & sichert zugleich ihre Handlungsfähigkeit im Wahljahr 2021“, laberte er via Twitter, ohne zu verraten, in welcher Weise ein suspendierter Parteitag die Union handlungsfähig mache statt lahmlege. Deutschland, so Röttgen, erwarte „von der CDU, ein Stabilitätsfaktor in schwieriger Zeit zu sein“. Wie stabil eine Partei ist, die ihre eigenen Statuten verletzt, und warum Deutschland von der Christdemokratie irgendwas außer Lobbypolitik und schmierigem Pathos zu erwarten hat, könnte Röttgen nicht einmal dann erläutern, wenn er so schlau wäre, wie er sich’s einbildet.

Friedrich Merz jedoch gefiel die Entscheidung überhaupt nicht. In einem Interview mit der „Welt“ vom 27. Oktober ventilierte er seine Wut über den Vorstandsbeschluß mit großem Geräusch: „Es läuft seit Sonntag der letzte Teil der Aktion ‚Merz verhindern‘ in der CDU. Und das läuft mit der vollen Breitseite des Establishments hier in Berlin.“ Er, Merz, habe bei der Vorstandssitzung am 25. Oktober für einen virtuellen Parteitag zum geplanten Termin mit anschließender Briefwahl der Führungsfiguren plädiert. Dies habe man mehrheitlich abgelehnt, weil die Auszählung der Stimmen in der Vorweihnachtszeit „der Bevölkerung nicht zuzumuten“ sei. Bis heute hat niemand Merz’ Darstellung widersprochen; sie dürfte also stimmen und läßt tief blicken, wie unfaßbar wichtig – siehe Röttgen – Christdemokraten sich nehmen.

Merz, dieser geborene Wichtigtuer, witterte freilich als Motiv seiner Widersacher etwas ganz anderes als die unionsübliche Aufgeblasenheit. Weil Generalsekretär Ziemiak, der die Angelegenheit maßgeblich verbockte, einer seiner wenigen Verbündeten im Vorstand ist, attestierte Merz ihm wider jede Evidenz, das Treffen am 25. Oktober „sehr gut vorbereitet“ zu haben. Doch gegen die dunkle Macht im Kanzleramt sei kein Ankommen gewesen. Und weil Merz sich schon immer darin gefiel, jeden vor den Kopf zu stoßen, der nicht vor ihm auf dem Bauch liegen will, nannte er die Kabale beim Namen und sorgte damit für einen Spaß, wie ihn die CDU schon lange nicht mehr bot.

Er habe „ganz klare, eindeutige Hinweise darauf“, schwadronnierte Merz im „Welt“-Gespräch, „daß Armin Laschet die Devise ausgegeben hat: Er brauche mehr Zeit, um seine Performance zu verbessern.“ Als ob Laschet das was nützte! Er, Merz, führe „deutlich in allen Umfragen“, und über das Vorgehen der Parteiführung herrsche „unter vielen Mitgliedern der CDU blankes Entsetzen“. Noch viel mehr Mitglieder dürften entsetzt darüber sein, wie Merz ihren Laden als Komplottküche beschreibt: „Es ist doch kein Zufall, daß immer wieder Gerüchte über einen neuen, vierten Kandidaten gestreut werden.“ Merz, Röttgen und Laschet „sollen zerschlissen und ermüdet werden, um dann möglicherweise in letzter Sekunde einen Überraschungskandidaten zu präsentieren“. Doch da hat man die Rechnung ohne den ollen Fritz gemacht, der ist in seinem Größenwahn nicht kleinzukriegen: „Ich halte durch!“ rief er der „Welt“ zu, „ihr zermürbt mich nicht!“ Und danach führt er euch herrlichen Zeiten entgegen.

Doch selbstverständlich wird Merz, wenn es irgendwann soweit ist, die Wahl verlieren. Gleichwie CDU-Kader beträchtliche Übung im Abnicken von Vorstandsvorlagen haben, empfinden sie ein starkes Bedürfnis, innerparteilichen Streit zu regeln, als wäre er ein familiärer, das heißt, so, daß die Nachbarn nichts mitkriegen. Der „Stabilitätsfaktor“, von dem Röttgen faselte, meint jenes Bild der Eintracht, das die Union von sich abgeben will und seit ihrer Gründung mit großem Erfolg auch vorspiegeln konnte. Ein Rüpel wie Merz, der ungeniert schmutzige Geheimnisse ausplaudert, zerstört diese Illusion und mithin die Geschäftsgrundlage. Tatsächlich ist die Verehrung der Christdemokraten für ihren Faxenfritz limitiert: Außer den Marktradikalen der „Werteunion“ und dem frühvergreisten Nachwuchs mochte sich kein bedeutender Funktionär öffentlich zu Merz bekennen.

Und sogar bei der Jungen Union (JU) ist die Unterstützung eher mau. Eine Mitgliederbefragung, kurz nach Merz’ Verschwörungstirade durchgeführt, ergab zwar, daß knapp 52 Prozent der Jungunionisten am liebsten ihn als neuen Boß hätten. Weil aber von allen Befragten bloß jeder Fünfte antwortete, ist das Ergebnis so verbindlich wie ein Horoskop und bestimmt nicht als „Empfehlung“ für die 100 Parteitagsdelegierten der JU brauchbar, wie deren Vorsitzender Tilman Kuban – ein glühender Merz-Apostel – frechweg behauptet. Daß nur eines von zehn JU-Mitgliedern sich für ihn ausspricht, focht den selbstverliebten Merz kein bißchen an; er jubelte auf Twitter „besonders über die starke Unterstützung der jungen Generation“. Gewiß, klappern gehört zum politischen Handwerk, aber so viel Realitätsverlust ist nah an der Klapsmühle. Mag der Unsympath sich auch einreden, ein Rebell gegen das Partei-„Establishment“ zu sein – letztlich wird der Vor-Merz enden wie alle deutschen Revolutionen, im Katzenjammer.

Dabei kann Friedrich Merz, wenn er will, auch halbwegs rational argumentieren. Zwischen den wilden Spekulationen und wüsten Unterstellungen ging in dem „Welt“-Interview eine Passage unter, die das aktuell schwerste Problem der CDU exakt beschreibt: „Ab dem 1. Januar 2021 hat diese Partei keine uneingeschränkt legitimierte Führung mehr. Es amtiert dann lediglich eine Art Notvorstand.“ Das Fremdeln der Union mit demokratischen Prozessen ist nichts Neues. Daß sie inzwischen sogar im eigenen Haus auf den demokratischen Schein verzichtet, liefert allerdings einen Grund zur Besorgnis.

So lange jedoch die Bürger viel Angst um ihr Leben und wenig um die Demokratie haben, können die CDU und ihre Stabilitätsfaktoten Unfug treiben, wie sie lustig sind, es ist sogleich vergessen: Bei der „Sonntagsfrage“ erzielt die Union derzeit Spitzenwerte wie seit Jahren nicht mehr. Etwas Besseres als Corona konnte ihr wirklich nicht passieren.

Zuerst erschienen in KONKRET 12/2020.


Photo (Ausschnitt): „KAS-Merz, Friedrich-Bild-26612-2”,
by CDU [CC BY-SA 3.0 DE],
via Wikimedia Commons


Montag, 18. Januar 2021 21:03
Abteilung: Director's Cut, Man schreit deutsh, Qualitätsjournalismus, Selbstbespiegelung, Sokolowsky anderswo

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