Weitere Aussichten: trüb

Wenn der Alltag so grotesk sonder Maß, so irrwitzig ohne Spaß geworden ist wie in den abertausend leeren Stunden, aberdutzend hohlen Wochen des „solidarischen“ (Merkel) Abstandhaltens, Verdächtigens und Seelenverkümmerns, also in diesen bald zehn Monaten Notstandswillkür – fällt es schwer, Satiren zu schreiben, die das Groteske und Irre des Alltäglichen zu übertreffen vermögen. Mir jedenfalls ist es seit März 2020 nie gelungen, denn mir will zur universal waltenden Covidiotie und zur grassierenden Coronoia partout nichts Satirisches einfallen.

Umso dankbarer bin ich, wenn mir eine Satire vorkommt, der gelingt, wobei ich total versage. Eines dieser äußerst raren – in Tim Wolffs Moritz Hürtgens „Titanic“ garantiert nicht auffindbaren – Stücke hat Andreas Schmid verfaßt.

Schmid ist Redakteur der löblichen Zeitschrift und Website „KidsLife“. Stammkunden des „Abfall“ dürften ihn außerdem als einen der klügsten und meinungsstärksten Kommentatoren meiner Postings kennen. Das heißt, aus jener versunkenen Epoche, die leider endete, als ein paar selbstgerechte Trottel mit ihrem Mangel an Manieren, Respekt und Grammatik dafür sorgten, daß hier niemand mehr kommentieren darf.

Andreas Schmid hat mir gestattet, sein feines Werk „nachzudrucken“. Dafür danke ich ihm herzlich. – Sie, lieber Leser, geschätzte Leserin, danken für die Gratislektüre bitte, indem Sie sich „KidsLife“ in Ruhe, aber neugierig ansehen.

***

Generation Lockdown
Von Andreas Schmid



Heute morgen war mein Sohn Tobias, 5 Jahre, sehr aufgeregt. Er sollte seit einem halben Jahr erstmals wieder in den Kindergarten gehen können. Wir hatten unsere Schutzanzüge angezogen, die Masken aufgesetzt, die Helme und die Schutzbrillen. Ich mußte ihm natürlich helfen, damit auch wirklich alles dicht verschlossen ist. Nach der Version der Coronaverordnungen von heute morgen 8 Uhr, war es erlaubt, daß sich Gruppen von maximal zwei Personen bis zu einem Kilometer von ihrer Wohnstatt entfernen. Um jederzeit den Abstand richtig einhalten zu können, trugen wir die handelsüblichen Gürtel mit einer ein Meter fünfzig langen Verbindungsstange. So konnte ich meinen Sohn zwar nicht auf den Arm nehmen oder bei der Hand, aber dieser Virus ist halt unerbittlich und verlangt von uns allen Opfer.

Wir erreichten die Straße, ohne einen potentiellen Ansteckungskontakt mit einem Mitbewohner im Hausflur zu haben. Ein gutes Vorzeichen, fand ich. Die Straße war sehr ruhig, kaum Autos, außer uns nur wenige Fußgänger und natürlich die Polizisten. Die standen im vorgeschriebenen Abstand entlang der Straße, um sofort präsent sein zu können, falls ein vereinzelter Covidiot die Regeln mißachten sollte. Man kann es ja kaum glauben, aber es gibt immer noch Menschen, die den Sinn und Nutzen der Hygienemaßnahmen anzweifeln und den Behörden allerlei unlautere Motive unterstellen. Daß die damit die Gesundheit unschuldiger Menschen gefährden, auch die meiner Familie, geht denen offensichtlich nicht in den Kopf. Die Kanzlerin hat schon recht, wenn sie empfiehlt, diese Ignoranten psychologisch untersuchen zu lassen. Ich hätte noch ganz andere Vorschläge, wie mit denen zu verfahren wäre. Aber lassen wir das.

Bis zur Ecke von unserem Block konnten wir normal gehen, nach der Abbiegung mußten wir hüpfen. Ein Schild wies darauf hin, daß bis zur nächsten Ecke gehüpft werden muß, um die Ansteckungsgefahr zusätzlich zu den anderen Maßnahmen zu verringern. Unterwegs waren uns ja schon ein paar alte Menschen begegnet, die enttäuscht wieder umkehren mußten, weil sie nicht mehr hüpfen können. Seitdem Coronaleugner versucht hatten, mit gefälschten Altersangaben und Attesten, die Hüpfzone einfach zu durchschreiten, gab es keine Ausnahmeregelungen mehr; Hüpfen oder Umkehren. Da sieht man, wie diese Egoisten uns allen schaden!

Plötzlich sprang ein fröhlicher kleiner Hund um uns herum. Er hielt unser Hüpfen für ein Spiel und fühlte sich offensichtlich eingeladen. Da das Tier aber keine Maske trug, wurde es sofort von zwei Polizisten eingefangen. In solchen Fällen wird das Tier eingeschläfert und die Besitzer erwartet ein saftiges Bußgeld. Wir haben auch einen Hund, aber der bekommt seine Maske nur zum Fressen abgenommen, wie es uns unser Tierarzt, Dr. Wiehler, eingeschärft hat. Dr. Wiehler sagt, es zerreiße ihm jedes mal das Herz, wenn er wieder ein Tier einschläfern muß, weil die Besitzer sich nicht an einfachste Regeln halten wollen.

Wegen der Begegnung mit dem verwahrlosten Tier mußten wir einen Coronaschnelltest absolvieren, der aber negativ war. Nach einer halben Stunde Straßen-Quarantäne durften wir weitergehen. Ab der nächsten Abbiegung war empfohlen worden, rückwärts zu laufen. Die Begründung dieser Empfehlung hatte etwas mit vorherrschender Windrichtung und Gebäudeanordnung zu tun. Mir war das nicht ganz verständlich, wir versuchten aber trotzdem, uns daran zu halten. Es erwies sich als schwierig, mit den Helmen und Schutzbrillen nach hinten zu schauen, weshalb wir sehr langsam und vorsichtig laufen mußten.

Ich bin stolz auf Tobias, wie er das alles meistert mit seinen fünf Jahren. Er ist ja genauso alt wie der Lockdown und kennt gar nichts anderes. Beneidenswert! Wir hatten ihn noch gerade rechtzeitig bekommen, ein Jahr später wurde vorübergehend, wie es hieß, der Vollzug der Ehe verboten. Das Verbot besteht aber heute noch. Man kann sich in speziellen Kliniken unter Aufsicht mit dem Ehepartner vereinigen, aber das wollen viele nicht, auch wegen der vier Wochen Quarantäne vorher und nachher.

Inzwischen waren wir beim Kindergarten angekommen, aber welche Überraschung wartete dort auf uns! Am Tor hing ein Schreiben, dem wir entnahmen, daß aufgrund der neuen Coronaverordnung von 10 Uhr die Kindergärten wieder schließen müssen. Die Verordnung von 8 Uhr, wegen der wir uns auf den Weg gemacht hatten, galt nur noch in zwei Stadtteilen und dort auch nur bis 13 Uhr. In allen anderen Einrichtungen durften die Kinder, die bereits eingeliefert worden waren, bis zum Nachmittag bleiben, Neuzugänge waren nicht gestattet.

Tobias war sehr enttäuscht. Er sah traurig zum Fenster in den Spielraum und versuchte seine Freunde zu erkennen. Das war aber nicht so einfach wegen der Masken und Schutzbrillen. Manche trugen auch im Kindergarten noch ihren Helm. „Papa, der mit dem Jens-Spahn-T-Shirt ist bestimmt Kevin!“ – „Das kannst du nicht wissen, Tobias, so ein T-Shirt haben sich doch ganz viele Kinder gewünscht.“ Er nickte tapfer und wir traten den Heimweg an. Wegen der Distanzstange konnte ich seine Tränen nicht abwischen, aber wir konnten wenigstens das erste Stück Weg jetzt vorwärts gehen. Sehen Sie, und deswegen ist es falsch, den Mut zu verlieren: Irgend etwas Gutes ist in jeder Situation zu finden.

Bleiben Sie gesund!

Ihr A. Schmid-Ohren

Zuerst erschienen in „KidsLife“, 7.1.2021


Photos:
Aufmacher 1: „Hazmat suit c1918“,
by H. J. Hickman [CC BY 4.0],
via Wikimedia Commons

Aufmacher 2: „HAZMAT team worker“,
by Juhele [Openclipart/Public domain],
via Wikimedia Commons


Freitag, 29. Januar 2021 21:41
Abteilung: Die beste aller Welten, Die Spezies hat‘s verkackt, Man schreit deutsh, SARS-CoV-2

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