Zur Aktualität von Karl Kraus


Wohnung des darbenden Bürgers

D i e  M u t t e r : Ziagts z’haus die Sandalen aus, man hört sein eigenes Wort nicht !

E i n  K i n d : Mutter, gibt’s heut wieder nix z’ essen ?

D i e  M u t t e r : Du frecher Bub, ich werd dir lehren – (sie will auf ihn losgehen. Es läutet.) Das is der Vater ! Er hat sich angstellt, hoffentlich –

(Man hört das Klappern von Sandalen. Der Vater erscheint in der Tür.)

D i e  K i n d e r : Vater, Brot !

D e r  V a t e r : Kinder, Rußland verhungert !


Die letzten Tage der Menschheit [1919], IV. Akt, 9. Szene

Photo: „Europe Boardman Robinson“,
by Boardman Robinson
[Public domain],
via Wikimedia Commons


Donnerstag, 4. August 2022 21:26
Abteilung: Aufgelesen, Litterarische Lustbarkeiten

2 Kommentare

  1. 1

    so siehts wohl aus…
    und jetzt?

    Ich bin ein großer Freund von Fragen in ganzen Sätzen. Weil ich mit Ihrem Fragenfragment nichts anfangen kann, antworte ich darum so: !
    KS

  2. 2

    Lieber Kay Sokolowsky,
    ja, er hat vieles gesehen, und er soll gesagt haben, erst die übernächste Generation wird ihn verstehen (können). Daß aber danach wieder der Unverstand herrschen wird, so weit sah auch er nicht voraus. Ich habe mir meine Lehrer immer lieber selbst ausgesucht, Kraus gehört dazu, ein Lebensbegleiter. Ihn verstanden zu haben bilde ich mir aber nicht ein. Dagmar Krause, eine der mir liebsten Sängerinnen (Slapp Happy, Henry Cow, Art Bears) verhilft mir gerade zu einem Zugang zu Brecht, der war mir immer irgendwie suspekt, zu sehr Lehrer, zu sehr Schule, so etwa, nun, trifft auch, denke ich:

    Es gibt überhaupt zuwenig Menschen.
    Was ist eigentlich ein Mensch?
    Weiß ich, was ein Mensch ist?
    Weiß ich, wer das weiß!
    Ich weiß nicht, was ein Mensch ist
    Ich kenne nur seinen Preis.

    Das ist auch, was ich an Ihnen so mag: Sie haben keinen. Sie sind einfach unbezahlbar.
    Herzlichen Dank und Gruß
    Ihr Udo Theiss

    Ich danke für Ihr riesiges Kompliment mit meinen roten Ohren. – Brecht hätte einen viel besseren Ruf (und nicht den des nervigen Oberlehrers), wenn er darauf verzichtet hätte, seine eigenen Stücke zu inszenieren. Als Dichter überragt er so gut wie alles, was zu seiner Zeit gedichtet hat. Die paar Ausnahmen bestätigen die Regel. KS

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