Die Spezies hat‘s verkackt (3)
Nur eine Menschheit, der der Tod so gleichgültig geworden ist wie ihre Mitglieder:
eine, die sich selber starb, kann ihn administrativ über Ungezählte verhängen.
Theodor W. Adorno, Minima Moralia, „Abdeckerei“ (1951)
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Beweisstück 3: Pfleger
der Landschaft
Die Zerstörung aller Existenzgrundlagen im Auftrag von Wachstum und Rendite verläuft auch deshalb so glatt und flott, weil die Spezies nicht kapiert, daß sie untrennbar der Natur angehört, über welche sie rücksichtslos verfügt. Weil Menschen weiterhin an die Technik als Lösung für alle Probleme, welche die Technik erschafft, glauben, kommt uns die Biosphäre wie etwas vor, das sich nach Belieben verschmutzen läßt – irgendeine Maschine wird den Mist schon wegmachen. Und er verschwindet auch, doch nur für unseren Augenschein. Er wird in die Elendsregionen der Erde exportiert oder kilometertief vergraben oder, beliebtester Trick, in den Ozeanen verklappt. Aber so lange der Warenweltbürger giftiges Wasser aus Plastikflaschen säuft, wird er sich an giftigem Plastik im Wasser so wenig stören wie an einer Verschwendung, die desto rasender grassiert, je weniger zum Verschwenden da ist.
—Die Agrarjournalistin Susanne Aigner hat für Telepolis aufgeschrieben, woher die Überdüngung industriell bewirtschafteter Ackerflächen kommt und wohin der Wahnsinn führt. Wir erfahren, daß vom begehrtesten Düngemittel, Phosphor, jährlich 160 Millionen Tonnen abgebaut werden – neun Zehntel dieser ungeheuren Masse verschlingen die Monokulturen, der Rest steckt in den Batterien, die wir für unsere grandiose Technik brauchen. Spätestens in hundert, vielleicht schon in zwanzig Jahren könnten alle Phosporlager erschöpft sein. Eine Katastrophe für die Landwirtschaft industriellen Zuschnitts, ein Desaster planetarer Dimension:
Phosphor ist die Grundlage für alles Leben auf der Erde. Es ist lebenswichtiges Element, essenzieller Nährstoff für alle Lebewesen und unabdingbar für das Wachstum der Pflanzen. So ist Phosphat unter anderem Bestandteil der DNA.
Mit welcher Menschen gleichfalls anstellen, was ihnen einfällt, meistens nichts Gutes. Der Raubbau an dem seltenen Stoff ist so unnötig wie das Schnippeln an der DNA, aber es läßt sich Geld damit verdienen, und darum interessiert sich eher ein Schwein als ein Mensch für die Konsequenzen. Die aber sehen so aus:
Zuviel Stickstoff und Phosphor im Meer führt zu vermehrtem Algenwachstum. Die Pflanzen sinken in tiefere Zonen herab und werden abgebaut, wobei die zersetzenden Bakterien den Sauerstoff im Wasser verbrauchen. In der Folge entstehen große sauerstoffarme Todeszonen am Meeresboden. […]
—Der Ozeanograph Kitack Lee sagt anhand von Hochrechnungen weiter steigende Stickstoffeinträge bis zum Jahr 2050 voraus. Auf Grund dessen werde sich das Nitrat-Phosphor-Verhältnis im Pazifik verschieben. Dies verändert die Zusammensetzung des Phytoplankton – und langfristig die Gesamtstruktur des Ökosystems.
Der deutsche Beitrag zur Verödung der Meere ist nicht wesentlich, aber exemplarisch. 300.000 Tonnen Phosphat landen jährlich auf hiesigen Hochleistungsfeldern, ein Drittel davon wird importiert. Dabei ließe sich – Technik ist gelegentlich schon zu was nütze – das Düngemittel problemlos aus den Milliarden Litern Gülle extrahieren, die in den Folterknästen der heimischen Fleischindustrie anfallen. Aber Kot und Urin der Tiere müssen irgendwohin, also kippt der Agrarextremist die Exkremente auf Äcker, die den Scheiß gar nicht brauchen:
Allein in Niedersachsen werden rund 80.000 Tonnen Stickstoff und bis zu 40.000 Tonnen Phosphor über den Bedarf der Ackerkulturen hinaus gedüngt. Als Gegenmaßnahme startete die niedersächsische Regierung im Oktober 2016 das dreijährige Projekt „Wirtschaftsdüngermanagement Niedersachsen“. Der Dünger soll effizienter genutzt und die Nitratbelastung verringert werden. Dafür will das Land 900.000 € investieren.
Denn man soll nichts übertreiben. Schließlich sind 2017 in Niedersachsen bloß 90,4 Millionen Euro für die Subventionierung des Agrarunwesens zu verteilen und davon 13,6 Millionen bereits vorgesehen für die „Fachverwaltungen“, also das ordentliche Management einer Irrenanstalt namens „ländlicher Raum“ (Subventionsbericht 2015, S. 19).
—Susanne Aigner kennt Details aus dem Treiben der Irren, die einen beim Lesen verrückt machen können:
Einer BUND-Analyse zufolge werden in Deutschland jährlich mehr als 700 Millionen Tiere gemästet – mit Import-Soja als Futtergrundlage. Dadurch fallen rund 190 Millionen Kubikmeter Flüssigdünger an. Um den Tierdung adäquat zu entsorgen, fehlt es den meisten Intensivmastbetrieben an ausreichender Fläche.
—Die Gülle wird an andere Betriebe verkauft und kreuz und quer durch Deutschland gekarrt. Dabei kommt es immer wieder zu Unfällen. Allein 2015 ereigneten sich 2.600 Unfälle – beim Transport, Abfüllen, Lagern –, bei denen insgesamt 15,5 Millionen Liter Flüssigkeit mit verschmutzenden Stoffen freigesetzt wurden.
Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode, nicht zuletzt dank den gut gefütterten Fachverwaltungen. Die Spezies, die sich selber starb, hat es buchstäblich verkackt, und die Abdeckerei ungezählter Gattungen durch den Mist, den die Menschheit administrativ baut, ist ihr so gleichgültig wie das Verrecken der eigenen Mitglieder.
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Strafmaßnahme 3: Heartbreak
(Leser/in K. Becker hat auf einen groben Irrtum in der ursprünglichen Version dieses Abschnitts hingewiesen, wofür ich ihm/ihr danke. Das gefoppte Publikum wiederum bitte ich um Entschuldigung für meine Fahrlässigkeit. Nachfolgend eine überarbeitete Fassung der dritten Strafmaßnahme. Sollte auch sie Fehler enthalten, sind sie, wie immer, dem Autor, nicht der Quelle, die er mißverstanden hat, vorzuwerfen.)
Was aber macht das viel zu viele Phosphat in Boden, Wasser, Gemüse, Getreide, Fleisch und Fisch mit den Primaten, die nie, nie, nie genug kriegen können? Die Zukunft wird es weisen. – Nierenkranke, das steht fest, sollten vor allem jene Phosphate meiden, die bei der Herstellung von Nahrungsmitteln künstlich hinzugefügt werden. Das Deutsche Ärzteblatt meldete 2012:
Die Hyperphosphatämie konnte in den vergangenen zehn Jahren bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz als einer der aussagekräftigsten Prädiktoren der Mortalität identifiziert werden. In diesem Kollektiv (Stadium CKD 5) wurden beispielsweise bei einer Jahresmortalität von rund einem Fünftel nicht weniger als 12 % der Todesfälle auf das Vorliegen von erhöhtem Serumphosphat zurückgeführt. […] In diesem Zusammenhang spielen Phosphatzusätze in Lebensmitteln eine potenziell entscheidende Rolle, sie werden jedoch in ihrer Bedeutung für die Gesundheit vermutlich unterschätzt.
Und wo werden Phosphate addiert?
Eine besonders bedeutende Rolle spielen Phosphatzusätze in der Fleischindustrie, wo sie als Konservierungsmittel eingesetzt werden. Eine weitere Rolle spielen sie als Komponente des Schmelzsalzes bei der Schmelzkäseherstellung. Phosphate lockern die Struktur von Eiweißen und versetzen diese in die Lage, (mehr) Wasser zu binden. Zugesetzte Phosphate findet man in größeren Mengen auch in nichtalkoholischen, aromatisierten Getränken, sterilisierter, ultrahocherhitzter sowie eingedickter Milch und Milchpulver. Ein weiterer Grund für die Verwendung von Phosphaten ist die Verhinderung des Zusammenklumpens rieselfähiger Lebensmittel wie Kaffee- und Puddingpulver. Cola-Getränken und aromatisierten Erfrischungsgetränken sind oft größere Mengen an Phosphorsäure (E 338) als Säuerungsmittel zugesetzt.
Die zugesetzten Phosphate könnten langfristig auch gesunde Menschen umbringen, vermutet die Studie, auf die das Ärzteblatt verweist:
Insbesondere Phosphatzusätze im Tierfutter, wie sie aber auch in Nahrungsmitteln für den Menschen zu finden sind, beschleunigen im Tierexperiment und wahrscheinlich auch beim Menschen das Auftreten altersbedingter Organkomplikationen wie Muskel- und Hautatrophie, das Fortschreiten chronischer Niereninsuffizienz und kardiovaskuläre Verkalkungen.
Nierenversagen und Herzinfarkt dank aufgepepptem Fertigfraß und Limo – so kriegen die Killeraffen einmal doch genug; für immer.
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Photo: „Gülle in einem Güllesilo“, by Moehre1992 [CC BY-SA 3.0 de],
via Wikimedia Commons
Donnerstag, 26. Januar 2017 7:28
Es ist ja im Verlauf der irdischen Evolutionsgeschichte schon öfter zu großen Artensterben gekommen. Das anstehende wäre ein ganz besonderes: nämlich das erste, das der Dummheit einer einzelnen Spezies geschuldet ist. Ich geh aber davon aus, daß ein paar übrigbleiben werden; vielleicht irgendwas Lichtscheues in der Tiefsee. Oder irgendwelche Insekten. Die sich, wenn sie Gemeinschaften bilden, immer sozialer verhalten, als der Homo stupidus es je hingekriegt hat. Das könnte den Krabbeltierchen einen entscheidenden evolutionären Vorteil verschaffen: Wenn der Mensch erst in seiner eigenen Scheiße ersoffen ist, wird die nächste Krone der Schöpfung bestimmt sechs oder mehr Beine haben. Und hoffentlich mehr Hirn.
Und wenn nun die Intelligenz das Problem ist? Die Ursache des Übels? Der biblische Mythos vom Sündenfall ahnt was in dieser Richtung, obwohl er die falschen Schlußfolgerungen zieht. KS
Donnerstag, 26. Januar 2017 12:37
Vielen Dank für den interessanten Eintrag. Als kleine Ergänzung zum Thema Hyperphosphatämie ist aber anzumerken, dass die gesteigerte Phosphat-Konzentration in Wasser und Boden sicherlich nicht zu einem AKUTEN massiven Phosphatspiegelanstieg führen wird. Deshalb ist die Aufzählung dieser Auswirkungen sicherlich nicht gerade hilfreich und zielführend. Andere Nebenwirkungen erhöhter Phosphatkonzentration sind z. B. auch Osteoporose und Knochenstoffwechselerkrankungen.
Mit freundlichen Grüßen
K Becker
Liebe/r K. Becker, ich danke Ihnen für die Korrektur und freue mich, solch aufmerksame und kluge Leser wie Sie zu haben! Ihrem Hinweis folgend, habe ich genauer gelesen, den betreffenden Abschnitt neu geschrieben und diesmal, hoffentlich, keinen Unsinn.
In einem Punkt freilich muß ich Sie korrigieren: „Die Spezies hat’s verkackt“ soll weder „hilfreich“ noch (o gräßlich‘ Neuwort:) „zielführend“ sein, sondern eine Klageschrift wider die Gattung, der ich leider angehöre. – Das entschuldigt meinen dummen und peinlichen Lapsus natürlich nicht, es macht ihn nur dümmer und peinlicher. Darum abermals meinen Dank für Ihre Intervention. KS
Samstag, 28. Januar 2017 13:58
Ob der Mensch dumm ist (wie Kai P. schreibt) oder ob die Intelligenz vielleicht das Problem ist (wie Kay S. zu überlegen anregt) – ich möchte es nicht beurteilen. Immerhin ist der Mensch klug genug, die Umwelt zu seinem Vorteil zu gestalten, aber natürlich zu dumm, negative Folgen vorauszusehen und abzuwenden (wenn er denn nett genug ist, das zu wollen). Vielleicht fehlen ja nur die richtigen Schritte auf dem Weg zur Weisheit.
Ich erinnere mich, bei Richard Dawkins (in „Die Schöpfungslüge“) von einem Versuch mit E.-Coli–Bakterien (der seit den 70er-Jahren läuft) gelesen zu haben und den ich hier recht freihändig beschreibe:
Ein erster Bakterienstamm wird in einer Nährlösung angelegt. Irgendwann haben die Bakterien (die sich natürlich auch vermehren) die Nährlösung mittels ihres Stoffwechsel in ungenießbares umgewandelt und drohen zu verhungern. Der Stamm wird aufgeteilt und in zwei neuen Kolonien angesiedelt, bis deren Nährstoffe wieder „verbraucht“ sind, danach also vier neue Kolonien angelegt werden und so weiter und so fort. (Ich bitte um Verzeihung, wenn ich es sehr simpel beschreibe.) Der Sinn des Ganzen: Man wollte (oder will) bestätigen, was man längst schon ahnte: Nach der xten Generation in der und der Seitenlinie fand tatsächlich eine Mutation statt, nach der die Bakterien in der Lage waren, sich von dem zu ernähren, was ihr Stoffwechsel von der ursprünglichen Nährlösung übrig gelassen hatte. Ergo: Evolution findet statt.
Bei einem Podiumsgespräch zwischen Neil De Grasse Tyson und Richard Dawkins, das man sich auf YouTube anschauen kann, unterhalten sich die beiden u. a. über die Wahrscheinlichkeit extraterrestrischen Lebens. Die halten sie beide für hoch, schon allein wegen der Anzahl von Sternen im All und also auch der Zahl der möglichen bewohnbaren Planeten. Außerdem gehörten die wichtigsten Bestandteile unseres Organismus zu den häufigsten Elementen im All (z. B. H, O, N), und Kohlenstoff sei ja sowieso das reagierfreudigste aller Elemente überhaupt. Sinne wie sehen und hören würden obendrein nur in einem relativ eng gefaßten Frequenzbereich funktionieren (wegen Schärfe bzw. Unschärfe), und also wäre es nicht nur wahrscheinlich, dass es da draußen irgendwo Leben gibt, sondern auch, dass es uns auf die eine oder andere Art doch recht ähnlich sein könnte.
Meine Folgerung also: Wenn wir es verkacken, dann klappt es ja vielleicht in einer anderen kosmischen Petrischale …
Aber nur, wenn die Aliens uns NICHT recht ähnlich sind. Wovon ich, anders als die Anthropozentriker Dawkins und De Grasse Tyson, übrigens ausgehe. Hoch die Medusen von Jupiter, vivat die denkende Sonne! KS
Sonntag, 29. Januar 2017 12:10
Da habe ich vielleicht etwas mißverständlich formuliert. Eine hohe Wahrscheinlichkeit von kohlenstoffbasiertem Leben in irgendeiner „Goldilocks Zone“ schließt ja Medusen von Jupiter und denkende Sonnen nicht aus. Die leben aber auch nicht in den „Petrischalen“, die ich meinte.
Ich hab Dich mit Absicht mißverstanden, lieber Karsten. Solch ein Misanthrop bin ich mittlerweile! KS