Götzinnenverehrung



Beim Stochern im Haufen alter Schriften fiel mir auf, daß ich immer wieder mit Nullen abgerechnet habe. Denn die bourgeoise Welt ist voll solcher Nichtsnutze. Eine Politikerin zum Beispiel, die ich zum Fressen, bis ich kotze, gern hab’, hätte es fast in mein „Nullenquartett“
geschafft, mußte aber im Stapel bleiben, weil ich eine reine Herrenrunde brauchte.

Nun hätte „Abfall“-Kundin Tiffany Aching sich etwas wünschen dürfen, aber aus Gründen, die ich nicht kenne, hat sie darauf verzichtet. Ein anderer Kunde, der mich – sehr nett – per E-Mail überfiel, aber namenlos bleiben will, hatte hingegen einen Wunsch – und, siehe!, er galt der Frau, die sich in ihrer Nullität vor keinem Mann verstecken muß und deshalb beinahe im Quartett gelandet wäre. Und weil mir heute nach Wunscherfüllung ist, tu ich dem anonymen Leser den Gefallen, der sonst verfallen wäre. Zumal mir der Wünscher verriet, er sei mal in das Objekt meiner Gemeinheit „verliebt“ gewesen – „na ja, so von fern und nur so ein bißchen“.
Das gleich folgende, halbsatirische Porträt enstand an einem backsteinheißen Augustwochenende, doch man merkt der Sache, glaube ich, den Schweiß nicht an, den ich beim Tippen vergoß. Für die Neuauflage habe ich ein paar Sätze reanimiert, die bei der Erstveröffentlichung in KONKRET 9/2020 platzhalber auf der Strecke blieben. Nachdem ich eine Handvoll stilistischer Unzulänglichkeiten aufpoliert habe, ist dies jetzt bzw. jetzt erst recht ein, um es althamburgisch zu sagen, ßtarkes ßtück.
K. S.

***

Die Weinbergschnecke

Ach Julia! Ist deiner Freude Maß
Gehäuft wie meins und weißt du mehr die Kunst,
Ihr Schmuck zu leihn, so würze rings die Luft
Durch deinen Hauch.
Shakespeare

When I cannot sing my heart
I can only speak my mind, Julia
The Beatles


Julia Klöckner ist nicht zu stoppen noch zu toppen.

Gewiß, die Konkurrenz im Kabinett bemüht sich nach Kräften. Da waltet zum Beispiel ein Verkehrsminister, der aberhundert Millionen Euro versenkte, weil er überzeugt war, daß der Europäische Gerichtshof mit CSU-Spezln genauso verständnisvoll umgeht wie die Richter in Bayern. Der Chef des Gesundheitsministeriums hat nicht nur zu Beginn der Corona-Pandemie umfassend versagt, er möchte auch unbedingt die Patientendaten von 73 Millionen gesetzlich Versicherten an die Industrie verschenken. Der Außenminister wiederum hat es sich zum Ziel gesetzt, die Entspannungspolitik seines Parteiheiligen Willy Brandt auf keinen Fall zu wiederholen und jeden Putsch gutzuheißen, bei dem die CIA mitmischt. Nicht zu vergessen der Finanzminister und Möchtsogernkanzler, der es für seinen Auftrag zu halten scheint, Steuer- und Bilanzbetrug jenseits der Milliardengrenze bloß nicht zu ahnden.

Doch so dubios sie alle agieren, die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft steckt sie locker in den Sack. Einzig ihre CDU-Kameradin Ursula v. d. Leyen, die bis Juli 2019 das Kriegsressort wie eine Zweigstelle von McKinsey führte und alles, was sie anfaßt, in Katzengold verwandelt, hätte Julia Klöckner den Rang ablaufen können. Doch bevor die beiden Koryphäen der Korrumpelei sich ein Photo-Finish liefern konnten, holte Kanzlerin Merkel die „Flintenuschi“ (Volksmund) vom Spielfeld und schickte sie nach Brüssel, um dort neue Abgründe politischer Schamlosigkeit zu erkunden.

Mag Julia Klöckner auch nicht durch intellektuelle Schärfe, demagogisches Geschick, machiavellistische Brillanz oder wenigstens durch einen richtig fiesen Charakter herausragen (ob sie überhaupt einen Charakter hat, läßt sich schwer sagen) –: So gefaßt, ja, nonchalant, wenn nicht gar wurschtegal, wie sie die vielen, vielen profunden Beschwerden und schweren Vorwürfe gegen ihre Amtsführung wegsteckt, immer nur lächelnd und immer vergnügt wie der Chinesenprinz beim Léhar, so insgesamt schmerzfrei und äußerst selbstzufrieden durch eine Welt spazierend, die ihr meistens nicht wohl gesonnen ist, so absolut zielsicher den nächsten Fettnapf, ach was: Fettbottich ansteuernd, so komplett ungeeignet und idealbesetzt zugleich ist in unserer Regierung niemand sonst, und das hat auf seine Art schon was Staunenswertes, eventuell Admirables.

Angesichts der Unberühr- und Unverwundbarkeit Julia Klöckners durch berechtigte Kritik und gerechte Häme ist es müßig, ihr polemisch beikommen zu wollen. Buchstäblich alle NGO‘s, die Klöckners Politik kommentieren, von Foodwatch über den Nabu bis LobbyControl, können nichts Gutes darin finden, doch das juckt und kratzt sie kein bißchen, das schüttelt sie ab, die schönen Zähne fotogen bleckend. Denn aus tausend Fehlern hat sie nur eines gelernt: Es ist besser, etwas falsch als gar nichts zu machen. Ihr wuseliger Aktionismus dient zwar stets dummen, krummen Absichten und endet oft verheerend, aber sie bleibt aktiv, wie unter Volldampf, unbelehrt und immer sie selbst (wer immer das ist).

Vor Julia Klöckner versagen sämtliche Instrumente der Schmähung, weil sie Schmach nicht kennt außer der, länger als drei Tage keine Schlagzeile markiert zu haben. Nichts ist ihr peinlich, also agiert sie unentwegt peinlich. Nichts will ihr glücken, also versucht sie täglich aufs Neue ihr Glück, was freilich ein Unglück ist für Land, Wirtschaft und Ernährung. Vor so viel Unverdrossenheit bei so viel Unvermögen kann der Beobachter schließlich nur kapitulieren und auf die Knie gehen.

Daß die Winzerstochter aus Guldental in Rheinland-Pfalz politische Ambitionen hatte, wußte sie anfangs selber nicht. 1995 zur deutschen Weinkönigin erkoren, lernte die damals 23-Jährige bei ihren rund 200 majestätischen Terminen immerhin, was sie als Politikerin so gut brauchen kann: lächeln, wo immer eine Kamera auf sie gerichtet wird, lächeln, ob‘s paßt oder nicht, lächeln, wenn auch Stürme der Entrüstung sie umtoben, lächeln, bis der Arzt kommt und den Mund zusammennäht. Diese famose Fertigkeit als Religionslehrerin zu vergeuden, genügte ihr nicht, und darum trat Königin Julia 1997 der Jungen Union bei. In der CDU schien man auf eine Weltberühmtheit wie sie nur gewartet zu haben: Bereits 2001 wurde sie in den Kreisvorstand Bad Kreuznach aufgenommen, und nur ein Jahr später rutschte sie erst in den Landesvorstand und dann über einen sicheren Listenplatz in den Bundestag.

Ihr Pate bei der steilen Karriere war ein echter Prinz, der Banker und Gutsherr Michael zu Salm-Salm. Ihm verdankt sie neben der Protektion in der Partei wohl auch ihre tiefen Einsichten in Forst- und Agrarangelegenheiten. Salm-Salm hat praktisch überall mitgemischt, wo Großbauern und Baumfürsten sich organisieren, etwa als Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände oder als Vorsitzender des Vereins Familienbetriebe Land und Forst. Bis heute präsidiert Salm-Salm stellvertretend über die European Landowners Organization. Daß er eine Direktleitung ins Büro der Ministerin hat, ist allerdings ein häßliches Gerücht. Schließlich telefoniert man inzwischen drahtlos.

Für Julia Klöckner ging es weiterhin aufwärts wie im Expresslift. 2006, gerade mal neun Jahre nach Eintritt in die Partei, wählten die rheinland-pfälzischen Unionisten sie zur stellvertretenden Landesvorsitzenden, 2010 zur Herrin des Verbandes, mit einer Traumquote von 96,9 Prozent. Zuspruch dieser Art – der auf eine kerngesunde Debattenkultur in der CDU schließen läßt und den allein Schandmäuler als demokratische Farce verschreien – erfuhr Klöckner immer wieder. Gleichfalls 2010 zog sie mit 94,4 Prozent der Stimmen ins Zentralkomitee, pardon, Präsidium der Bundespartei ein. Beim Voting zur Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2011 verweigerten nur 0,4 Prozent der Delegierten ihr das Ja-Wort, und die dürften es bereut haben. 2012 bot sich Klöckner als stellvertretende Bundesvorsitzende an, und 92,9 Prozent der anwesenden Kader mochten es ihr nicht abschlagen. Mancher munkelte bereits, daß Julia Klöckner in nicht ferner Zukunft den Laden ganz übernehmen könnte.

Doch, ach, nicht mal für eine ehemalige Königin und aktive Vize-Chefin der CDU-Kommission „Bewahrung der Schöpfung“ wachsen die Weinreben in den Himmel! Zweimal nahm sie Anlauf auf die Staatskanzlei in Mainz, zweimal verpaßte die offensive Katholikin ihr Ziel, die gottlosen Sozen zu verjagen. Dabei hatte sie es 2016 gegen Malu Dreyer sogar mit einem der bestbewährten Mittel der CDU versucht, dem Ausländer-Bashing. Klöckner forderte, Flüchtlinge gesetzlich zur Integration zu verpflichten, zumal zur Verfassungstreue, mochte treue Pflichterfüller jedoch nicht mit der deutschen Staatsbürgerschaft zertifizieren. Außerdem verlangte sie nach „Aufnahmezentren“ sowie Tageskontingenten für, das heißt, gegen Migranten, was kein kleiner Affront gegen die Politik von Kanzlerin Merkel war. Das Stimmvolk quittierte Klöckners auch sonst eher eklige Kampagne mit dem schlechtesten Ergebnis, das die CDU in Rheinland-Pfalz, der Heimat Helmut Kohls, je einfuhr. Der vormalige Shooting-star der Union leuchtete nicht länger: Als Klöckner sich im November 2016 erneut um den Landesparteivorsitz bewarb, votierten bloß 85,6 Prozent für sie, nach CDU-Maßstäben ein Desaster.

Überdies hatte sich während des Wahlkampfs herumgesprochen, daß die unablässig lächelnde, modisch versierte Nachwuchskraft aus dem Naheland vielleicht jung und menschenfreundlich erschien, aber ideologisch ein alter Stinkstiefel ist. Klöckner lehnt nämlich nicht nur Asylbewerber, sondern auch Abtreibungen und Homo-Ehen ab. Und wenn sie mal nicht lächelt, sondern redet, fallen aus ihrem Mund die seltsamsten Sätze, in einem Hohldeutsch, das sie einst als Volontärin beim SWR erlernte und als Chefredakteurin des PR-Blatts „Der Sommelier“ ausfeilte: „Schauen wir uns alle an, wenn wir uns zeitlich alle zurückrechnen, haben wir genauso begonnen wie die Embryonen“, ist dann beispielsweise zu hören. Oder solche Bonmots: „Lebensleistungen werden vom Ende her bewertet.“ Sie kann das Banalste nicht sagen, ohne Nonsens hineinzumischen: „Jeder von uns war in der Schule oder ist es gerade.“ Denn in Klöckner-Deutschland beginnt die frühkindliche Bildung unmittelbar nach der Geburt.

Als genügte es ihr nicht, eine eminent schlichte Denkerin zu sein, probiert sie sich regelmäßig in einem Wortschwulst, der schlimmeres Kopfweh verursacht als ein Wein aus der Pfalz. Will sie sagen, daß sie Burkas verabscheut, aber nicht die Frau, die darin steckt, klingt es so: „Die Qualität eines Menschenbildes entscheidet sich nicht an der Quantität der Erscheinung.“ In Sachen alternativer Stromerzeugung wird sie blumig: „Wir stehen zur Energiewende, wenden uns aber gegen einen unkontrollierten Wildwuchs von Windrädern.“ Ob vielleicht Glyphosat gegen so etwas hilft? Gegen pompöses Gemöhre wie dies jedenfalls wächst kein Kraut: „Das ist eine Symbiose, die mich umtreibt und die wir ohne Scheuklappen gemeinsam fördern können.“ Diese umtriebige Symbiontin aus Phrase und Klappe hat jedenfalls vor nichts Scheu, gleich gar nicht vor greulichen Scherzen: „Bayern hat Laptop und Lederhose, wir Hirn und Heimat.“ Heimat stimmt zweifellos.

In einem ebenso grauenhaft launigen Fragebogen auf ihrer Homepage behauptet Klöckner, Philip Roth sei einer ihrer favorisierten Schriftsteller. Da sie ihn „Philipp“ schreibt, sind Zweifel erlaubt, ob sie ein Buch von ihm überhaupt angefaßt hat. Als Lieblingsmusik nennt sie neben Jazz die bislang unbekannte Stilrichtung „Saxophon“. Sie haut Pointen raus, gegen die ihre Intimfeindin im Kabinett, Umweltministerin Schulze, sofort ein Gesetz formulieren sollte: „Man sagt mir nach, daß ich geländegängig sei.“ Dieser Witz ist nicht mal besoffen zu verstehen. A pro pos – nicht verzichten kann Klöckner auf „Gummibärchen und Grauburgunder. Gerne auch nacheinander.“ In der Pfalz nämlich ist ein Saumagen Pflicht. Und falsche Bescheidenheit verpönt – ihre „gegenwärtige Geistesverfassung“ definiert sie als „neugierig und wach“. Das muß von den Gummibärchen kommen.

Da sie in Mainz nichts besseres werden konnte als Fraktionsvorsitzende, folgte Julia Klöckner im März 2018 dem Ruf nach Berlin. Zwar hatte sie zwei Jahre zuvor beteuert, „jetzt erst recht und jetzt in großer Verantwortung“ während der „gesamten Legislaturperiode“ gegen Rotgelbgrün zu opponieren. Aber wer sich mit den Wörtern so schwer tut wie sie, der darf mal eins brechen. Und wo, wenn nicht im Bundeslandwirtschaftsministerium, hätte sie eindrucksvoller zeigen können, was sie als Polit-Trainee von ihrem Mentor Salm-Salm gelernt hatte.

Schon vor der Vereidigung legte sie offen, wohin die Reise mit ihr gehen soll. Beim ökologischen Landbau würde sie Pestizide „zum Beispiel in nassen Jahren“ genehmigen. „Um ihre Ernte zu sichern“, behauptete sie, „würden viele Ökolandwirte gerne punktuell auf konventionelle Pflanzenschutzmittel zurückgreifen.“ Sogleich widersprach ihr Gerald Wehde, Pressesprecher von Bioland, dem größten ökologischen Anbauverband Deutschlands: „Das würde eine wichtige Grundlage des Bioanbaus auf den Kopf stellen. Wenn sie das ernst meint, würde sie ein Essential des Ökolandbaus preisgeben.“ Außerdem könne kein Nationalstaat bei diesem Thema einen Alleingang machen, weil in ganz Europa die EU-Ökoverordnung gilt.

Gleich nach Amtsantritt verkündete Klöckner: „Lücken im Tierschutz müssen wir schließen. Ich will, daß es allen Tieren gut geht.“ Ein Jahr später überprüfte Greenpeace, ob dieses Versprechen etwas wert gewesen war, und konstatierte konsterniert: „Passiert ist seitdem nichts.“ Die Erlaubnis für Ferkelkastrationen ohne Betäubung zum Beispiel, die Ende 2018 auslaufen sollte, verlängerte sie kurzerhand um zwei Jahre. Weil Schweine in der Massentierhaltung furchtbare Langeweile und großen Streß leiden, kommt es oft zu Verhaltensstörungen wie dem „Schwanzbeißen“. Um schweren Verletzungen der Tiere vorzubeugen, werden ihnen, ebenfalls ohne Betäubung, die Ringelschwänzchen kupiert. Dieses Verfahren ist nach EU-Recht seit 1994 verboten. Wie ihre Amtsvorgänger weigert sich Klöckner, das Gesetz umzusetzen, und wartet gelassen ab, ob die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet – seit ihre Parteikumpanin U. v. d. Leyen die Kommissionspräsidentin ist, um so gelassener.

Industriell gehaltene Zuchtsauen werden während des „Abferkelzyklusneun Wochen lang in Kastenstände eingepfercht. Darin können die Tiere nur stehen oder liegen, aber keinen Schritt tun. Das führt zu zahlreichen äußerst schmerzhaften Verletzungen und Entzündungen und läßt keine Sau älter als wenige Jahre werden. Bereits 2016 entschied das Bundesverwaltungsgericht, daß die Eisenkäfige gegen die Nutztierverordnung verstoßen. Ministerin Klöckner setzte Anfang Juli dieses Jahres – übrigens mit Schützenhilfe durch grüne Stimmen im Bundesrat – durch, daß der entsprechende Passus aus der Nutztierverordnung gestrichen wurde und die Kastenhaltung mindestens für weitere 17 (!) Jahre möglich bleibt.

„Tiere sind Mitgeschöpfe und keine Wegwerfware“, predigte Klöckner 2018, aber hier meinte sie vermutlich abermals nur Gummibären. Das „Tierwohl-Label“, das Klöckner in diesem Jahr einführen wollte, ist ein so schlecht gemachtes Blendwerk, daß nicht einmal die CSU es befürworten mag. Das „Kükenschreddern“, eine der widerwärtigsten Praktiken der industriellen Tierzucht, wolle sie 2021 verbieten, tönte Klöckner im Juli. Doch ein entsprechendes Gesetz hat ihr Ministerium noch gar nicht entworfen. Zu den Produktionsbedingungen in deutschen Fleischfabriken äußerte Klöckner sich erst, nachdem infolge des Corona-Ausbruchs bei Tönnies die halbe Republik sich empörte. Bei einem eilig einberufenen „Fleischgipfel“ – den Anton Hofreiter von den Grünen korrekt ein „Show-Event“ nannte – schlug sie eine „Tierwohlabgabe“ vor, die angeblich den Tierzüchtern helfen soll, ihre Ställe artgerecht umzubauen, tatsächlich aber auf eine Subventionierung der Fleischwirtschaft und ihrer heillosen Exportgeilheit hinausläuft.

Wie beim Tierschutz, so agiert Julia Klöckner auch bei allen anderen Katastrophen in ihrer Zuständigkeit. Ob Insekten- und Waldsterben, Gülle- und Pestizidausbringung, Klimakatastrophe, Flächenversiegelung oder Lebensmittelkennzeichnung – sie appelliert, kündigt an, beruft runde Tische ein, hält eine Pressekonferenz, und am Ende kommt nichts Konkretes heraus bzw. ein Gesetz, das an der Sache nichts ändert, sie oft sogar verschlimmert. Daß Klöckner gegen das größte Übel der EU-Agrarsubventionen – die Förderung der Anbaufläche, nicht der -methode – auch im Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft rein nichts zu unternehmen gedenkt, versteht sich von selbst.

Woher soll sie auch die Zeit nehmen zwischen all ihren Terminen im Dienste der Lebensmittelindustrie! Das Nestlé-Werbevideo, für das Klöckner im Juni 2019 mit einem der Konzernmanager posierte und das sie anschließend auf dem YouTube-Channel des Landwirtschaftsministeriums publizierte, ist ihr zweifellos wichtiger gewesen als irgendein nerviges Gespräch mit Vertretern von Greenpeace oder Tierschutzbund. „Hatespeaker“ seien ihre Kritiker, schimpfte Klöckner via Twitter, und damit hat sie recht: Wer sich irgend für Naturschutz, ökologische Landwirtschaft und gesunde Nahrung engagiert, kann ihren als Politik erbärmlich getarnten Lobbyismus nur hassen.

Der Beobachter hingegen, der Julia Klöckner vor allem als Kunstfigur wahrnimmt, als perfekte Inkarnation der Postdemokratie, das heißt, der Simulation und Theaterinszenierung von Volksherrschaft, der Verschmelzung von Kapitalinteressen und Regentschaft dieser Beobachter verharrt andächtig auf den Knien und summt: „Half of what I say is meaningless / But I say it just to reach you, Julia.“


Photo:

„Stamp of Moldova – 2014 – Colnect 513345 – Burgundy Snail Helix pomatia“,
by Post of Moldova [Public domain],
via Wikimedia Commons


Donnerstag, 3. November 2022 0:03
Abteilung: Director's Cut, Kaputtalismus, Unerhört nichtig

3 Kommentare

  1. 1

    Vielen Dank für diese schöne Schmähung!
    Aber dem Vergleich, dass Julia Klöckners Wortschwulst ein schlimmeres Kopfweh verursacht als ein Wein aus der Pfalz, kann ich leider nicht zustimmen, es gibt nämlich einige verdammt gute Tropfen aus dieser Gegend, von denen man ziemlich viele in sich reingurgeln lassen kann, ohne am nächsten Morgen schwer leiden zu müssen!
    Bitte noch mehr Nullenquartett!
    Wünscht sich
    Daniel Lüdke

    Lieber Daniel, die Pfalzwein-Schmähung war, zugegeben, eine Frechheit. Zumal ich überhaupt keine Ahnung von Wein habe (vom Weinen hingegen schon). Die Wahrheit ist: Ich krieg von JEDEM Wein Kopfweh, aber nicht wegen des Weins, sondern weil ich nicht damit umgehen kann.
    Welche Null hättest Du denn gern im „Abfall“? Vielleicht hab‘ ich mal mit ihr abgerechnet, dann hau ich’s Dir zuliebe hier raus.
    Daß Du mir Zausel weiterhin interessiert zuliest, wünscht sich
    KS

  2. 2

    Wie wäre es denn mit einer oder einigen Lieblingstellen aus „Who The Fuck Is Alice“? Da MUSS es doch etwas geben, was du der Welt nicht vorenthalten willst!

    Irgendwann wird „Who the fuck is Alice?“ wieder in Buchform erhältlich sein, so lange mußt Du Dich schon gedulden. Außerdem mag ich Schwarzer zur Zeit nicht attackieren: Ihre Haltung zum Ukraine-Krieg ist so couragiert wie seit 50 Jahren nichts in ihrer Laufbahn. Sollen sich erst mal die Blutsäufer und Waffenfetischisten an ihr abarbeiten, ich übe mich einstweilen in pazifistischer Solidarität. KS

  3. 3

    Brilliant und trefflich geschmäht. Kann es noch ein bisschen mehr werden ? Ich wüßte da ein neues lohnendes Objekt -scusi: ein weibliches Subjekt – das es ebenfalls zu ministerialen Würden gebracht hat und seither v.a. werthaltigen Schwulst verbreitet.

    Falls Sie die Frau mit dem aufgehübschten Lebenslauf und dem zusammenkopierten Buch meinen – die hat hier schon einen Ehrlosplatz. – Danke für Ihr Kompliment! KS

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