Menopausenzeichen

Einen Monat ist es her, daß ich hier was hinterließ. Ältere Wühler im „Abfall“ kennen solche langen Auszeiten von mir. Sie erinnern sich vielleicht auch an ein Gedicht, das ich mal darüber schrieb, eins meiner besseren. Trotzdem fragte jemand aus der guten alten Garde neulich (und besorgt) nach, wo ich denn nur geblieben sei, ob es dieses Blog noch gäbe. Nun – ich war da. Aber nicht hier. Das Bloggen reizte mich schlicht nicht. Das lag keineswegs an fehlender Resonzanz. So klein mein Publikum auch sein mag, an Zuspruch und Gentilezza hat es mir hier nie gemangelt. Ich freue mich über jeden Leser, der mich lobt (klar), und jeden, der mich kritisiert (echt). Solche Signale des Interesses sind wie Leuchtfeuer in der Dunkelheit des nächtlichen Meers, ein Wegweiser zur Zivilisation und manchmal ein Trost.

Vielleicht war das Wetter schuld, dieser in Hamburg so herbstliche Sommer, der geschmeidig in einen herbstlichen Herbst überging, diese Dominanz von Naß und Grau, dies Islandklima hier auf dem 53. Breitengrad sogar an den Hundstagen.

Vielleicht, andererseits, sind mir die Wörter an sich zuwider gewesen, habe ich die Sprache generell verachtet, weil ich sie mit Menschen teilen muß, denen ihre Sprache nichts bedeutet, obgleich sie von der Sprache gut leben, mit Leuten wie jenem Radiokorrespondenten, der bei seinem professionellen Gequatsche die Müllvokabel „Pragmatist“ erfand. Und ich steh derweil am Herd und könnte vor Zorn über so viel fett honorierte, gedankenmagere Schlamperei ins Pfannenfett speien. Das war vor ein paar Tagen; aber so was höre ich jeden Tag von den Dummschwarten der „Qualitätsmedien“, aberdutzendfach, es ist die Regel, kein Ausrutscher. Mißhandlung der Sprache ist das Merkmal des Journalismus.

Vielleicht jedoch steckt das Motiv für mein Schweigen viel tiefer. So tief, daß ich es lieber heimlich ausgrabe.

Wie auch immer: Ich bin wieder an Bord und halte nach den Baken Ausschau, nach den Zeichen einer Menschheit, für die schreiben zu dürfen ein größeres Privileg ist, als ich selbstmitleidiger Schnösel mir eingestehen mag.

Darum danke!, daß Sie so lange auf mich gewartet haben. Nehmen Sie bitte Platz – nein, nicht dort – ja, hier!, bittesehr, am Fenster … mit Blick auf den Horizont. Und nun hören wir erst mal gute Musik:

Get me back on my feet again
Back on my feet again
Open the door and set me free
Get me back on my feet again


Donnerstag, 21. September 2017 23:18
Abteilung: Inside "Abfall", Qualitätsjournalismus, Selbstbespiegelung

6 Kommentare

  1. 1

    Na, da bin ich ja froh! Auch wissend, daß es hier immer mal Auszeiten gibt, fragt man sich nach einiger Zeit dann doch, ob dem Blogger evtl. etwas zugestoßen sein könnte – schön, daß das nicht der Fall ist.
    Ansonsten Kopf hoch! Wir Utopiker werden es den Pragmatisten schon noch zeigen!

    Danke für die Sorge und den Zuspruch! KS

  2. 2

    Geschätzter Abfallsammler,
    sind mir die Wörter an sich zuwider gewesen – da sehe ich einen Treffer ins Schwarze. Es hilft wenig, meine Erfahrung, sie in Anführungszeichen zu setzen. Die Wörter. Anders führte, halte ich für einen guten Einfall, eine Liste der Wörter, deren Benutzung er behauptet hat nie vollzogen zu haben. Läßt sich widerlegen, aber der Vorsatz bleibt gut und nachahmenswert. Sofern man sich nicht sklavisch daran hält.
    Ich freue mich, hier weiter lesen zu dürfen und wünsche mir das dazu passende Wetter. Sonne.
    HG Udo Theiss, Neuling

    Dem Wunsch schließe ich mich vorbehaltlos an. KS

  3. 3

    Für jeden Schreiber, der nicht auf irgendeinen wie auch immer gearteten Autorenstrich geht, gibt es zwei Zustände:
    Entweder es drängt ihn – dann schreibt er.
    Oder es drängt ihn nicht – dann schweigt er.
    Ich warte lieber sehr geduldig auf Neues, das ich gerne lese, anstatt täglich Lauwarmes zu lesen.
    Keep on!

    Ich werde mich weiterhin redlich bemühen – danke für die aufmunternden Worte, lieber Karsten! KS

  4. 4

    Willkommen zurück! Ich brauche gar nicht erst Platz zu nehmen, den Ausblick habe ich die ganze Wartezeit über genossen.

    Wohin haben Sie denn geguckt? KS

  5. 5

    Welcome back, und sie alle in die Pfanne zu hauen fehlt mir die Höllenküche, vorerst bleibt nur die Möglichkeit, diese Sprache zu überwandern. Ohne jede Pragmatistik.

    Dazu müssen Sie sich aber gut die Ohren zuhalten. KS

  6. 6

    Ich freu mich wirklich sehr, hier wieder was von dir zu lesen! Auch wenn’s in Teilen ein Dokument des Widerwillens ist. Letzteren meine ich allerdings ziemlich gut zu verstehen. Denn es gibt so Momente und Zeiten, in denen mag der Mensch einfach kein einziges Wort mehr verlieren. Und dann hält er eben die Schnauze, die er voll hat.
    Das hat Heiner Müller Mitte der 1970er gedichtet:

    ALLEIN MIT DIESEN LEIBERN
    Staaten Utopien
    Gras wächst
    Auf den Gleisen
    Die Wörter verfaulen
    Auf dem Papier
    Die Augen der Frauen
    Werden kälter
    Abschied von morgen
    STATUS QUO

    Aber in den folgenden 20 Jahren hat der Mann dann doch noch so einiges aufgeschrieben. Zum Beispiel das Drama „Der Auftrag“ und darin diesen Satz: „Solange es Herren und Sklaven gibt, sind wir aus unserem Auftrag nicht entlassen.“
    Das mag allzu pathetisch klingen, aber so wars und so isses. Immer noch. Vom Schweigen der Klugen wird gar nichts besser, von ihrem Reden und Schreiben wird es das ja vielleicht, eventuell, möglicherweise: irgendwann doch.
    PS.
    Davon abgesehen gibt es Situationen, in denen man sich für Selbstmitleid und bzw. oder Schnöseligkeit durchaus nicht zu entschuldigen hat. Man muß halt bloß schauen, daß die Bitternis nicht zum Dauerzustand wird. Was schwer genug ist, ich weiß.

    Danke für deine verständnisvollen Sätze, lieber Kai, und ein großes Merci auch für das Müller-Gedicht! KS

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