Round midnight: Ich habe Post (Update, 9. Mai)

Vorgestern fragte ich mein geschätztes Publikum, was die Redaktion und den Chef der ARD-Tagesthemen bewogen haben mochte, einen Bericht über das zerpflückte „BKA-Gesetz“ so zu illustrieren, und was das überhaupt bedeuten soll:

Tagesthemen, 20.4.2016 (Screenshot ARD-Mediathek/Ausschnitt)

Tagesthemen, 20.4.2016 (Screenshot/Ausschnitt)

Kai Pichmann antwortet mir:

Ich helfe gern! Hier meine Vermutung zur Gniffkeschen Metaebene: Der arme Mann wollte was historisch Hintergründiges sagen mit seinem angenehm puristischen Tagesthemen-Hintergrundaufmacher. Aber dann hat‘s ihm ein anderer versaut: Es war bloß ein Flüchtigkeitsfehler des ARD-Graphikers, der in den Störer über dem Brief-Icon eigentlich eine „88“ hätte einbauen sollen. Diese Zahl sollte den Bezug herstellen zum aktuellen Führergeburtstag („88“ als rechter Code für den Hitlergruß, 20. April – alles klar?) und damit wiederum zu der zu Führers Zeiten von sämtlichen Gestapo-Leitstellen mit vorbildhafter Flächendeckung ausgeübten Postüberwachung. Deren zeitgemäße digitale Verfeinerung dem obersten Dienstherrn des BKA so sehr am Herzen liegt und die ihm nun, so scheint’s, von den pflaumenweichen Liberalen im Bundesverfassungsgericht wenigstens partiell versaut wurde.
Also: Der Gniffke kann nur ein verkappter Antifaschist resp. Systemkritiker sein. Wenn sie ihm erst mal draufkommen, wird er bestenfalls noch das ARD-Frühstücksfernsehen anmoderieren dürfen. Und die Toten Augen von Alt-Moabit werden ihm eine Herde Bundestrojanerpferdchen auf den Hals hetzen.

Darauf wäre ich nicht gekommen! Genausowenig wie auf Thomas Küsters Interpretation:

Sie haben 86 ungelesene Mails. Sind Sie wirklich sicher, daß Sie bei der Bewältigung Ihres elektronischen Schriftverkehrs auf die Hilfe des Bundeskriminalamtes verzichten können? Wenn Sie an unserem Kommunikationsserviceprogramm „IM Thomas“ (IM = Innenminister!!! Nicht was Sie schon wieder denken!) nicht teilnehmen möchten, teilen Sie uns dies bitte innerhalb von fünf Werktagen per Einschreiben mit. Sollten wir nichts von Ihnen hören, beglückwünschen wir Sie schon heute zur freiwilligen und kostenlosen Teilnahme an unserem Programm.

Einfaches Einschreiben oder mit Rückschein?

Daniel Lüdkes Spekulation hat zwar extrem wenig Wahrscheinlichkeit (ein deutscher Redakteur Medienmacher trinkt nicht im Dienst!), dafür jedoch äußerst viel Charme:

Die Erklärung ist ganz einfach: Im Tagesthemen-Studio arbeiten Ton- und Bildtechniker, die tagein, tagaus die gleichen langweiligen Handgriffe an Ihren Regiepulten ausführen müssen. Um sich ihren trüben Alltag halbwegs erträglich zu gestalten, wird von ihnen während der Arbeitszeit sehr, sehr viel Alkohol konsumiert (Von dem bekommt übrigens auch Jan Hofer oft was ab).
Erschwerend kommt hinzu, daß, wenn die Tagesthemen gesendet werden, die Schicht sich allmählich ihrem Ende entgegen neigt und viele dieser Techniker, in heller Vorfreude auf den heiß ersehnten Feierabend, sich mittlerweile hochprozentige Getränke in großen, gierigen Schlucken den Hals runtergurgeln lassen.
Und dann, als das Bild mit dem Spion drauf zum „BKA-Gesetz“ eingeblendet werden sollte, ist ein Techniker in einer großen Lache Erbrochenem ausgerutscht, wollte sich noch festhalten, ist dabei aber zufällig gegen den Schalter getaumelt, der ein Bild zu einer Nachricht über eine neue Anti-Spam-Regelung hoch fährt.

Die (bis jetzt) überzeugendste Erklärung aber liefert, meines Erachtens, Karsten Wollny:

Das ist ja wohl die raffinierteste Schleichwerbung, die mich je erwischt hat, weil ich nämlich sofort alle Staffeln der Agentenparodie–Serie Get Smart (dt. Mini Max) sehen will.Agent 86 konnte schon immer alles besser als das BKA!

Und dieser Agent 86 – dessen Darsteller Don Adams übrigens eine frappierende Ähnlichkeit mit dem jungen George W. Bush („Patriot Act“!) hatte –, dieser Maxwell Smart konnte nichts gut, außer, vielleicht, mit dem Schuh zu telephonieren.

Danke, Herr Wollny, daß Sie an diesen Fels in der Brandung meiner Kindheit erinnern! Doch ehe ich weitere dubiose Metaphern aushecke oder mich über die fabelhafte Get Smart-Titelmusik von Irving Szathmary auslasse bzw. von eines zehnjährigen Knaben zarter Verliebtheit in Agentin 99 (Barbara Feldon) erzähle, gucken Sie mal an, was Sie einst verpaßten oder, wie ich, fast vergessen hatten:


Obwohl es mir unmöglich scheint, daß Karsten Wollnys Geniestreich überboten werden kann, nehme ich neue Deutungen weiterhin mit Vergnügen entgegen. Surprise me!

Und da kommt tatsächlich noch was rein, und zwar von Tobias Ogir, der sich weiter unten auch noch selber kommentiert (womit die Kommentarspalte nicht mehr ganz so leer ist):

Lieber Sokolowsky, Sie stellen zu hohe Ansprüche an die Tagesthemen, welche als sog. Leitmedium ja von Jedermann verstanden werden sollen. Das Icon signalisiert meiner Oma (Computerversierte der Kriegsgeneration mögen sich bitte nicht auf den Schlips getreten fühlen), sich wieder ihrer Strickerei widmen zu können, respektive dem folgenden Beitrag nicht völlige Aufmerksamkeit schenken zu müssen, da es wohl um irgendwas mit Computern geht, womit man selbst – Gott sei‘s gedankt – nichts zu tun hat. Allen Jüngeren, die nicht Ihren hohen Anspruch auf Logik und Ästhetik teilen, realisieren dasselbe wie meine werte Großmutter, mit dem Unterschied, sich sehr wohl damit auseinandersetzen zu müssen.
Da ich das Icon lediglich auf Lust- und Ideenlosigkeit der Verantwortlichen zurückführe, muß man wohl schon froh sein, daß nicht auch noch ein „88“-Fauxpas passiert ist. Stellen Sie sich eine Abbildung des Herrn Ministers, der mit verkniffenem Gesicht durch ein Fernglas auf das Icon schielt, vor, durchgestrichen mit fettem rotem „X“ – und schon haben Sie aus dem Nichts eine Karikatur vom Niveau der Tagesthemen aus dem Ärmel geschüttelt …

Machen Sie nur so weiter, lieber Ogir, und der Gniffke heuert Sie demnächst für sein Qualitätsteam an!


Samstag, 23. April 2016 0:01
Abteilung: Qualitätsjournalismus, Round midnight

3 Kommentare

  1. 1

    Post Scriptum: Habe Ihr Update leider erst jetzt entdeckt. Im Original war die Kommentarspalte leer – jetzt seh ich auch warum!
    @Pi -e- chmann ist wirklich nicht übel!
    Hätte mir meinen Kommentar gespart, hätte ich den seinigen und Ihre Einschübe zuerst gelesen.
    LG unbekannterweise an Sokolowsky und Piechmann
    T.O.

    Danke, und Gruß retour! Aber warum sollten Sie bzw. sollte ich Ihren Kommentar denn sparen? Ein Gedanke wird doch nicht schlechter, nur weil zwei Menschen unabhängig voneinander drauf kommen, oder? KS

  2. 2

    Danke dito für die Blumen, lieber Tobias Ogir, und ebenfalls herzliche Grüße zurück – und die Idee mit der fett ausgeixten Ministervisage find ich gar nicht so übel! Ich hoffe, daß sich mein Tagesthemen-Vornamensvetter in Bälde von ihr inspirieren lässt.
    PS. Aber warum nur haben Sie meinen ohnehin nicht sonderlich wohllautenden Familiennamen mit einem zusätzlichen „e“ verunziert? Ich mußte dieserhalb gleich an den seinerzeit mehrfach wirtschaftskriminell auffällig gewordenen Porsche-Aufsichtsratsvorsitzenden aka „Fugen-Ferdi“ denken. Und auch wenn dieser trickreiche Wirtschaftsführer nicht wie sein schwerstkrimineller Landsmann einen ganz persönlichen Ziffern-Code abgekriegt hat, so ist er doch ein weiterer ausgesprochen unangenehmer Österreicher, mit dem ich nun wirklich nix gemein haben will, noch nicht mal den kleinen Extra-Vokal, ich bitt‘ Sie recht schön!

    Den Fehler hat ebenso der Blogmaster verbockt, der’s übersah. Die peinliche Angelegenheit wurde soeben, na, wie heißt das noch? ach ja, genau: transparent korrigiert. Ich bitte um Entschuldigung, lieber Kai!
    Sowie um Nachsicht für die ewig lange Bearbeitungsdauer dieses Kommentars. Der Admin ist nämlich noch in den Betriebsferien, und ich bin erst seit ein paar Stunden zurück. Was man da updaten muß in WordPress! Ich könnte euch Geschichten erzählen, Geschichten! Die ihr bestimmt nicht hören wollt, zu eurem Besten. KS

  3. 3

    Da gibt’s nicht groß was zu entschuldigen, lieber Kay, mein Kommentarchen war ja nun wirklich nicht von epochaler Bedeutung – trotzdem danke ich schön für die transparente Korrektur! Und grüße bestens aus meinen Betriebsferien in Athen.

    Fall die Ferien noch andauern: schöne Tage! (Sonst aber auch.) KS

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