Schnipsel (1): 24. Februar 2018

Wenn die Dummheit, mit der Dumme uns verdummen wollen, so kolossal anschwillt wie dieser Tage (und täglich kolossaler), wenn beinah jede Schlagzeile ein Schlag ins Gesicht ist, läßt sich den Ereignissen in geschlossener Prosaform nicht mehr beikommen, außer um den Preis der langen Weile. Daher befindet der Blogger, daß er aus seiner „Art Notizbuch“ gelegentlich ein richtiges machen darf – Fragmente, abgebrochene Gedanken und Momentaufnahmen statt ordentlicher Essays, ausgefeilter Glossen oder didaktischer Gedichte.
Überwältigt vom Tempo, in dem die spätbürgerliche Gesellschaft ihren sittlichen und politischen Untergang betreibt, hat der „Abfall“-Hüter beschlossen, seinen literarischen Ehrgeiz beiseitezulegen und auf eine Gesellschaft, die im Zeitraffer zerbricht, mit Splittern und Fragmenten zu reagieren. Immer noch besser fassungslos zu stammeln als zu schweigen. Deshalb ab sofort und regelmäßig:
Schnipsel aus der Wahnwelt.
Der Admin

(Notate, die schon viel zu lange liegen:)

Sag ich am Abend des 8. Februar noch zu meinem besten und klügsten Freund: „Ist doch klar, in zwei Wochen wird Martin Schulz für immer weg vom Fenster sein. Den opfern die Seeheimer wie nix, der war und ist die Geisel dieser Banditen.“ Und dann ist Dienstag, 13. Februar, und Martin ganz weg, für immer. Grad mal fünf, nicht 14 Tage bis zur Ewigkeit.

Soviel zu meinen prophetischen Fähigkeiten. Die Miesheit des Triumvirats Scholz-Klingbeil-Nahles ist noch viel größer, als ein Berufszyniker wie ich es sich vorstellen kann. Haben diese Zombies nicht mal die Manieren, den Mann, der seit einem Jahr jeden Partei- (oder Seeheimer-) Befehl klaglos und treudoof befolgte, irgendwie respektabel zu verabschieden, ihm für seine trottelige Solidarität mit „den Gremien“ eine gewisse Karenzzeit zu gönnen, ein paar Tage, in denen er sich wie ein ganzer Mann hätte fühlen können. Sie fressen ihn auf wie nur je die Konterrevolution ihre Kinder.

Und Martin, diese arme Wurst, spielt immer und immer noch mit, auch dann, wenn er völlig verstummt („Unruhe in der Partei vermeiden“). Er ist wohl zu dumm, um zu begreifen, daß er immer bloß gespielt wurde, ein Kaschperle wie aus der Fibel. Seine Schwester bestätigte neulich, was ich schon vor einem Jahr dachte: Ihr Martin war von dem Intrigantenbrutkasten bzw. der „Schlangengrube“ Berlin völlig überfordert:

Mein Bruder ist nur belogen und betrogen worden.
Web.de, 11.2,2018

Angesichts der öden Deppen, die aktuell auf Glanz & Borgia machen (Scholz, Nahles, Gabriel), muß ich leider feststellen: Ein Politiker, der nicht mal mit solchen Mindestgeistigen und Gewohnheitsschwindlern fertig wird, sondern vor so was Lächerlichem auf die Knie geht und kriecht – solch ein Politiker hätte niemals Politik probieren sollen. Buchhändler ist doch ein schöner Beruf, warum sollte Schulz ihn nicht wieder verrichten?

Freilich: ein Buch würde ich mir von solch einem Hirni nicht empfehlen lassen. Aber: schön, daß er eine Rente erwarten darf wie zwanzig halbtot gearbeitete SPD-Wähler zusammen nicht. Und vielleicht darf Chulz seinem Idol Macron ja demnächst (Karlspreis!) doch noch die stramme Rute halten! Dann hat der Martin seine historische Mission erfüllt, und der Emmanuel hatte auch seinen Spaß, und die SPD fusioniert mit der CDU, und die CSU mit der AfD, und die Griechen dürfen gemeinsam mit den Italienern und Spaniern verhungern; und ich bin so froh, im demokratischsten Deutschland ever leben zu dürfen; „forever and ever and ever“ (Jack Torrance, „The Shining“).

***

Mein lieber Freund und adorierter Kupferstecher Jürgen Roth wurde am 8.iFebruar von Radio Bremen gefragt, was vom Vertragspapier zu halten sei, für das Martin Schulz geopfert wurde, von diesem Wortmüll, auf den die Seeheimer-Kreislerianer so stolz sind wie ein Hypochonder auf den fetten Pickel am Arsch. Dr. Roth mußte, vermute ich, schwer an sich halten, um nicht in einem Katarakt der Schmähungen zu versinken. Seine Stimme scheint mir gepreßt vor unterdrückter Wut. Ist freilich gut, daß er nicht anfing zu pöbeln. Denn was Roth im „Koalitionsvertrag“ an Skandalösem las, muß sachlich benannt werden, um dieses Dokument als einen einzigen Verrat an der proletarischen Klasse zu begreifen. Hören Sie bitte zu, besonders, wenn Sie mit der SPD sympathisieren (warum auch immer):


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Das Land verändert sich, die Prioritäten werden neu definiert, und beim Rutsch nach rechts sind die dümmsten aller Journalisten, die Sportberichterstatter, instinktiv ganz vorn dabei. Als am 20. Februar die Eishockey-Auswahl (Männer) des DSB in einem Spiel gegen Schweden das olympische Halbfinale erreichte, ließ ARD-Mann Burkhard Hupe den ganzen, fanatischen Nationalisten aus sich heraus, der in Kreaturen wie ihm immer steckte. Ein Geschrei, Gebrüll, Gestammel, ein vokaler Orgasmus, als wäre soeben die Unterwerfung der Erde unter das alldeutsche Prinzipat verkündet worden! Dabei ging es nur ums Erreichen eines Halbfinals. (Und während ich diesen Blogpost fertigbastle, steht die Endschlacht gegen den Russ‘ kurz bevor. Wie sich der Hupe nun wohl vorbereitet? Liest er die Sportpalastrede grad zum fünften Mal?)

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Warum ich für solch ein Gebrüll und Gezeter, für derart bankrotten „Journalismus“ alle Vierteljahr 52,50 Euro Staatsmediensteuer erlegen muß, kann mir niemand plausibel erklären. Burkhard Hupe jedenfalls dürfte auch in einem Staat, den die AfD regiert, keine Probleme bekommen. Sondern ein Amt: Oberpriester oder Obereinpeitscher, irgendwas in der Richtung. Dergleichen Ausbrüche des Nationalismus wären, glaube ich, sogar Vlad. Putin peinlich. Aber der ist ja bloß ein Russ‘, kein „gründlich zivilisierter“ (Antje Vollmer) Deutscher.

***

Als nach dem „Anschluß“ Österreichs die Wiener Nazis an die Tür Egon Friedells hämmerten, damit er öffne und sich von ihnen ins KZ führen lasse, stieg Friedell durchs Fenster, stellte sich aufs Sims, rief den Passanten drei Stockwerke tiefer „Obacht!“ zu und sprang in den Tod. Ich verstehe mein Alter ego Egon von Tag zu Tag besser. Leider.


Samstag, 24. Februar 2018 23:57
Abteilung: Man schreit deutsh, Qualitätsjournalismus, Schnipsel

7 Kommentare

  1. 1

    Danke für die deprimierenden Notizen. Ich beschränke mich mal aufs Positive: Wenigstens hat Burkhard Hupe den Namen, den er verdient.

    Ja, das ist irgendwie positiv. *lachtverzweifelt* KS

  2. 2

    Nur zum Thema Journalismus ein Juwel exzellenter Medienanalyse:
    http://meedia.de/2018/02/22/kenntnisfreie-fakten-checker-bei-hart-aber-fair-plasberg-und-bild-strapazierten-das-gesunde-volksempfinden/#comment-744203
    Ein Lesegenuß (versprochen, Kay), der Verbreitung verdient, wie auch der obige Text mal wieder.

    Ich kann gar nicht anders, als Deine Empfehlung zu wiederholen. Danke für den Link! KS

  3. 3

    Gerade sagt die Frau mit den inneren Reichsparteitagen im Fernsehen, daß die Niederlage gegen Rußland doch ein großer Sieg war. Aber es geht nur um Eishockey.

    Aber Stalingrad war doch auch ein großer Sieg! Für Leute wie die Frau mit den inneren usw. allerdings eher nicht so groß bzw. ein Sieg von innen. KS

  4. 4

    Jaaa, lieber Kay!
    „Die dümmsten aller Journalisten, die Sportberichterstatter“, die habe ich bei meinen Kommentaren zum Fernsehen bei „Da Capo: Star Shaper“ vergessen. Diese Volltrottel, die ich schon als Sechsjähriger nicht ertragen konnte.
    Endlich kann ich mal lesen, daß es jemand sagt.
    Danke!

    Oh, lieber Karsten, das kann man schon länger lesen; aber es erscheint leider nicht in den „großen“ Medien. Jedenfalls nicht jeden Tag. KS

  5. 5

    Das Siegesgebrüll dieser ARD-Hupe erinnert unangenehm an den fanatischen Nazi-Ton, den man aus alten Wochenschauen kennt und den man bei Sportreportern noch bis in die sechziger Jahre hören konnte. Seit den 68ern und in der Zeit Willi Brandts war der Ton, der Politik entsprechend, wesentlich entspannter. Der Rechtsruck ist rundherum zu spüren, vor allem in den Medien. – Danke, lieber Kay Sokolowsky, für die Schnipsel und den Hinweis auf Egon Friedell, dem auch ich mich verwandt fühle. Letztlich sind wir alle Exilanten.

    „Letztlich sind wir alle Exilanten“ -: Das ist ein traurigschöner Gedanke. Ein schrecklicher leider auch. (Und bevor hier einer meiner klugscheißenden Leser anrollt und rumnölt, merke ich selbst an: Egon Friedell starb nicht als Exilant, sondern als einer jener Wiener, die sich nicht rechtzeitig vor dem deutschösterreichischen Herrenmenschendreck in Sicherheit bringen konnten.) KS

  6. 6

    Für die, die’s verpaßt haben: Des Erstgenannten Betrachtungen zu Hipstergebrüll und Realität beim DLF.
    Petitesse am Rande:
    Ob der Hausherr in der Lage wäre, seinen Einfluß (so er denn einen hat) bei Radio Bremen ob des Erwähnten sprachkritischen Kupferstecher-Lamentos ins Spiel (zugegeben: morbide Note) zu bringen? Hier half leider weder direktes Twitter-Nudging vor sechs Tagen, noch der ARD-Faktenfinder weiter… Ob ansonsten dieser sich gern als Ombudsmann und Gründungsintendant Preisende helfen kann?
    Meines Wissens erfreut sich der Autor ausreichender Gesundheit, und ist bemüht, die örtliche Gastronomie beim ehrwürdigen und verlustreichen Kampf ums Überleben selbstlos im Kapitalismus zu unterstützen.. Die Frankfurter Bierkrawalle: In unseren Herzen leben sie weiter …

    Lieber HF Schenk, ich habe Dr. Roth auf die peinsame Schlampigkeit der Bremer Stußmusikanten hingewiesen und hoffe sehr, daß es ihm nicht den Tag versaut. – Die Verwechslung des quicklebendigen (gottseidank!) mit dem leider verstorbenen Autor Jürgen Roth ist offenbar auch durch den Tod nicht zu beenden; Qualitätsjournalismus, wohin man nur guckt. KS

  7. 7

    Lingua Tertii Imperii:
    (Heute in der „Jungen Welt“, ein Auszug aus einem Text von Otto Köhler)

    „Am 28. April 2016 hatte das niedersächsische Umweltministerium informiert: ‚Wolf MT6 ist tot‘. Tot? Abgeschossen? Geschlachtet? Nein: ‚Entsprechend der Anordnung des Ministeriums wurde das Tier am Mittwoch abend im Landkreis Heidekreis im Rahmen einer Maßnahme zur Gefahrenabwehr letal entnommen.'“

    Letal entnommen. Hatten Theodor W. Adorno, Dolf Sternberger und Victor Klemperer ihre Zeit vertan, als sie uns nach Hitlers Tod unsere Nazisprache abzugewöhnen versuchten? Die SS etwa benutzte die Tarnwörter „Sonderbehandlung“ oder „Euthanasie“, wenn sie Menschen in Gaskammern ermordete. Gewiß, solange es fleischfressende Menschen gibt, ist das Töten von Tieren ein normaler Vorgang. Und natürlich auch dann, wenn ein Wolf einen Menschen angreifen sollte. Aber den Vorgang des Tötens als letale Entnahme zu verschleiern, das erinnert an die Denkart von mörderischen Nazibürokraten. Sie ist – mutmaßlich durch den niedersächsischen Verhandlungsführer – in den Koalitionsvertrag für eine neue Bundesregierung eingedrungen. Im Kapitel VI „Erfolgreiche Wirtschaft für den Wohlstand von morgen“ steht in der Unterabteilung 5 zum Thema einer »notwendigen Bestandsreduktion« von Wölfen: „Dazu erarbeiten wir mit der Wissenschaft geeignete Kriterien für die letale Entnahme“. Martin Schulz erläuterte zusammen mit Stephan Weil dem „liebe[n] Otto“, damit er mit Ja stimme: „‚Der Koalitionsvertrag trägt eine klare sozialdemokratische Handschrift.‘ Das macht mir angst.“
    Mir auch.

    Köhlers Artikel lohnt die Lektüre sehr; danke für den Hinweis! KS

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