Fritz der Große
Ein Autor, der sich schwer tut mit demiSchreiben, braucht nicht bloß furchtbar und so gut wie immer zu lange für seine Sätze (wovon die Lektoren und Redakteure Kay Sokolowskys ein traurig‘ Lied singen können). Solch ein Autor hat es auch nicht leicht mit seinen irgendwann, irgendwie fertig gewordenen Texten, sobald sie gedruckt vor ihm liegen. Kaum ein Satz, der ihm gefällt, kein Absatz, dessen Durchführung ihm restlos behagt. Um so erfreulicher für Sokolowsky, daß er an seinen Auftritten im neuen Heft von Konkret nichts zu bereuen hat, jedenfalls nichts, was er ausplaudern möchte.
—Das gilt für die 13. Folge seiner Seriei„Die Zukunft war gestern“ (diesmal über die Weltraumpartisanen von Mark Brandis alias Nikolai v. Michalewsky) ebenso wie für die Kolumne „Das Evangelium nach Haagerup“. Darin nimmt sich der Autor das neueste Heilmittel gegen den Untergang der bürgerlichen Presse, den sog. „konstruktiven“ bzw. „lösungsorientierten“ Journalismus vor und läßt davon genauso viel übrig wie sein gewaltiges Vorbild Karl Kraus vom „Presswesen“ insgesamt, z. B. in der Fackel Nr. 751-56:
Wenn sie nur die Feder in die Hand nehmen, sehen sie schon nicht mehr das Ding, das sie beschreiben wollen, und verlieren noch die Vorstellung, die sie nicht haben.
Es kann freilich sein, daß Kay Sokolowsky mit seiner Polemik so im Reinen ist, weil der Künstler Leo Leowald (dessen phantastische Homepage Sie unbedingt mal besuchen sollten) ihn dafür porträtiert hat, und zwar viel ansehnlicher, als der Autor sich selber vorkommt. (Faltenfreier sowieso.) Der etwas geschmerzte Blick, den Sokolowskys Abbild wirft, paßt zu einem selbsternannten „Salonpessimisten“ sehr wohl. Und auch darum dankt der Autor seinem Zeichner herzlich.
—Gleichwie er sich, als Leser, bedankt für die vielen klugen Artikel, zwischen denen er seine eigenen plazieren durfte. Es sind sogar noch mehr als üblich, weil dem aktuellen „Konki“ (Horst Tomayer) das jährliche Literatur Konkret beigeheftet ist. Es steht diesmal unter dem Titel: „Die komischen Deutschen. Satire und Kritik“. Der bedenkenswerteste Text dieser Beilage und überdies der gesamten Ausgabe wurde, meint Sokolowsky, von Fritz Tietz verfaßt. Tietz verhandelt darin das Elend des Unbedingtwitzigseinmüssens der Witzemacher sowie die Angst der Clowns vor ihrer Verzweiflung in einer Art und Weise, die Kay Sokolowsky an eigene Dunkelheiten erinnert und an den Mann, der ihm seinerzeit heimleuchtete. Auch nach dem dritten Lesen ein Werk von großer Weisheit und schönem Trost.
—Allein dafür sollten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, 5,50 Euro übrighaben! Zumal Sie außerdem ein vorzügliches Gespräch von Jürgen Roth mit dem „Anstalt“-Codirektor Max Uthoff erwerben, eine hervorragende Bestandsaufnahme der ukrainischen Verhältnisse durch Jörg Kronauer und sensible Beobachtungen Georg Seeßlens zur „Flüchtlingshilfe als nationales Feelgood Movie“. Just to name a few.
—Und wenn Sie nun noch immer nicht bereit sind, ihr Scheißgeld fürs neue Konkret lockerzumachen, dann holen Sie sich halt kostenlose Brocken ab, Sie Geizkragen! Diese Appetizer sind übrigens weit mehr wert, als Gratistypen wie Ihnen klar sein dürfte – sowohl Kendra Brikens luzide Anmerkungen zu Mansplaining und „Urviechern“ als auch Svenna Trieblers Glosse über „Die ganze Härte des Rechtsstaats“. Trieblers Text glänzt nicht zuletzt durch einen Satz, der topfdeckelnd auch auf alle Leser dieses Blogs paßt, die Konkret trotz Sokolowskys energischem Einsatz wieder mal nicht kaufen mögen:
(Man) soll ja nie Bösartigkeit unterstellen, wo Dummheit als Erklärung ausreicht.
(Diese Heftkritik fiel dem Blogger, wie ihm soeben auffällt, ganz leicht. Er denkt aber nicht daran, sich deshalb Gedanken zu machen.)
Mittwoch, 30. September 2015 19:13
Der aus Trieblers Glosse herausgelobte Satz stammt nun leider nicht von ihr, sondern (wahrscheinlich) von Robert Heinlein, s. z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Hanlon%E2%80%99s_Razor
Bzw. doch von Hanlon? – Aber wir melden das jetzt nicht an Vroniplag, oder? KS
Freitag, 2. Oktober 2015 6:46
Herrje und ja doch, ich werde mich eilen und es gleich heute früh noch erwerben, das neue KONKRET-Magazin für läppische Scheißeuro 5,50, versprochen! Zumal ich – und das ist mir lange nicht passiert – letztens doch tatsächlich eine Ausgabe ausgelassen hab. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa und Schande über mich! Erlaubte sich das jeder, wie sollte es fürderhin gedeihen, dies selten schlaue Stachelpflänzchen des dekonstruktiven Journalismus im öden Armengarten des dummdeutschen Presswesens unserer Tage? KP
PS.
Das muß ich unbedingt noch loswerden: Vor einiger Zeit hatte ich unter Freunden und auch verwandschaftsweit gnadenlos den Link zum „Abfall aus der Warenwelt“ verbreitet. Und von der Verwandschaft, aus der schon ein wenig angejahrten Onkeltantenecke, kam jüngst eine durchaus bemerkenswerte Rückmeldung. Und zwar diese, Zitat: „Darf man denn so was schreiben? Ist das nicht gefährlich?“
Da mußte ich recht herzlich lachen und selbstverständlich sofort an Friedrich August III von Sachsen selig („Na derfen die denn das?“) denken. Ach, ich wünsche mir aus tiefstem Herzen, daß „so was“ zu schreiben gefährlich sein möge. Oder wenigstens ein bisschen dekonstruktiv.
Ich bin jetzt natürlich neugierig, was Ihre Verwandten so mulmig werden ließ. Die Predigten des Hl. Franz? Das Geschnatter der Enten am See? Oder doch bloß meine harmlosen Fußnoten zum Kaputtalismus? KS
Samstag, 3. Oktober 2015 10:31
Es war mit Sicherheit das Entengeschnatter am See, das jene Mulmigkeit auslöste. Denn daß die konkrete Ente ein ausgesprochen anarchisches Geflügel sein kann, mit fatalem Hang zum Dekonstruktiven und, schlimmer noch, zum individuell praktizierten Terror, weiß fast alle Welt ja spätestens seit Donald Duck.
Und ist nicht die Tatsache, daß eine derart antibürgerliche Ente ausgerechnet der Zeichenfabrik des notorischen Halbfaschisten Disney entflattern konnte – Geschöpf, das seinen Schöpfer verrät -, eine wunderbar anschauliche Fußnote zur Theorie, daß der Kaputtalismus dereinst an den von ihm selbst erzeugten Widersprüchen zugrunde gehen wird? KP
Diese Hymne auf Donald D. ist sehr schön, hat aber einen Haken: Etwas Kleinbürgerlicheres als diesen Erpel gibt’s kein zweites Mal. Gilt übrigens auch für die echten Entenmänner. Alles Spießer! KS
Montag, 5. Oktober 2015 9:15
Wirklich? Sollten mich meine Kindheitserinnerungen so sehr trügen? Hab ich am Ende erpeliges Dauergeschnatter zu revolutionärer Aktion verklärt? War Donald D. heimliches SPD-Ehrenmitglied? Und hatte meine gestrenge Deutschlehrerin an der Polytechnischen Oberschule „Willi Bredel“ damals womöglich recht, als sie, nachdem sie mich mit einem von Disneys Entengeschichtenheftchen erwischt hatte, diese als miesen Schund und Einfallstor für die ideologische Diversion seitens des nimmermüden Klassenfeinds brandmarkte? Ich werde da wohl noch mal genauer recherchieren müssen … KP
Was Ihre Deutschlehrerin nicht kapierte: Donald, dieser exemplarische Kleinbürger, scheitert immer wieder und aufs lächerlichste dabei, ein respektierter Bourgeois wie etwa sein Onkel zu werden – und für dieses hochkomische Dauerscheitern lieben wir Rotschnäbel ihn so innig. Behaupte ich jetzt einfach mal, auf einem Berg von Beweisen thronend. KS