Schlz der Retter (3/1 von 3)


Gegen George habe ich also, daß er schlechte Verse macht;
gegen den Krieg habe ich den Krieg, gegen die Presse die Presse,
gegen die Sozialdemokratie: eben sie.

Karl Kraus (1932)

Was bisher geschah: Zwei Wochen vor Schließung bzw. sieben Wochen nach Öffnung der Wahlliste fällt dem Bundesfinanzminister Olaf Schlz auf bzw. ein, daß er doch Zeit für einen Nebenjob hat, und er verkündet, sich um den SPD-Vorsitz bewerben zu wollen, unter anderem weil er, Schlz, so angesehen sei. Seine Selbsteinschätzung als „truly Sozialdemokrat“ wird allerdings nur von Leuten geteilt, die den Kopf brauchen, damit die Ohren nicht abfallen. Schlzens politische Bilanz weist weder soziale noch demokratische Erfolge aus, dafür enorme Defizite in Humanität, Solidarität und Integrität. Krumm wie sein Weg zur Kandidatur verläuft auch die Auswahl der Schlz-Komplizin resp. -Komparsin Klara Geywitz und die Nominierung des seltsamen Paars durch einen SPD-Kreisbezirksparteitag. Wer en détail betrachtet, wie Schlz sich innerparteiliche Erneuerung und Demokratie vorstellt, erhält hier eine Lektion, nach der man sich allerdings zu waschen hat.


D
er ersten „Mitgliederbefragung“ zwecks Ermittlung der neuen SPD-Spitze gingen 23 „Regionalkonferenzen“ voraus, auf denen mitnichten konferiert wurde. Die anfangs 17, schließlich zwölf Kandidaten sagten ihre Verslein auf, das Fußvolk durfte ein paar Fragen stellen, und Generalsekretär Lars Klingbeil achtete streng darauf, daß niemand die vorgegebenen Redezeiten überzog oder Streit mit den anderen anfing. Im „Länderreport“ des Deutschlandfunks sprach Antonia Koch am 5. September zutreffend von einer „Castingshow der Sozialdemokraten“,
doch sie meinte es keineswegs despektierlich:

Die erste Runde fand in Saarbrücken statt – und die hatte auch Unterhaltungswert. […] Viele waren zunächst skeptisch, ob das gewählte Verfahren auch zum gewünschten Erfolg führt, die streitbare Partei zu befrieden und eine stabile Führung zu bestimmen. Nach drei Stunden – in denen kaum jemand den Saal verließ – hatte sich die Stimmung gegenüber der aufwendigen Kandidatenkür gedreht.

Natürlich redet Koch hier über ihre eigene verdrehte Stimmung – von den Vielen konnte sie keine zwei Handvoll interviewen –, aber Journalisten neigen seit je dazu, ihre Befindlichkeiten zu verallgemeinern, und für eine „runde“ Geschichte sowie den Unterhaltungswert vergessen sie gern, was sie selber beobachteten. Die angebliche Skepsis gegen „das gewählte Verfahren“ sah jedenfalls so aus:

700 Menschen, doppelt so viele wie erwartet, waren gestern abend in die Saarbrücker Congresshalle geströmt.

Die Leut‘ mögen halt Castingshows. Die folgenden 22 Events waren ebenfalls bestens besucht, und wahrscheinlich läßt sich eine Konkurrenz, bei der so viele Kandidaten antreten, nicht anders organisieren als ein Schönheitswettbewerb. Für die SPD – das will ich ihr lassen – ist dies Verfahren etwas Neues und ein echter Fortschritt nach all den Jahrzehnten, in denen die Bundesvorsteher den Vorsitz untereinander auswürfelten.

Da es jedoch zu keiner Diskussion zwischen denen da oben auf der Bühne und denen da unten im Saal kam, da die Bewerber nicht müde wurden, sich gegenseitig zu bescheinigen, ehrenwerte Sozialdemokraten mit den besten Absichten zu sein, hatte die Schaulauferei letztlich bloß den Effekt, einer Organisation, die am Boden liegt, emotional aufzuhelfen und den Niedergeschlagenen die Illusion zu vermitteln, es werde alles wieder gut, wenn sie einander nur gut sind. Der Generalsekretär, der die Regeln des Spiels erfunden, das heißt, den esoterischen Methoden der Coaching- und Teambuilding-Seminare entliehen hatte, zwitscherte nach dem letzten Aufgalopp am 12. Oktober:

Danke an alle die bei einer der 23 Regionalkonferenz dabei waren – egal ob live oder im Stream. Ich bin wirklich happy dass wir diesen neuen Weg gegangen sind. Das ist alles richtig so. Diese Partei hat so wahnsinnig viel Kraft.

An der Kraft, Kommata zu setzen, fehlt es freilich, und auch sonst mangelt es diesem Geblubber eines Motivationstrainers an einem Sinn, der über den Wahn, „happy“ zu sein, hinausreicht. Die SPD darf sich wohl glücklich darüber fühlen, ihre „Regionalkonferenzen“ transregional wie geschmiert absolviert zu haben. Aber den Eindruck, dies alles sei ein Schmierentheater gewesen, kann sie nicht entkräften, so lange eine Charge wie Schlz nicht vom Podium vertrieben wird mit Buhrufen und faulen Tomaten.

DLF-Korrespondentin Antonia Koch macht nicht alles falsch und läßt einen Sozen zu Wort kommen, der zur Harmonie, die Klingbeil der Show verordnete, nicht beitragen mag und den Typen, der es maßgeblich vermasselt hat, zur Rechenschaft ziehen will:

„Olaf, wie kann man jemandem erklären, daß derjenige, der uns […] in dieses Tal der Tränen, in diese Niederungen der heutigen Ergebnisse geführt hat, zukünftig für Glaubwürdigkeit und soziale Gerechtigkeit in der SPD steht. Da habe ich ein Erklärungsproblem.“

Statt aber, vom unbekannten Parteisoldaten animiert, Schlz auseinanderzunehmen, hielten alle, wirklich alle anderen Kandidaten brav den Mund und ließen den truly Asozialtechnokraten seine Arroganz zelebrieren:

„Ich will ausdrücklich dazu sagen, daß ich mich nicht gemeint fühle.“

Obgleich der Genosse ihn ausdrücklich meinte.

Ich habe Vorbehalte gegen Verschwörungstheorien; aber mir fällt keine vernünftigere Erklärung für die dumme Zurückhaltung der Schlz-Konkurrenten ein als diese: Um einer Urwahl der neuen Vorsitzenden zuzustimmen, forderten die Seeheimer ein, daß persönliche Attacken ausbleiben müssen. Die Kahrsköppe wissen, wie leicht sich jede antisoziale Sauerei, bei der die Sozen seit 1998 mittaten, auf ihre Gang zurückführen läßt und wie verächtlich sie dastünden, müßten sie über ihren Neoliberalismus Rechenschaft ablegen.

Der Rückzug des Duos Simone Lange/Alexander Ahrens ist ohne solch einen Deal schwer zu verstehen. Lange, eine bis dahin kaum bekannte Provinzpolitikerin, war bei der Vorsitzendenwahl im April 2018 gegen Andrea Nahles angetreten und hatte der Bätschistin aus dem Stand, ohne irgendeinen prominenten Fürsprecher 27,6 Prozent der Stimmen abgenommen. Trotzdem gab Lange, die sich nach diesem Achtungserfolg gewiß eine Chance in der „Mitgliederbefragung“ ausrechnen durfte, unmittelbar vor der ersten „Regionalkonferenz“ am 4. September ihre Kandidatur auf. Wieso schon jetzt, ohne auch nur einmal zu den Genossen gesprochen zu haben? Ihre Begründung war, nun ja, ambivalent:

„Wir wollen unsere Energie übergehen lassen in das Team von Norbert [Walter-Borjans] und Saskia [Esken]. Wir sind nicht weg. Wir werden weiter Wahlkampf machen.“
Merkur.de, 4.9.2019

Esken und Walter-Borjans kandidierten erst nach Schlz‘ Opfer- bzw. Rettergang, offenkundig als Notwehr gegen die Charade des Kotzomaten und in großer Hast – zwei Tage später schloß die Bewerberliste. Simone Lange hätte allerdings ein paar Regionalkonferenzen abwarten und aufmischen können, bevor sie sich zu den Spätestkandidaten bekannte. Daß sie und Ahrens auf Bambule verzichteten, paßt schlecht zum Mumm, den Lange im Frühjahr 2018 bewies.

Ich spekuliere mal wieder: Die beiden retirierten, weil sie in ihrem gerechten Furor eine geheime Absprache gebrochen und damit eine Meuterei der Seeräuberheimer riskiert hatten. Der Wahlablauf sieht vor, daß nicht etwa das Ergebnis der Mitgliederbefragung, sondern erst der Parteitag im Dezember über den neuen Vorsitz entscheidet. Zwar sind die Delegierten gehalten, das Votum der Basis zu respektieren. Aber warum sollten Kahrs und seine Drückerkolonne nicht abermals – wie bei der dubiosen Krönung Andrea Nahles‘ – aktiv werden und die Parteiunteroffiziere pressen, um den Kandidaten der kalten Herzen durchzudrücken? Mit der allemal qual.medientauglichen Ausrede, daß die Parteilinke schon viel früher die Spielregeln mißachtet, daß eine ebenso ehrgeizige wie unerhebliche Frau einen ebenso selbstlosen wie bedeutenden Mann unfair angegriffen und damit das gesamte Verfahren beschädigt hätte –? Denn Lange hatte am Tag nach Schlzens Kandidaturcoup gesagt, was Sache, doch nicht genehm war:

Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange kritisierte Finanzminister und Mitbewerber Olaf Scholz. Dieser solle ‚im Angesicht dieser Ohrfeige des Wählers [Lange meinte die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen] sich wirklich fragen, ob er den Neuanfang symbolisieren und verantworten kann“ […].
Zeit.de, 2.9.2019

So viel blanke Wahrheit ist für eine Partei, die sich seit 105 Jahren so systematisch selbst belügt wie die SPD, allerdings zuviel. Und deshalb ist Schlz widerlich da und Lange schon lange wieder weg – weil sie es nicht für die paar anderen halbwegs linken Kandidaten vermasseln wollte.

(Wird wahrscheinlich fortgesetzt.)
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Die große Schlz-Serie im „Abfall“:
Schlz der Retter (1 von 3)
Schlz der Retter (2 von 3)
Schlz der Retter (2 1/2 von 3)
Schlz und die Wettquoten


Montag, 25. November 2019 21:23
Abteilung: Man schreit deutsh, Qualitätsjournalismus

8 Kommentare

  1. 1

    Müde, aber nicht völlig verblödete Arbeiterin im sozialen Bereich als Erzieherin mit etwa 75% traumatisierten Flüchtlingskindern, sind Ihre Artikel schon so was wie Erholung für den Geist. Danke.

    Liebe Suzan Beerman -: Jeder Autor träumt davon, sich sein Publikum aussuchen zu können, auch ich. Das ist natürlich Blödsinn, aber Autoren sind so blöd wie alle anderen. – Wie auch immer: Könnte ich mir ein Idealpublikum zusammenstellen, Sie wären erste Wahl. – Und außerdem schmeckt mir Ihr Kommentar wie ein Zaubertrank. Merci! KS

  2. 2

    Danke, daß Sie an dieser so unerquicklichen Personalie dranbleiben. Mir hat die VVN-BdA-Angelegenheit das letzte bißchen sarkastischen Humor zu diesem Thema ausgetrieben. Es ist doch eigentlich nicht zu fassen, daß die SPD tatsächlich wieder GENAUSO agiert wie vor 100 Jahren und anstelle der Faschisten die Antifaschisten bekämpft. Wäre es justiziabel, der Meinung zu sein, daß sich da jemand seine persönliche Beate Klarsfeld mehr als verdient hat?

    Es wäre justiziabel, Schlz eins ins feixende Maul zu hauen, aber davon rate ich GENERELL ab, schon aus hygienischen Gründen. – Jedenfalls ist es gut zu wissen, daß die amtierende SPD-Direktion bewährte Antifaschisten bäh findet. Und es ist auch gut zu wissen, daß Schlz plant, alle anderen Antifaschisten, die nicht in seiner Partei sind, finanziell lahmzulegen. KS

  3. 3

    Ja, ich glaube, Ihre Wut auf die Sozen ähnelt meiner — man weiß eigentlich schon lang, daß sie zu nix gut sind, aber irgendwie hängt man trotzdem der Idee an, daß sie ja eigentlich das Gute und Richtige wollen und nur zu bescheuert sind, es zu tun. Man muß sich wohl endlich mal damit abfinden, daß sie es wirklich überhaupt nicht wollen, und zwar auch nicht irgendwo an der Basis, der ja auch alles sowas von egal zu sein scheint, wenn man OldFarts schöner stochastischer Analyse von neulich folgt. „Liebe“ SPD, mach, was die jungen Leute vor drei oder fünf Jahren immer gesagt haben: Lösch dich!

    Doch wie die Wut teilen Sie in diesen Samstagabendstunden vielleicht auch eine gewisse Freude mit mir – die Freude nämlich, daß Schlz es nicht geschafft hat, sich zum SPD-Vorsitzenden zu schummeln; das Vergnügen zumal, seine bedepperte Fresse nach dieser verheerenden Niederlage zu besichtigen. Die SPD ist vielleicht nicht zu retten. Aber vor Napoleon Schlz hat sie sich selbst bewahrt. Dafür soll sie, die sonst so Schimpfenswerte, einmal gelobt sein. Einmal! KS

  4. 4

    Der perfide Umgang eines Herrn „Heil SPD“ mit dem Urteil des BVerfG zu den Hartz4-Sanktionen beweist doch, dass dieser Partei und ihren Protagonisten nie mehr vertraut werden darf. Während sich die Sozln seit Monaten fast ausschließlich mit der zentralen Personalfrage beschäftigen und gleichzeitig posaunen, sich inhaltlich neu aufstellen zu wollen, tun sie genau das Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit. Der Zug rast mit Volldampf auf den Abgrund zu und jeder Soze, der sich für wichtig hält, will noch vorher schnell ne Schüppe Kohlen in den Kessel werfen. Und ja, eigentlich ist über diese verwahrlosten Lumpen bereis alles gesagt.
    Insofern werden am Wochenende keine Parteivorsitzender gewählt, sondern Sterbebegleiter.

    Aber immerhin ist der Sterbebegleiter mit der feixenden Visage nicht gewählt worden. Man soll sich auch über Kleinigkeiten freuen können in dieser düsteren Zeit, finde ich. KS

  5. 5

    Sind Sie immer noch sicher, dass es nachher nicht doch Schlz und Gwtz geworden sein werden?

    Jup. Bzw.: ha! KS

  6. 6

    Das Wahlergebnis ist für das System ein Alarmsignal. Während 2017 ein Kandidat Martin Schulz unisono von den Leitmwdien hochgejazzt wurde, so kehrt sich die Reaktion der Medien nach der Wahl der beiden neuen Vorsitzenden ins Gegenteil. Denn egal, welchen TV-Kanal ich besuche, es werden düstere Prognosen abgegeben, negative Kritiken geschrieben und in Talkshows die übelsten Prophezeiungen formuliert. Im SPIEGEL werden die beiden sogar als „Underdogs“ bezeichnet. BILD ist dagegen noch hämisch moderat und schreibt: „Hobbymaler und Kommunalpolitiker sollen die Partei retten.“ Markus Lanz hat sich vor wenigen Tagen in seiner Talkshow vergeblich bemüht, mit einem Höchstmaß an Respektlosigkeit, Borjahns und Esken vorzuführen. Ein shitstorm wie seinerzeit bei Sarah Wagenknecht blieb aus.
    Beim „Internationalen Frühschoppen“ auf phoenix wird auch befürchtet, dass die beiden Kandidierenden schon nach kurzer Amtszeit nicht mehr die Unterstützung der Partei haben werden. Na ja.
    Damit zeigt sich aber mal wieder, dass jede noch so geringfügige linke Tendenz in Deutschland vehement bekämpft wird.
    Übrigens würde ich nicht von einer Mehrheitswahl sprechen, wenn die beiden Vorzuschlagenden für den kommenden Parteitag mit 110.000 Stimmen der insgesamt über 400.000 Parteimitglieder nominiert wurden.

    Ihrem Schlußsatz muß ich widersprechen: Es gilt in solcher Art Abstimmungen IMMER die Mehrheit der ABGEGEBENEN Stimmen. Wenn 46 Prozent der eingetragenen Sozen zu faul/blöd/senil/verbeamtet sind, sich an einer Vorsitzendenwahl zu beteiligen, macht das die Wahl an sich nicht zweifelhaft. Die Leute, die sich beteiligten, dürften exakt den SPD-Mitgliedern entsprechen, die sich für politische Arbeit und das Programm ernsthaft interessieren und engagieren. Der Rest ist Karteileiche bzw. egal für die innerparteiliche Debatte. – Es kann einen freilich schon gruseln, wie scheißegal der knappen Hälfte aller SPD-Mitglieder die grauste der Pateien ist. Und trotzdem drücken sie monatlich ihren Beitrag ab. Bizarr. KS

  7. 7

    Gratulation zum von Anfang an richtigen Tip! Des Schlzens unbezahlbares Gesicht hat gezeigt, daß er sich noch sicherer war, er würde gewinnen, als ich. Aber ich fange jetzt nicht gleich wieder an zu hoffen, daß aus der SPD noch was werden könnte, nein nein nein.

    Ist auch besser so. – Die Gratulation nehme ich huldvoll entgegen. KS

  8. Stefan Zimmermann
    Montag, 2. Dezember 2019 22:56
    8

    Chapeau! Jedes Mal, wenn jetzt von „Überraschung“ die Rede war, dachte ich an Sie.

    Welch ein großes, geradezu größenwahnsinnig machendes Lob – tausend Dank dafür, lieber Herr Zimmermann! KS

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