Aus den Memoiren (1): Die Zeichen

Mittwoch, 11. März 2015 23:59

Dichte_Werkstatt_01_(c)_Kay_Sokolowsky

Mit fünf brachte ich mir selbst das Lesen bei. Damit war mein Leben praktisch gelaufen.

***

Meine erste große Liebe war eine Lehrerin. Als Unterpfand meiner Ergebenheit schrieb ich mein erstes Buch, eine mordsspannende Geschichte, nur für sie. Ich illustrierte den Schmöker sogar eigenhändig, allein für mein Fräulein ––! Sie mochte mich, freute sich aufrichtig über die Fibel; ihr Herz, ach, wollte sie mir nicht schenken. Dabei wurde ich bald neun! Ich bilde mir ein, daß ich etwa einen Nachmittag lang todunglücklich war. Später hat sich dergleichen leider länger gezogen.

***

Mein erster richtig bester Freund hieß Niko. Wir gingen gern spazieren, stundenlang, nie weiter weg als hundert Meter von der Familienwohnung, doch das reichte meistens für ein Abenteuer. Blieb es aus, las ich Niko zum Zeitvertreib die Straßenschilder und Hausnummern vor, denn er konnte nicht lesen. Mit dem Reden haperte es bei ihm gleichfalls. (Und wiederum bei mir, damals, mit den Ziffern ab 5. Aus naheliegenden sowie ästhetischen Gründen: Ständig verwechselte ich, ihrer Spiegelung in der je anderen Ziffer wegen, die 6 und die 9, manchmal die 4 und die 7. Und die 8, die sich graphisch selbst reflektiert, war mir unheimlich, weil unergründlich.)

Nikos Schweigsamkeit störte mich nie, ja, sie kam mir ganz recht, denn er konnte gut zuhören. Und verstehen! Für mich Fünfjährigen, der in der fremden Umgebung sonst keinen zum Spielen und Ausweinen hatte, konnte es einen besseren Freund schwerlich geben. Einen treueren ohnedies nicht. Er trug allzeit eine rote Jacke und eine spitze rote Mütze, daher rührte wohl sein Name. Niko war übrigens schwach auf den Beinen, darum trug ich ihn 

Fortsetzung folgt.

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Die beste aller Welten (11): Marktwerte …

Dienstag, 10. März 2015 23:59

… angepaßt an den Status Quo.

1) Wer arbeitet, soll auch nicht essen. Beispiel:

Eine Woche Urlaub im Jahr, das können sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts mehr als eine Million Erwerbstätige nicht leisten. (…)
Birgit N. zum Beispiel steht 30 Stunden die Woche an der Rezeption eines Berliner Hotels, die Frühschicht beginnt um sieben Uhr. Dabei muss sie immer top aussehen. Niemand darf bemerken, dass die Empfangsdame nur ein Paar Schuhe hat. (…)
Ihre Mutter hat sie seit mehr als vier Jahren nicht gesehen, die wohnt 600 Kilometer entfernt. Eine Fahrt – zu teuer. Doch Arbeit verweigern, weil es sich nicht mehr lohnt? „Nein, auf keinen Fall“, sagt N. Dann sei die Chance auf eine Vollzeitstelle erst recht vertan.
(Süddeutsche, 9.3.2015)

2) Bildung führt in die Armut. Beispiel:

Architekten, die für 1500 Euro brutto Vollzeit arbeiten. Grafikdesigner, die als Selbständige einen monatlichen Gewinn von 200 Euro ausweisen und deswegen aufstocken müssen. Absolventen, die in Werbeagenturen oder großen Verlagen ganze Kampagnen leiten – für ein Praktikumsgehalt von 500iEuro im Monat. (…)
„Einige meiner Kunden nehmen die Arbeitgeber auch noch in Schutz“, sagt [ein Vermittler eines Berliner Jobcenters]. „Es sei im Moment eben eine schwierige Situation, und das Renommee eines großen Namens sei doch auch viel wert, heißt es dann.“
(Süddeutsche, 9.3.2015)

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Der schreckliche Iwan (17): Erlösung

Montag, 9. März 2015 23:59

Die Zustimmungsraten der Russen für Putins Politik gehen durch die Decke, die Opposition ist marginalisiert und gibt eine Alternative zum „Kreml-Herren“ (transatlantischer Einheitssprech) ab wie, sagen wir, die Lungenentzündung zum grippalen Infekt. Was, wenn kein Putsch, soll den neuen Hitler (s. Spiegel, Zeit, Focus, Süddeutsche et. al.) bloß aufhalten?

Florian Rötzer hat in Telepolis die Rettung zu verkünden; er bezieht sich auf eine aktuelle Umfrage unter russischen Bürgern, die mehrheitlich einen völlig neuen Kandidaten ins Spiel bringen:

Putins_Erbin_06-03-15_(c)_Telepolis

Eine Frage, bitte, bevor allgemeine Erleichterung und Abrüstung ausbrechen –: Ist Rußland nicht ein Mütterchen und deshalb passender als Präsidentin anzureden, sobald es soweit ist? Denken Sie nur nicht drüber nach, bis Väterchen Frost kommt.

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Trefflich gescherzt (3 u. 4)*

Samstag, 7. März 2015 17:52

Spatzenhaus_Storch_(c)_Kay_Sokolowsky


(Für Ästheten:) „Jetzt noch ein Adler auf die Flagge genäht, und die Sache
wird rund.“

(Für Ornithologen:) „Bei denen piept‘s wohl!“

* Wg. Zweifach-Pointe als Wochenendausgabe zu betrachten.

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Trefflich gescherzt (2)

Freitag, 6. März 2015 21:33

Kaka_06-03-15_(c)_Kay_Sokolowsky

„Ich hätte gern ein Ka … Ka … ein kaltes Bier, bitte!“

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Abfall aus der Virenwelt

Donnerstag, 5. März 2015 23:45

Rotze-Ernte_(c)_Kay_Sokolowsky


Hier die Headline-Shortlist:

  • Rotze Ernte
  • Hat die Nase voll: Kay S.
  • Bei mir daschleim

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Rhinitis acuta [concreta]

Mittwoch, 4. März 2015 23:06

Öng
laufschleim schnaufleim maulrein
schniefschnupfstopf
—————–stopf
nasaler katarrh taaah karrhaa
—————————T
—————————S
—————————C
—————————H
—————————I

Döö
schneuzfleisch schnöfschlick fischschlotz
rotzglitschtropf
————-tropf
kanaler nasarrh saaah narrhaa
TS
SSS
CH
SCH
——IIII

Twa
dasröchdashechdaskrächz
hustkeuchkreuch
————-kkrrch
kratzanter tatarrrza nasahaa
R H I N …
R H I N I …
T S C H I I ! !

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Schniefenpsychologie

Dienstag, 3. März 2015 23:18

Eisrotz_(c)_Kay_SokolowskyIn Dan Simmons‘ prächtigem Abenteuerschauerhistorien-
schmöker Terror hat eine eher beschauliche Szene mich besonders, gleichsam synästhetisch beeindruckt. Denn ich las sie das erste Mal, als ich genauso fies verschnupft war wie dieser Tage. Die Passage beschrieb und beschreibt die Verstopfung meines Kopfes, den Geschmack in meinem Mund, das Geklump in meinem Hals und den Glitsch in meiner Nase besser, als ich es selber könnte.

Zur Vorgeschichte: Der britische Marineleutnant John Irving hat eine junge Eskimofrau kennengelernt. Sie spendiert ihm aus Gastfreundschaft einen ordentlichen Streifen Robbenspeck; und der halbverhungerte, mit seinen Kameraden seit Monaten im arktischen Packeis gefangene Seemann greift nicht bloß aus Höflichkeit zu.

Es schmeckte wie ein seit zehn Wochen toter Karpfen, der unter den Abwasserrohren von Woolwich aus dem Schlamm der Themse gegraben worden war. Irving hatte das dringende Bedürfnis, sich zu übergeben, und setzte bereits an, den Bissen halb zerkauten Specks auf den Boden des Schneehauses zu spucken. (…)
Zu seinem Entsetzen sah er, daß die Eskimofrau andeutete, er möge noch mehr von dem köstlichen Speck verzehren.
Immer noch lächelnd schnitt er sich ein Stück ab und schluckte es hinunter. So mußte es sich anfühlen, wenn man sich einen riesigen Klumpen Nasenschleim eines anderen Geschöpfs in den Mund steckte.

Und nun wissen Sie, wie‘s mir derzeit geht. Ich bin mir selbst mein anderes Geschöpf.

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